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Herzstück der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen

15.04.2009

Eine persönliche Bilanz anlässlich der 25. Sitzung der Strategischen Arbeitsgruppe am 21. April 2009

Als die Deutsch-Russische Arbeitsgruppe für „Strategische Fragen der deutsch-russischen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen“ (SAG) im Jahr 2000 ihre Arbeit aufnahm, lag der jährliche Handelsumsatz von Deutschland und Russland bei 13 Milliarden Euro. Deutschland war damals bereits der wichtigste Handelspartner Russlands, während das größte Land der Erde in der Statistik des deutschen Außenhandels unter den 20 wichtigsten Ländern nur einen hinteren Platz belegte.

Im Jahr 2008, nach inzwischen 24 SAG-Sitzungen, tauschten beide Länder bereits Waren und Dienstleistungen im Wert von 68 Milliarden Euro aus. Das entspricht einer Verfünffachung in nur neun Jahren. Deutschland konnte gegen enorme Konkurrenz seine Position als wichtigster Handelspartner Russlands behaupten, während sich Russland bereits in die Top 10 der deutschen Handelspartner emporgearbeitet hat.

Brückenschlag zwischen Politik und Wirtschaft

Natürlich wäre es vermessen, diese Erfolgsbilanz nur der Strategischen Arbeitsgruppe zuzuschreiben. Dennoch hat das Gremium, das bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen im Jahr 2000 zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Bundeskanzler Gerhard Schröder verabredet und wenig später begründet wurde, die Erwartungen mehr als erfüllt. Die SAG hat deutsch-russische Wirtschaftsgeschichte geschrieben – als Impulsgeber für gemeinsame Leuchtturmprojekte, als Ort offener Aussprache und als schnellster Weg zur effizienten Lösung ungeklärter Fragen. In der SAG werden nicht nur die entscheidenden politischen Ansprechpartner beider Länder miteinander verzahnt, es gelingt gleichzeitig der Brückenschlag zwischen Politik und Wirtschaft. Im Laufe der Jahre haben die Partner ein großes Vertrauen zueinander aufgebaut, das auch Unwettern standhält. Diskretion ist dabei ein hohes Gut.

Das Protokoll der ersten SAG-Sitzung vom 26. Juli 2000 verzeichnet jeweils drei Teilnehmer aus Deutschland und Russland. Neben den damaligen Staatssekretären aus dem Wirtschafts- und Finanzministerium, Dr. Axel Gerlach und Caio Koch-Weser nahm ich als Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft an der Gründungsversammlung teil. Ich habe seitdem mit einer Ausnahme alle Sitzungen wahrgenommen und bin heute das einzige Mitglied, das von Anfang an dabei ist. Russland war zu Beginn durch die stellvertretenden Minister Materow (Wirtschaft), Ignatiew (Finanzen) und Aljoschin (Industrie) vertreten. Später erhöhte sich die Zahl der festen Teilnehmer schnell auf über 20. Auf deutscher Seite kamen beispielsweise das Auswärtige Amt, die Delegation der Deutschen Wirtschaft in Russland sowie ein Vertreter der deutschen Botschaft in Moskau hinzu. Für Russland nahm gelegentlich sogar der damalige Wirtschaftsminister German Gref an den Beratungen teil und berichtete über den rasanten wirtschaftlichen Aufholprozess Russlands. Als Vertreter der russischen Wirtschaft stieß Alexej Mordaschow hinzu. Die SAG zeichnet überdies aus, dass sie zu einzelnen Probleme gezielt den Rat von Fachleuten einholt, die den Teilnehmerkreis verstärken. Und besonders wichtig: Die SAG hat immer ein offenes Ohr für Unternehmer und ihre Anliegen, egal ob es sich um einen Konzern oder um einen Mittelständler handelt.

Bereits in ihrer zweiten Sitzung besprachen die Mitglieder der Arbeitsgruppe

14 Projekte deutscher Unternehmen in Russland mit einem Gesamtvolumen von 2,5 Milliarden Euro. Hunderte von Projekten sollten noch folgen. Der Aktionsradius der SAG erstreckt sich buchstäblich zwischen Himmel und Erde, von der Erschließung von Bodenschätzen bis hin zu einem Pilotprojekt für ein satellitengestütztes Bodenkataster. Auch das Wasser wird nicht ausgespart: Durch ihren Einsatz für den Aufbau einer ständigen Fährverbindung zwischen Ust-Luga bei St. Petersburg, Baltijsk im Kaliningrader Gebiet und Mukran auf Rügen wirkte die SAG im besten Sinne völkerverbindend.

Aktionsradius zwischen Himmel und Erde

Es gibt kaum ein gemeinsames Großvorhaben des vergangenen Jahrzehnts, das nicht durch die SAG begleitet worden ist, seien es gemeinsame Entwicklungsvorhaben von EADS und der russischen Luft- und Raumfahrtindustrie, die Lieferung von Hochgeschwindigkeitszügen durch Siemens an die russische Eisenbahngesellschaft, die Projektierung der Gasleitung Nord Stream oder der Aufbau eines VW-Werkes in Kaluga bei Moskau. Dieses Projekt begann kurz nach der Jahrtausendwende als Zehn-Millionen-Euro-Vorhaben und ist auf ein Gesamt-investitionsvolumen von weit über 300 Millionen Euro gewachsen – beispielhaft für die großen Potenziale, die sich inzwischen für deutsche Unternehmen in Russland eröffnen. Gerade auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die russische Automobil- und Zulieferindustrie nahm die SAG einen besonderen Einfluss. Die wichtigsten Gesetze und Verordnungen kamen erst nach vielen Gesprächen zwischen den russischen Ministerien und Ministern für Wirtschaft und Industrie mit Repräsentanten der deutschen Wirtschaft zustande.

