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Osteuropa als Modell für die Modernisierung der Landwirtschaft

19.01.2010

Mit 1600 Ausstellern und 400.000 Besuchern, darunter Landwirtschaftsminister aus 50 Ländern, war die 75. Grüne Woche in Berlin erneut eine Veranstaltung der Superlative. 

Über die reine Fach- und Verbrauchermesse hinaus entwickelt sich die Messe zunehmend zu einem Diskussionsforum für die großen Zukunftsthemen wie Ernährungssicherheit und Klimaschutz. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die Arbeitsgruppe Agrarwirtschaft im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Diese ist gemeinsam mit drei weiteren Spitzenverbänden der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) Träger des Global Forum for Food and Agriculture (GFFA), das die Grüne Woche inhaltlich ergänzt.

„Osteuropa ist eine Schlüsselregion zur Sicherung der Welternährung“, darauf wies der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Klaus Mangold zum Auftakt des GFFA hin. Russland allein verfüge über mehr Ackerfläche, als alle Länder der EU zusammen. „Mit Pilotprojekten in Osteuropa haben deutsche Agrarunternehmen bewiesen, dass die Ernteerträge dort um 80 Prozent gesteigert werden können. In Russland könnte so die Produktion von Getreide von 100 Millionen auf 180 Millionen Tonnen pro Jahr zunehmen“, rechnete Mangold vor. Allein dieser zusätzliche Ertrag würde ausreichen, 250 Millionen Menschen pro Jahr mit Brot zu versorgen. Auch die Ukraine, Kasachstan und Rumänien verfügten noch über erhebliches Steigerungspotenzial.

Deutsche Unternehmen sind Vorreiter bei der Modernisierung

Die AG Agrarwirtschaft im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft koordiniert das Engagement der  deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft in Osteuropa. Sie initiierte unter anderem ein Deutsches Agrarzentrum in der Ukraine, in dem moderne Anbaumethoden vermittelt und technische Schulungen durchgeführt werden. „Dieses deutsche Engagement hat Modellcharakter für andere Regionen in der Welt“, erklärte Mangold. Ähnliche Landtechnikzentren für Kirgisien, Usbekistan und Äthiopien seien bereits in Planung. „Höhere Erträge und damit eine bessere Versorgung der Weltbevölkerung bei gleichzeitiger Schonung von Ressourcen und Einsparung von Treibhausgasen – in Osteuropa zeigen wir, dass dies machbar ist.“

Zu den Veranstaltungen, die die AG Agrarwirtschaft im Rahmen des GFFA anbot, gehörten am 15. Januar 2010 Länder-Podien zu Rumänien, Russland und der Ukraine im ICC. Außerdem organisierte der Ost-Ausschuss gemeinsam mit den anderen Trägerverbänden am 16. Januar ein Internationales Wirtschaftspodium und einen großen Abendempfang, der mit über 500 Agrarexperten aus aller Welt in den von Stararchitekt Frank Gehry gestalteten Räumen der DZ-Bank am Pariser Platz stattfand.

Internationales Wirtschaftspodium

In ähnlich spektakulärer Umgebung, nämlich der Berliner Akademie der Künste mit Blick auf das Brandenburger Tor, fand das Internationale Wirtschaftspodium statt. Dieses wurde vor rund 250 Zuhörern von Klaus Mangold eröffnet und danach durch den Leiter des Brüsseler ZDF-Studios Udo van Kampen moderiert. Das Impulsreferat zum Thema „Limited Resources and Climate Change – Managing a Turbulent Future“ hielt der frühere Exekutiv-Direktor des UN-Umweltprogramms Klaus Töpfer. „Als ich vor 72 Jahren geboren wurde, gab es auf der Welt 2,7 Milliarden Menschen. Heute sind es sieben Milliarden. 2050 werden es dann neun Milliarden sein“, rechnete Töpfer vor. Diese wachsende Bevölkerung zu ernähren und gleichzeitig den Klimawandel zu verhindern, das seien gewaltige Herausforderungen. Zugleich müsse den wachsenden sozialen Ungleichgewichten begegnet werden. „Wir geben mehr Geld für Diätkuren aus, als nötig wäre, eine Milliarde hungernde Menschen zu ernähren. Eine solche Welt ist nicht stabil.“

Da den Entwicklungsländern das Recht auf Entwicklung nicht abgesprochen werden könne, müsse der Westen die Vorreiterrolle bei der Umsetzung eines neuen Lebensstils übernehmen. Dies gehe wie in den 80er Jahren bei der Einführung des Drei-Wege-Katalysators nicht ohne Vorschriften. „Technologischen Fortschritt bekommst Du nur, wenn Du einen Knappheitsfaktor setzt.“ Wer Produkte strengen Umweltauflagen anpassen müsse, habe später erhebliche Exportchancen, merkte der frühere Umweltminister an.

