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„Osteuropa ist ein Chancenraum“

21.04.2016

Interview mit dem neuen Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms

Michael Harms ist seit 1. April 2016 neuer Geschäftsführer des Ost-Ausschusses. Zuvor war er acht Jahre lang Vorstandsvorsitzender der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK). Im Interview mit den Ost-Ausschuss-Informationen spricht Harms über die künftigen Aufgaben des Ost-Ausschusses, sein Fazit als AHK-Vorsitzender, die wirtschaftlichen Herausforderungen Osteuropas und verrät, was er an Berlin besonders schätzt.

Welche Schwerpunkte werden Sie als Geschäftsführer des Ost-Ausschusses künftig setzen? Welche Länder nehmen Sie insbesondere in den Blick?

Grundsätzlich sollte sich der Ost-Ausschuss um alle Länder der Region kümmern. Es gibt natürlich größere Länder, die vom Marktpotenzial her besonders interessant sind. Das sind etwa Russland, Rumänien, Kasachstan, aber auch die Ukraine. Wir sollten aber auf keinen Fall die regionale Kooperation vernachlässigen – Stichwort Westbalkan, Südkaukasus oder Zentralasien – und bedenken, dass es auch in den kleineren Ländern interessante Nischen für deutsche Unternehmen gibt. Alle Länder verfolgen jetzt Investitions- und Importsubstitutionsstrategien. Das wird nicht überall funktionieren, weil die Weltwirtschat in keinem guten Zustand ist und Exportmärkte demnach nur begrenzt vorhanden sind. Man muss dennoch ganz genau hinsehen, inwieweit deutsche Unternehmen als Investoren die nötige Erfahrung mitbringen und welche Chancen es für langfristige Investitionen gibt.

Nach mehreren Jahren beim Ost-Ausschuss sind Sie 2007 als Vorstandsvorsitzender zur AHK Russland gewechselt. Welches Fazit ziehen Sie nach dieser Zeit? Wo gab es Fortschritte in den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen, wo liegen die größten Probleme?

Es waren spannende und intensive acht Jahre, die mir vor Ort gezeigt haben, mit welchen praktischen Problemen die Unternehmen beschäftigt sind. Wir haben in dieser Zeit viel erreicht, wenn man sich allein die Anzahl der deutschen Unternehmen, die akkumulierten Investitionen und die strategischen Leuchturmprojekte ansieht. Es waren gleichzeitig Zeiten mit großem Auf und Ab. Als ich 2007 nach Moskau kam, gab es eine Boomphase, dann folgte die Weltwirtschaftskrise von 2009, anschließend wieder eine Erholung mit dem Rekordjahr 2012 für die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Danach kam der Absturz von 2014, der natürlich nicht allein durch den Ukraine-Konflikt, sondern stark durch den Ölpreis- und Rubelabsturz und die mangelnde Diversifizierung bedingt war. Die Bilanz fällt daher ambivalent aus: Wir haben mit gemeinsamen Projekten und Initiativen viel erreicht und eine deutliche Verbesserung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen erlebt. In vielen Bereichen, in denen es 2007 noch Probleme gab – Investitionsschutz, Steueradministration, Zollabwicklung, technische Regulierung – gab es deutliche Verbesserungen. Anderseits bleiben die starke Abhängigkeit Russlands von Öl und Gas, die Schwäche des Mittelstands und die viel zu starke Rolle der Staatswirtschat bestehen, ganz abgesehen von den Problemen, die wir jetzt durch die Sanktionen haben.

Die wirtschaftliche Lage in vielen osteuropäischen Ländern, insbesondere in der GUS, ist derzeit schwierig. Wie kann der Ost-Ausschuss diese Länder, aber auch die dort tätigen deutschen Unternehmen unterstützen?

Bei allen wirtschaftlichen und politischen Krisen, die es in Osteuropa gibt, sollten wir nicht vergessen, dass diese Region, mit der wir kulturell, mental und historisch so verbunden sind, ein großer Chancenraum für die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist. Wir sollten immer wieder dafür werben, dass die Länder die Rahmenbedingungen – breitere Aufstellung der Wirtschat, Rechts- und langfristige Investitionssicherheit, Abkehr vom Protektionismus, politische Stabilität – verbessern und diese Prozesse, mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, unterstützen. Dazu gehören Beratungsprojekte, wie sie der Ost-Ausschuss mit Partnern praktiziert, wirtschaftspolitischer Dialog, politische Gespräche und das Werben für diese Länder.

Was die Unterstützung der Unternehmen angeht, setze ich auf eine enge Zusammenarbeit mit den bilateralen Auslandshandelskammern. Dabei geht es um praktische Hilfestellungen für die Unternehmen, Partnersuche oder Information über wirtschaftliche Chancen. Da muss der Ost-Ausschuss Beratung, Information, Netzwerke und politische Kontaktpflege bieten, auch gegenüber der Bundesregierung und der EU. Darüber hinaus sollte sich der Ost-Ausschuss auch um Zukunftsthemen wie den Gemeinsamen Wirtschaftsraum zwischen Lissabon und Wladiwostok kümmern.

Welche Rolle kann die Wirtschat bei der Verbesserung politischer Beziehungen spielen?

Ich bin skeptisch, die Wirtschat mit politischen Aufgaben zu überfordern. Business ist Business. Aber erstens brauchen Unternehmen stabile politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, daher sind sie an deren Verbesserung interessiert und natürliche Partner der Politik für das Erreichen dieses Ziels. Zweitens gehören Themen wie Korruption, Sozialstandards, Umweltschutz oder Arbeitnehmerrechte, bei denen deutsche Unternehmen Vorreiter sind, zur Corporate Social Responsibility (CSR). Es gehört zu den guten Aufgaben der deutschen Unternehmen, sich als Investoren an diese Standards zu halten und diese damit auch in diesen Länder zu implementieren. Das sollte der Ost-Ausschuss unterstützen.

Wie fällt Ihr persönlicher Vergleich Moskaus mit Berlin aus?

Beides sind sehr dynamische und lebendige Weltstädte im Wandel mit einem reichen Kulturleben. In dieser Hinsicht sind beide vergleichbar. Ich werde an Moskau vielleicht die gewaltigen Dimensionen vermissen, die der Stadt eine gewisse Energie geben. Andererseits ist es auch anstrengend. Am meisten genieße ich bislang, dass ich in Berlin mit dem Fahrrad ins Büro fahren kann.

Die Fragen stellte Christian Himmighoffen.

Das Interview erschien in den Ost-Ausschuss-Informationen 4-5/2016.

 

 

 

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