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Von Kaluga lernen, heißt Siegen lernen

15.09.2008

Am 24. Juli trafen sich im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin auf Einladung des Ost-Ausschusses über 100 Vertreter von deutschen und russischen Unternehmen und Verbänden, um sich über das Thema „Investitionen in Russland – der aktuelle Markt und die neuen Regeln“ auszutauschen. Im Mittelpunkt stand das neue russische Investitionsgesetz, das größere ausländische Investitionen in 42 strategischen Wirtschaftssektoren unter staatliche Kontrolle stellt. Zudem beschrieben Vertreter von Siemens, Schott Rohrglas und Volkswagen aktuelle Investitionsprojekte ihrer Firmen in Russland.

Russland boomt dank sprudelnder Rohstoffeinnahmen. Die Führung des Landes plant in den nächsten Jahren gigantische Investitionen in die Infrastruktur, um das Land bis 2020 unter die fünf größten Volkswirtschaften der Welt zu katapultieren. Allein zur Modernisierung des Schienennetzes hat die russische Regierung gerade einen staatlichen Ausbauplan im Umfang von 525 Milliarden Dollar bis 2030 verabschiedet. Für die Modernisierung der elektrischen Versorgung fallen in den nächsten Jahren Investitionen von rund 200 Milliarden Euro an. Riesige Anstrengungen sind nötig, um die staatliche Gesundheitsversorgung zu verbessern. Hinzu kommen die Olympischen Winterspiele in Sotschi, für deren Vorbereitung ein umfangreiches Investitionsprogramm aufgelegt wird.

„Deutsche Unternehmen – insbesondere aus den Bereichen Maschinen- und Fahrzeugbau, Telekommunikation und erneuerbare Energien – haben exzellente Chancen“, betonte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Dr. Klaus Mangold, in seiner Begrüßungsrede. Die Margen seien für den deutschen Mittelstand zum Teil besser als in Westeuropa. Aktuell stünden die Themen Energieeinsparung und Energieeffizienz ganz oben auf der Agenda der russischen Politik. Durch moderne Technik könnte der russische Energieverbrauch um 25 Prozent gedrosselt und jährlich eine Menge an Gas eingespart werden, die dem Jahrsverbrauch der Bundesrepublik entspräche. „Russlands Wirtschaft braucht dringend Investitionen und Innovationen“, sagte Mangold. Die Korruptionsbekämpfung sei inzwischen auf einem guten Weg. Das neue Investitionsgesetz könnte sich aber zu einem Bremsklotz entwickeln, befürchtet der Ost-Ausschuss-Vorsitzende.

„Russland ist das Land der Zukunft“, glaubt auch Dr. Rainer Geiger, stellvertretender Direktor für Finanz- und Unternehmensfragen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). Voraussetzung sei aber, dass Russland den Reformprozess fortsetze und die Investitionsbedingungen weiter verbessere. Geiger stellte im Rahmen der Veranstaltung die aktuelle Investitionsanalyse der OECD für Russland vor. Russland besitze mittlerweile eine moderne Wirtschaftsgesetzgebung und habe seit dem Jahr 2000 spektakuläre Erfolge erzielt. Das größte Problem sei die einseitige Ausrichtung der russischen Wirtschaft auf den Rohstoffsektor und die starke Konzentration der Wirtschaft auf Moskau. Auch sei in manchen Regionen bereits ein Fachkräftemangel zu beobachten. Nach Ansicht von Geiger fördert das im Mai 2008 in Kraft getretene Investitionsgesetz die Transparenz. Das Antragsverfahren sei nun klar definiert. Allerdings stünden die 42 genannten Sektoren insgesamt für rund 50 Prozent der russischen Wirtschaft.

Vertreter der Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz stellten anschließend die ersten Erfahrungen mit dem neuen Investitionsgesetz vor. 34 der 42 vom Gesetz betroffenen Sektoren hätten mit den Themen Sicherheit und Verteidigung zu tun. Darunter fallen etwa die Bereiche Atom-, Weltraum- und Militärtechnik. Betroffen seien aber auch die Bereiche Energie, öffentliche Dienstleistungen, Telekom und das Verlagswesen. Besonders kontrolliert werde der Rohstoffsektor. Hier benötigten ausländische Investoren mit staatlichen Besitzanteilen eine Genehmigung, sobald eine Anteilsschwelle von 5 Prozent überschritten werde. In den meisten anderen Sektoren sei dieZustimmung des Staates erst bei einem Unternehmensanteil von 25 Prozent nötig. Handelt es sich um ausländische Investoren ohne staatliche Beteiligung liegen die Schwellen bei zehn Prozent (Rohstoff) beziehungsweise 50 Prozent. Entsprechende Unterlagen seien mindestens 30 Tage vor der geplanten Transaktion bei der russischen Kartellbehörde und beim Sicherheitsdienst FSB einzureichen. Die endgültige Entscheidung über das ausländische Investment werde dann von einer 17-köpfigen Regierungskommission getroffen, der Ministerpräsident Wladimir Putin vorsitzt.

