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Ost-Ausschuss verliert langjährigen politischen Wegbegleiter

24.08.2015

Zum Tode von Egon Bahr

Der SPD-Politiker Egon Bahr ist am 20. August 2015 im Alter von 93 Jahren gestorben. Bahr gilt als „Architekt“ der westdeutschen Ostpolitik der 1970er Jahre unter Willy Brandt, die jenseits aller politischen Differenzen auf eine Verständigung mit der Sowjetunion und die Entspannung des Verhältnisses zum damaligen Ostblock und zur DDR setzte.

„Mit Egon Bahr verliert der Ost-Ausschuss einen langjährigen politischen Wegbegleiter“, sagt der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Eckhard Cordes: „Die von Bahr maßgeblich konzipierte deutsche Ostpolitik hat zur Annäherung zwischen Deutschland und Russland beigetragen und die Grundlagen für die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen gelegt.“

Als enger Vertrauter Willy Brandts wurde Bahr zu einem Vordenker und Gestalter der innenpolitisch heftig umstrittenen und angefeindeten Ostpolitik. Bereits 1963 prägte Bahr in seiner berühmten Rede an der Evangelischen Akademie Tutzing, in der er das Konzept der neuen Ostpolitik skizzierte, das Motto „Wandel durch Annäherung“. Dieses setzte auf Entspannung und Dialog mit Moskau und dem von ihm dominierten „Ostblock“ und auf eine Annäherung in „kleinen Schritten“. „Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten zu einem Zusammenbruch des Regimes führen könnten“, sagte Bahr 1963 in Tutzingen mit Blick auf die DDR und wies darauf hin, dass sich „durch verstärkte Wirtschaftsbeziehungen verstärkte Bindungen ergeben können“.

Nach der Bildung der Großen Koalition von SPD und CDU wurde Bahr 1966 unter Außenminister Brandt Sonderbotschafter und Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt, wo er seine ostpolitischen Konzepte detailliert ausarbeitete. Nach Willy Brandts Wahl zum Bundeskanzler der sozialliberalen Koalition 1969 wurde Bahr zunächst Staatssekretär im Kanzleramt, 1972 dann Bundesminister für besondere Aufgaben. In diesen Funktionen wirkte er als Unterhändler maßgeblich an den Moskauer und Warschauer Verträgen und am Grundlagenvertrag mit der DDR mit, die auf Gewaltverzicht, Anerkennung der Grenzen und eine Normalisierung der Beziehungen setzten.

Der Ost-Ausschuss war bereits 1952 mitten im Kalten Krieg gegründet worden, um wirtschaftliche Brücken über den Eisernen Vorhang zu bauen und die wirtschaftliche Teilung Europas als Folge des Zweiten Weltkriegs zu überwinden. In enger Abstimmung mit der Bundesregierung verhandelten Vertreter des Ost-Ausschusses in den 1950er Jahren erste Handelsabkommen mit Rumänien, China und der Sowjetunion, die den Weg für deutsche Firmen ebneten. In den frühen 1970er Jahren war der Ost-Ausschuss dann unter anderem an den Erdgas-Röhren-Geschäften mit der Sowjetunion beteiligt und nahm an sämtlichen Verhandlungen der Bundesregierung über Ost-West-Handelsabkommen teil.

Die ostpolitischen Grundsatzerwägungen Bahrs kamen der vom Ost-Ausschuss seit Jahren geforderten Entkrampfung der Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion entgegen. „Die jetzige Politik entspricht einer langjährigen Bitte der Industrie an die Bundesregierung. Es ist gut, wenn die bislang überlastete Handelsbrücke durch eine Bonner Entspannungspolitik ergänzt wird“, sagte der langjährige Ost-Ausschuss-Vorsitzende Otto Wolff von Amerongen 1969 im „Spiegel“.

Im Gefolge des von Bahr ausgehandelten Moskauer Vertrags von 1970 kam es zu einer spürbaren Belebung der wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion, aber auch mit anderen Ostblock-Staaten. Von einem Wert nahe Null Anfang der 1950er Jahre wuchs der Anteil Osteuropas an den deutschen Exporten bis Ende der 1980er Jahre auf zeitweise bis zu sechs Prozent an. Im Rekordjahr 2012 wurde ein Anteil von über 16 Prozent erreicht.

Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Ost-Ausschusses im Jahr 2012 bezeichnete Egon Bahr den Verband als „verlässlichen Faktor der Politik“. Parallel zueinander hätten Ost-Ausschuss und Bundesregierung in den 1960er und 70er Jahren die Annäherung an Osteuropa vorangetrieben. „Dabei hat sich die Politik die Methodik der Wirtschaft zu Eigen gemacht: Zusammenarbeit statt Konfrontation“, sagte Bahr damals.

„Wirtschaftskontakte mit Moskau dienten immer auch dazu, Brücken zu bauen und gesellschaftliche Verständigungsprozesse in Gang zu setzen“, sagt der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Cordes: „Aus dem Prinzip ‚Wandel durch Handel‘, dem der Ost-Ausschuss von Anfang an verbunden war, wurde das Konzept ‚Wandel durch Annäherung‘“.

Auch im aktuellen Ukraine-Konflikt warb Bahr in der Tradition der Ostpolitik bis zuletzt für eine pragmatische Zusammenarbeit mit Russland ohne Belehrungen von außen. „Russland muss seinen eigenen Weg finden. Es muss sich nach seinen Traditionen entwickeln. Demokratie gehört nicht dazu", sagte Bahr noch im Juli in Moskau. Bei der Sowjetunion sei das damals ähnlich gewesen, man habe aber trotzdem mit ihr zusammengearbeitet. Bahr gehörte zu den Unterzeichnern eines öffentlichen Briefes, in dem ein „Neustart in der Beziehung mit Russland“ gefordert und vor einem „heraufziehenden russisch-euroatlantischen Großkonflikts“ gewarnt wird.

„Die Leitgedanken der Ostpolitik – Wandel durch wirtschaftliche Beziehungen, kleine Schritte, Vertrauensaufbau - sind vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts wieder aktuell,“ so der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Cordes: „In der derzeitigen Situation, in der eine neue Eiszeit zwischen Russland und dem Westen droht, wird die mahnende Stimme Egon Bahrs fehlen.“

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