Große Projekte lassen sich jedoch nur realisieren, wenn die Dinge im Kleinen funktionieren. So hat die SAG hart daran gearbeitet, das Investitionsklima für deutsche Investoren zu verbessern und Exporte nach Russland finanziell abzusichern. Bereits nach der zweiten Sitzung wurde eine Unterarbeitsgruppe zu Banken und Finanzdienstleistungen gegründet, die sich um Hermes-Bürgschaften, die Bereitstellung von KfW-Krediten zur Projektfinanzierung, den Ausbau der russischen Bankenaufsicht sowie die Gründung einer Förderbank in Russland kümmerte oder die Themen Venture Capital, Leasing und Public-Private-Partnership behandelte. Hier konnten mit deutscher Hilfe Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht werden. So trägt zum Beispiel das russische Leasinggesetz eine deutsche Handschrift. Als die SAG ihre Arbeit aufnahm, wurde sogar noch über die Umschuldung der russischen Kredite beim Pariser Club diskutiert. So ändern sich die Zeiten.

Weitere Unterarbeitsgruppen etwa zu den Themen Energie und Energieeffizienz, Kommunalwirtschaft und aktuell zum Thema Gesundheit folgten. Diese Arbeitsgruppen stehen für einen optimalen Austausch von Wissen zwischen beiden Volkswirtschaften. Gerade in Zeiten, da beide Länder nach Antworten auf die Weltwirtschaftskrise suchen, ist dieser intensive Austausch von höchstem Wert.

Förderung des Mittelstandes als zentrales Thema

Längst werden auch immer mehr russische Investitionsvorhaben in Deutschland zum Thema in der SAG, sei es der Tiefseehafen in Wilhelmshaven oder der mögliche Einstieg der Russischen Staatsbahn bei der Deutschen Bahn. Beide Volkswirtschaften kommen sich also immer näher. Gut vorangekommen ist man auch bei der Stärkung der russischen Regionen. Längst steuern deutsche Investoren nicht mehr nur Moskau oder St. Petersburg an. Die SAG setzte hier durch die Idee für ein deutsches Sibirien-Jahr einen besonderen Akzent, das der Ost-Ausschuss schließlich mit der russischen Seite 2007/2008 in die Tat umsetzte. Bewusst finden SAG-Treffen von je her nicht nur in Berlin oder Moskau statt, sondern auch in Ufa und Kassel, Tomsk und Dresden, Tscherepowetz und München.

Zentrales Thema vieler Sitzungen der SAG war und ist die Förderung des Mittelstandes. Dies hat mittlerweile zu drei großen Deutsch-Russischen Mittelstandskonferenzen geführt, die der Ost-Ausschuss zwischen 2004, 2006 und 2008 in Stuttgart und Moskau organisierte. Wo Mittelständler vor Ort auf ein Problem treffen, verbergen sich oft grundsätzliche Fragen. Sie sind wichtige Seismographen für den Stand der russisch-deutschen Beziehungen. So stehen immer wieder Zoll- und Zertifizierungsprobleme hoch oben auf der Agenda der SAG-Sitzungen. Und längst sind hier noch nicht alle Fragen abgearbeitet. Ähnlich sieht es bei der Visa-Problematik aus.

Beide Themen berühren Entwicklungen, die dann doch den Einflussbereich der SAG übersteigen, auf die man gleichwohl weiterhin konzentriert hinarbeiten muss: auf den WTO-Beitritt Russlands und die Vereinbarung eines neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen Russland und der EU.

Die SAG hat sich immer als Gremium für große makroökonomische Themen zwischen Deutschland und Russland verstanden. Für viele Unternehmen aus beiden Ländern arbeitete sie aber gleichermaßen auch als Katalysator und Problemlöser für Projekte, die ohne zupackendes Verständnis und Lösungswillen auf beiden Seiten nicht zustande gekommen wären. Zudem war die SAG immer auch ein Platz für Freundschaften zwischen den Mitgliedern und ein Ort für Visionen. Ein gemeinsamer Markt von Russland und der EU etwa wäre ein Ziel, das im Blickfeld bleiben und spätestens innerhalb der nächsten 25 SAG-Sitzungen erreicht werden sollte. Selbst wenn wir dies schaffen, wird die SAG unverzichtbar bleiben – als Herzstück der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen.

Prof. Dr. Klaus Mangold
Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft

 

 

 

"Die SAG hat deutsch-russische Wirtschaftsgeschichte geschrieben – als Impulsgeber für gemeinsame Leuchtturmprojekte, als Ort offener Aussprache und als schnellster Weg zur effizienten Lösung ungeklärter Fragen."

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