Das Gesetz stelle kein Investitionsverbot dar, sondern gebe lediglich einen rechtlichen Rahmen vor, betonte Dr. Ilja Ratschkow, Partner der Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz in Moskau. Er wies zudem darauf hin, dass die früher in Russland getätigten Investitionen von dem Gesetz unberührt blieben. Hier gebe es lediglich eine Mitteilungspflicht. Von Vorteil sei, dass das Gesetz maximal drei Monate für die Prüfung einer Investition vorsehe. Bei Unsicherheit, ob eine geplante Investition unter das Gesetz falle, könne eine Vorabanfrage an die Behörden gestellt werden. Noch sei offen, ob die Zahl der Sektoren weiter reduziert werde, wie russische Regierungsmitglieder verschiedentlich andeuteten. Auch müsse man abwarten, wie strikt das Gesetz durch die Regierungskommission tatsächlich ausgelegt werde.

In der anschließenden Diskussion wurde vor allem das Problem der Vertraulichkeit von Unterlagen angesprochen. Die Behörden verlangten zur Prüfung einer Investition Businesspläne des Investors. Auch Auskünfte über Unternehmensplanungen und Budgets könnten angefordert werden. „Sie sollten auf jede Seite schreiben, dass die Unterlagen vertraulich sind und der Beamte im Falle der Weitergabe haftbar gemacht wird“, empfahl der Jurist Ratschkow.

Eher positiv beurteilt Veronika Bienert, Cluster CFO von Siemens in Russland und Zentralasien, das neue Innovationsgesetz. Siemens habe im Rahmen des Foreign Investment Advisory Councils an der Entstehung des Gesetzes mitgewirkt. „Aus unserer Sicht schafft das Gesetz mehr Transparenz, mehr Vorhersehbarkeit, klarere Spielregeln, definierte Entscheidungsprozesse. All das ist eine wichtige Grundlage für Investitionsentscheidungen.“

Gemeinsam mit Timothy Avonda, Project Director der Schott Rohrglas GmbH für Russland und Alfred Ströhlein, Leiter Rechtswesen Konzernbeteiligungen und Projekte Ausland der Volkswagen AG, stellte Veronika Bienert Großprojekte deutscher Firmen in Russland vor. Siemens hat unter anderem in Woronesch ein Forschungszentrum mit 500 Mitarbeitern aufgebaut. „Das Investieren im Land ist kein Roulettespiel, sondern profitables Geschäft“, betonte Bienert. Schott Rohrglas hat sich gerade für einen Standort bei Nischnij Nowgorod für die Produktion von Pharmazeutischen Verpackungen entschieden. Produktionsstart soll Anfang 2010 sein. „In Russland dauert alles länger, als versprochen wird und man sollte nie den Humor verlieren“, zog Timothy Avonda ein Zwischenfazit. Gute Juristen und gut vernetzte russische Projektleiter vor Ort seien entscheidend. Alfred Ströhlein betonte für VW die hohe Bedeutung der Behörden vor Ort. In seinem Vortrag mit dem Titel „Unser langer Weg nach Kaluga“, zeichnete er den Aufbau eines VW-Montagewerkes für jährlich 150.000 Autos in der westrussischen Provinzstadt nach, das am 28. November 2007 eröffnet wurde. Kaluga konnte sich gegen 70 andere Standorte in elf Regionen durchsetzen und hängte in der Endentscheidung auch Moskau und St. Petersburg ab. „In Moskau wären wir nur einer unter vielen gewesen, für Kaluga ist das Werk ein Leuchtturmprojekt“, betonte Ströhlein. Ausschlaggebend seien die Seriosität, die Hilfsbereitschaft und die Kompetenz der lokalen Behörden gewesen. Die Entscheidung von VW hat einen regelrechten Run auf Kaluga ausgelöst: Auch Volvo und Citroen/PSA bauen Werke in der Stadt, Daimler prüft ebenfalls eine Ansiedlung.

Andreas Metz
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

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