Thomas Blunck, Vorstandsmitglied der Rückversicherungsgesellschaft Munich Re, hob die Bedeutung einer finanziellen Absicherung der Klima- und Ernterisiken der Landwirte hervor. Dazu sei ein koordiniertes Zusammenspiel von Landwirten, Versicherern und der öffentlichen Hand notwendig.  Friedrich Berschauer, Vorstandsvorsitzender von Bayer CropScience AG, forderte die Gesellschaft zu einer größeren Offenheit für die Gentechnik auf. Die Landwirtschaft sei inzwischen eine Hightech-Industrie, leide aber unter einem alten Image und schlechten Ausbildungsstrukturen. „Wir müssen den Menschen klarmachen, warum wir so wichtig sind.“ Die besten Köpfe müssten in Zukunft für die Landwirtschaft gewonnen werden.

Außerdem nahmen Cathrina Claas-Mühlhäuser, stellvertretende Vorsitzende des Gesellschafterausschusses von Claas, Thomas Kirchberg, Vorstandsmitglied der Südzucker AG und Russland-Sprecher der AG Agrarwirtschaft im Ost-Ausschuss sowie Shri Surampudi Sivakumar, CEO von Agri-Business ITC in Indien an der Diskussion teil. Sivakumar stellte ein auf Mobiltelefonen basierendes Netzwerk vor, mit dessen Hilfe auch einfache indische Bauern via Internet mit Fachwissen und Marktinformationen versorgt werden.

Insgesamt schloss die Expertenrunde mit einem optimistischen Ausblick: Es ist möglich, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und gleichzeitig dem Klimawandel zu begegnen. Der Schlüssel dazu sei der Transfer von Wissen über moderne Anbaumethoden und -techniken.

Länder-Podien auf der Grünen Woche

Thomas Kirchberg gehörte am 15. Januar auch zu den Mitwirkenden beim Russland-Podium des Ost-Ausschusses. Hauptredner waren hier der russische Vize-Premier Viktor Subkow, die russische Landwirtschaftsministerin Elena Skrinnik und als Gastgeberin die deutsche Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ilse Aigner.

Subkow berichtete, dass deutsche Hersteller bei Lieferungen von Landtechnik nach Russland einen Anteil von 32 Prozent erreichten. Die russische Agrarwirtschaft solle stark ausgebaut werden. Dazu habe man eine „Doktrin der Ernährungssicherheit“ für Russland verabschiedet, die den Bedarf an Importen stark reduzieren und die Höhe der Exporte steigern soll. Geplant seien 140 regionale Investitionsprojekte im Gesamtwert von vier Milliarden Euro.

Kirchberg zeigte sich besorgt über Tendenzen in Russland, den eigenen Agrarmarkt mit Schutzzöllen abzuschotten. „Maßnahmen, die den Zugang der russischen Landwirtschaft zu modernen Betriebs- und Investitionsmitteln begrenzen, sollten beendet werden.“ Subkow versprach, eine „ausgewogene Zoll- und Tarifpolitik“ und sicherte deutschen Firmen allseitige Unterstützung bei ihren Vorhaben in Russland zu.

In der Ukraine konnte die Agrarwirtschaft trotz der tiefen Wirtschaftskrise ihre gute Position halten, teilte der ukrainische Landwirtschaftsminister Juri Melnik auf dem Ukraine-Podium mit. Kritik übte er an den Marktbarrieren der EU, die es ukrainischen Produzenten unnötig schwer machten, ihre Produkte dort anzubieten. Während sich die Ukraine für die EU öffne, wolle diese von einem echten Freihandel nichts wissen. Großes Lob erhielt dagegen das vom Ost-Ausschuss initiierte Deutsche Agrarzentrum, dessen Weiterbildungsangebote seit Anfang 2009 von fast 2000 Teilnehmern genutzt wurden. Für den Ost-Ausschuss kündigte Franz-Georg von Busse an, dass die Aktivitäten in der Ukraine nach den positiven Erfahrungen noch ausgebaut werden sollen.

Erst am Anfang einer Modernisierung steht die rumänische Landwirtschaft. „Rumänien könnte 80 Millionen Menschen ernähren. Die Importquote bei Nahrungsmitteln ist aber mit 70 Prozent sehr hoch“, merkte Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Rainer Lindner bei der Eröffnung dieses Podiums an. Der Ost-Ausschuss engagiert sich seit einigen Jahren mit der Arbeitsgruppe Land- und Ernährungswirtschaft im deutsch-rumänischen Kooperationsrat für dieses Land. Der neue rumänische Landwirtschaftsminister Mihail Dumitru versprach in seinem Vortrag, Rumänien an das europäische Niveau heranzuführen und verwies auf die gute Qualität der Böden und das hohe Potenzial für Erneuerbare Energien. Hauptproblem sei die große Zerstückelung der Nutzfläche. In Rumänien stehen eine Million Betriebe mit einer Fläche von unter fünf Hektar nur 790 Großbetrieben mit mehr als 1000 Hektar Fläche gegenüber. Immerhin kann das Land in den nächsten Jahren mit Fördermitteln aus EU-Töpfen in Höhe von etwa zehn Milliarden Euro rechnen.

Andreas Metz
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

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