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„Vertrauensraum Lissabon bis Wladiwostok“

07.04.2017

Plädoyers für einen Dialog zwischen EU und EAWU und Stärkung der WTO beim 5. east forum Berlin

Am 6. April 2017 diskutierten anlässlich des 5. east forum Berlin über 300 internationale Teilnehmer über Wege zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum in Europa und Eurasien. Der stellvertretende WTO-Generaldirektor Karl Brauner plädierte dabei leidenschaftlich für die Akzeptanz internationaler Handelsregeln und Schiedsgerichtsverfahren. Sollten die USA unter der neuen Administration die Autorität der Welthandelsorganisation (WTO) in Frage stellen, wie dies angekündigt worden sei, könnte das gesamte Welthandelssystem vor dem Kollaps stehen. Bislang würden Urteile in WTO-Schiedsgerichtsverfahren, die in Genf verhandelt werden, zu 95 Prozent akzeptiert und umgesetzt. Sollten die USA aus diesem System ausscheiden, würde dies die Autorität des Gerichts untergraben. Andere Länder könnten folgen, mit gewaltigen Schäden für das Welthandelssystem. Unterstützung erhielt Brauner durch den Ost-Ausschuss-Vorsitzenden Wolfgang Büchele. Dieser warnte davor, internationale Institutionen wie die EU und die WTO in Frage zu stellen und auf nationale Alleingänge und Protektionismus zu setzen: "Die Schwäche der EU und WTO von heute, wären die Handelskriege von morgen.”

Zuvor hatte Tigran Sargsyan, der Vorsitzende der Eurasischen Wirtschaftskommission, eindringlich für einen Dialog mit der EU-Kommission über gemeinsame Handelsregeln geworben. Dieser Wirtschaftsdialog sei gerade auch angesichts gravierender politischer Differenzen nötig, um neues Vertrauen zwischen Ost und West aufzubauen. “Wir brauchen einen Vertrauensraum von Lissabon bis Wladiwostok”, sagte Sargsyan. Er sprach sich für den Abbau der “künstlichen Barrieren” für den Handel zwischen EU und der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) aus, um das Wirtschaftswachstum zu fördern. Der Kommissionsvorsitzende beklagte eine unnötige Politisierung seiner Behörde. Die in der EU verbreitete Ansicht, dass es sich bei der EAWU um ein Kreml-Projekt handele, um die Sowjetunion wieder aufzubauen, nannte Sargsyan einen “verzerrten Spiegel”. An der EAWU seien fünf Länder beteiligt, die alle das gleiche Stimmrecht sowie gleiche Vetorechte hätten. Sargsyan, wie auch verschiedene andere Vertreter aus Armenien und Kasachstan betonten, dass es sich bei der EAWU um ein rein wirtschaftliches Projekt handele.

Der stellvertretende Leiter der ukrainischen Präsidialadministration Dmytro Shimkiv zeigte sich zwar ebenfalls offen für die Vision eines gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok. Solange die Ukraine unter Verletzung internationalen Rechts durch Russland zu leiden habe, seien Gespräche mit diesem Ziel aber nicht möglich.

Ifo-Studie sieht große Potenziale für eine Zusammenarbeit in Europa

Gabriel Felbermayr, Direktor des Münchener ifo-Instituts, stellte eine gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung erarbeitete Studie vor, nach der ein gemeinsames Freihandelsabkommen zu Wachstumsimpulsen für die EU von 45 Milliarden Euro und für die EAWU in Höhe von 33 Milliarden Euro führen könnte. Im Gegensatz zu einem Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) sei die Höhe der Zölle zwischen beiden Wirtschaftsräumen in Europa noch ein relevanter Faktor. Vor allem östliche EU-Mitgliedsländer wie die Slowakei, Litauen, Estland, Lettland und Finnland würden von einem derartigen Abkommen profitieren. Aber auch für Russland und Deutschland seien die Wachstumseffekte noch ganz erheblich, selbst wenn es nicht zu einem klassischen Freihandelsabkommen und nur zur Vereinheitlichung technischer Standards käme.

