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Warten auf ein ukrainisches Sommermärchen

25.03.2011

Die deutsche Wirtschaft schlägt die Aussetzung der Visa-Pflicht für Ukrainer während der Fußball EM vor

In 15 Monaten findet in Polen und der Ukraine die erste Fußball-Europameisterschaft auf osteuropäischem Boden statt. Die EM verspricht nicht nur spannenden Sport, sie lenkt auch die Augen der europäischen Öffentlichkeit auf die Ukraine und wird der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes einen Schub versetzen. Wir Deutschen wissen seit der Fußball-Weltmeisterschaft vor fünf Jahren, wie positiv sich der Sport auf die Stimmung der Menschen auswirken kann. Bis heute erinnern wir uns gerne an unser „Sommermärchen 2006“.

Die Gründe dafür sind jedoch auf beiden Seiten zu suchen. Einerseits fehlte es in der ukrainischen Politik in den vergangenen Jahren an einer klaren Linie in den Verhandlungen mit der EU. Andererseits hat die EU den Reformprozess in der Ukraine nicht mit der nötigen Entschlossenheit unterstützt. Ein Beispiel dafür ist die restriktive Visa-Politik, die eine ständige Belastung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Austauschs bedeutet.

Während die Ukraine bereits seit Mai 2005 EU-Bürgern die Einreise ohne Visum gestattet, gibt es auf Seiten der EU kaum Bewegung. Im Jahr 2012 werden hunderttausende Fußball-Fans aus Europa mit ihren Reisepässen zu den Spielen nach Kiew, Donezk, Lemberg oder Charkow reisen können. Dagegen müssen ukrainische Fußballanhänger an der Grenze zu Polen ein Visum vorzeigen. Diese Situation ist aus meiner Sicht inakzeptabel. Bis zum Beitritt Polens oder Ungarns zur EU war der visafreie Reiseverkehr zwischen diesen Ländern und der Ukraine Normalität. Wir müssen alles tun, um diesen Zustand wieder herzustellen.

Zwar wurde auf dem letzten EU-Ukraine-Gipfel im November 2010 endlich ein Maßnahmenplan für Visa-Freiheit verabschiedet. Doch die EU verknüpft mit diesem Plan strenge Bedingungen. Insgesamt wurden 60 Forderungen aufgestellt, angefangen von der Einführung biometrischer Pässe bis zur technischen Aufrüstung der Grenzschützer und der Anpassung bestehender Gesetze an EU-Recht.
Es wird unmöglich sein, alle Punkte bis zum Beginn der Fußball EM abzuarbeiten.

Polen hat darauf reagiert und zum 1. März 2011 ein verbilligtes Visum für ukrainische Staatsbürger eingeführt. Anstelle von 35 Euro liegen die Kosten nunmehr bei 20 Euro. Doch dies kann aus meiner Sicht nur der Anfang sein. Gehen wir einen mutigen Schritt: Für die Dauer der Fußball-EM sollte die EU die Visa-Pflicht für Ukrainer aussetzen. Zumindest die Abschaffung der Visa-Gebühren sollte möglich sein. Ist hier innerhalb der EU kein Konsens zu erzielen, sollte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Dafür wird sich der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft einsetzen. Unser Ziel bleibt letztlich die  Abschaffung der Visa-Pflicht im Reiseverkehr. Die Ukraine erwartet zu Recht ein starkes Zeichen der EU, dass sie als Partner willkommen ist. Dies gilt auch für die aktuellen Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen zwischen Brüssel und Kiew.

Es ist verständlich, dass in der Ukraine die Unzufriedenheit mit Brüssel wächst. Dennoch würde die Ukraine eine große Chance verpassen, würde sie jetzt die Geduld verlassen. Schwierigkeiten in Annäherungsprozessen hat es immer gegeben, dies lehrt die Geschichte der EU-Erweiterungen. Immerhin ist die EU dazu bereit, der Ukraine in den nächsten drei Jahren im Rahmen der Östlichen Partnerschaft 500 Millionen Euro an strukturellen Hilfen zur Verfügung zu stellen.

Aber zugleich werfen einzelne Schritte der ukrainischen Regierung die Bemühungen um Integration zurück. Es ist kein gutes Zeichen, dass das Interesse der Ukraine an einer Zollunion mit Russland, Belarus und Kasachstan wächst. Dies würde einen Rückschlag für die Integration der ukrainischen Wirtschaft in den europäischen Wirtschaftsraum bedeuten; es sei denn, dass die Länder der Zollunion selbst ein Freihandelsabkommen mit der EU aktiv anstreben würden.

Ähnlich problematisch ist das geplante ukrainische Gesetz zur staatlichen Kontrolle des Getreidehandels. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Exporte verschiedener landwirtschaftlicher Produkte nur noch von Handelsunternehmen ausgeführt werden dürfen, an denen der Staat mindestens 25 Prozent der Anteile hält. Diese Regelungen entsprechen einem staatlichen Exportmonopol und würden ausländische Handelshäuser, die in den vergangenen Jahren große Summen in den Aufbau von Exportstrukturen investiert haben, vom ukrainischen Markt verdrängen. Ein solcher Schritt widerspricht dem Geist einer freien Marktwirtschaft und würde das Image der Ukraine als langfristiger und zuverlässiger Wirtschaftspartner stark beschädigen. Durch staatliche Monopole würde der Wettbewerb im Inland ausgehebelt und die Korruption begünstigt. Hauptleidtragende dieser Entwicklung wären letztlich die ukrainischen Landwirte, die gezwungen wären, ihre Ernte unter Marktpreis an den Monopolisten zu verkaufen. Am Ende fehlt ihnen das Geld für die notwendige Modernisierung.

Sowohl in Brüssel als auch Kiew gibt es gegenwärtig also einige Fragen, die aus Sicht der Wirtschaft zu klären sind. Der aktuelle wirtschaftliche Aufschwung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit weiter verbessert werden muss. Im Jahr 2010 erreichte der deutsch-ukrainische Handel nur ein Volumen von sechs Milliarden Euro. Der deutsche Handel mit Polen oder Tschechien ist zehnmal so umfangreich, obwohl beide Länder deutlich weniger Einwohner und Fläche haben. Es gibt also noch viel zu tun.

Vielleicht hilft uns die Fußball EM und die Begeisterung für den Sport dabei, neue Brücken zwischen Deutschland, der EU und der Ukraine zu schlagen. Die Reisefreiheit für alle Ukrainer während dieser Zeit oder die Ausstellung eines kostenlosen Monatsvisums wäre hier ein starkes Signal. Die Zeit ist reif für ein gemeinsames Sommermärchen.

 

Ansprechpartner

Kontakt:

Prof. Dr. Rainer Lindner
Tel: 030 2028-1440
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R.Lindner@bdi.eu

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