In einer von Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms moderierten Diskussionsrunde nahmen Veronika Nikishina, Ministerin für Handel in der Eurasischen Wirtschaftskommission, sowie Joost Korte, stellvertretender Generaldirektor der Generaldirektion Handel innerhalb der EU-Kommission, direkt Stellung zu den Vorschlägen Felbermayrs. Nikishina zeigte sich offen für einen vertieften Dialog sowohl mit China als auch mit der EU, als wichtigste, benachbarte Handelsräume. „Wir müssen uns zusammensetzen und einen Plan für mögliche Konvergenzen erstellen, mit offener Einladung für alle, die teilnehmen wollen.“ Korte sagte, dass die EU sich seit ihrer Entstehung für offene Märkte einsetze: „Das ist für uns essenziell und ein Teil unserer Antwort auf die Globalisierung.“

Der EU-Vertreter betonte, dass Gespräche mit der EAWU nicht isoliert, sondern innerhalb eines politischen Umfeldes betrachtet werden müssten. Hier gebe es erhebliche Probleme zwischen der EU und Russland als Mitglied der EAWU. Dennoch zeigte sich Korte überraschend offen für eine Intensivierung des Dialogs mit der EAWU über technische Angleichungen. „Auf technischer Ebene können wir einiges mehr leisten, zum Beispiel bei technischen Normierungen, Zöllen, Zertifikaten, Herkunftsbezeichnungen, Transitregelungen.“ Die Realität der Handelsbeziehungen zwischen EU und Russland, die seit 2013 von einem starken Rückgang geprägt seien, nannte Korte sehr unbefriedigend. „Wir verlieren im Endeffekt alle. Das ist keine Situation die anhalten kann.“

Digitalisierung braucht Investitionen in Infrastruktur und Ausbildung

Ein weiterer Schwerpunkt der insgesamt fünf Paneldiskussionen im Rahmen des east forums lag auf dem Thema Digitalisierung und Industrie 4.0. Hier wurde sehr intensiv über gemeinsame Standards für die Digitalisierung in Europa und Eurasien diskutiert. Dabei bestand Einigkeit darin, dass sich das Ausbildungssystem stärker auf die zu erwartende Herausforderung ausrichten müsse. Unternehmensvertreter von SAP, Deutscher Telekom und Deutscher Bahn kritisierten zudem den Trend zu nationalen Lösungen. Digitalisierung könne aber nicht an nationalen Grenzen Halt machen, sonst könnten die darin bestehenden Innovationspotenziale nicht genutzt werden. „Digitalisierung unterscheidet nicht zwischen West und Ost. Lasst es einfach geschehen“, appellierte beispielsweise Klaus-Maria Steinmaurer, Vize-Präsident für Internationale Regulierungsfragen bei der Deutschen Telekom.

Markus Borchert, Präsident von Digital Europe und Senior Vice President von Nokia Europe, forderte dazu einen beherzten Ausbau der digitalen Infrastruktur sowie abgestimmte Regeln, die in der ganzen EU und EAWU gelten müssten. „Jede Initiative in Richtung einer stärkeren Zusammenarbeit und Harmonisierung von Regeln ist gut“, so Borchert. Chinesen, US-Amerikaner, Japaner und Südkoreaner seien in den vergangenen Jahren rasant an den Europäern vorbeigezogen. Die Gefahr sei deshalb groß, dass die Europäer am Ende nur noch bloße Konsumenten von Digitalisierung seien und keine Gestalter mehr.

Zu den weiteren Rednern der Konferenz gehörten der bulgarische Wirtschaftsminister Teodor Sedlarski, der kasachische Vize-Investitionsminister Yerlan Khairov, der Präsident des Wiener Wirtschaftsforschungsinstituts Hannes Swoboda, DIHK-Präsident Eric Schweitzer, der Präsident von Digital Europe Markus Borchert und die IT-Expertin Gabriele Zedlmayer. Im Rahmen der Konferenz wurde ein „Berlin Memorandum“ vorgestellt, das Vorschläge für einen Wirtschaftsdialog zwischen EU und Eurasischer Wirtschaftsunion (EAWU) formuliert. Das Memorandum kann auf der Internetseite www.lisbon-vladivostok.pro eingesehen und unterschrieben werden.

Das east forum Berlin wurde vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, der UniCredit und der METRO AG Wholesale & Food Specialist Company organisiert. Als Kooperationspartner waren der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und Schaeffler Technologies mit dabei. Rund 20 Länder waren auf Minister- oder Botschafter-Ebene beim 5. east forum Berlin vertreten. Wie schon im vergangenen Jahr, unterstützte die Konferenz die Connectivity-Agenda der OSZE, diesmal unter österreichischem Vorsitz.

Das Programmheft zum 5. east forum Berlin und weitere Informationen finden Sie hier

Ansprechpartner

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Andreas Metz
Leiter Presse und Kommunikation
Tel.: 030 206167-120
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