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"Bundesregierung muss Vermittler-Rolle übernehmen"

29.11.2013

Cordes-Rede anlässlich des Gaidar-Naumann-Forums 2013 in Berlin

Am 29. November fand in Berlin erstmals das "Gaidar-Naumann-Forum" zum Thema "Liberale Wirtschafts- und Finanzpolitik in Deutschland und Russland.Erfahrungen und Perspektiven" statt. Eröffnet wurde die Veranstaltung, die mit über 200 Gästen sehr gut besucht war, mit Keynotes des früheren russischen Finanzministers Alexei Kudrin und des Ost-Ausschuss-Vorsitzenden Eckhard Cordes. Anschließend gab es eine Plenardiskussion, an der auch Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Rainer Lindner mitwirkte, sowie ein Abendessen im kleineren Kreis mit Unternehmensvertretern. Die Keynote von Eckhard Cordes dokumentieren wir im Wortlaut.

"Sehr geehrte Frau Schwaetzer,
sehr geehrter Herr Kudrin,
sehr geehrter Herr Mints,
sehr geehrter Herr von Studnitz,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich sehr, dass der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft aktiv am Gaidar-Naumann-Forum beteiligt ist und danke unseren Partnern von der Naumann-Stiftung, der Yegor Gaidar-Stiftung und vom Deutsch-Russischen Forum herzlich für die gute Zusammenarbeit. In Zeiten, in denen der Dialog zwischen Russland und der Europäischen Union  erkennbar gestört ist, zeigen wir einmal mehr, dass es besser geht und dass wir unverzichtbare Partner füreinander sind.

Wir bewegen uns mit der heutigen Veranstaltung in einem politisch spannenden, man kann auch sagen: angespannten Umfeld: Aktuell findet in der litauischen Hauptstadt Vilnius das Gipfeltreffen der EU mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft statt. Wir in Deutschland wiederum stehen kurz vor der Bildung einer neuen Bundesregierung. Die Ergebnisse von Vilnius, aber auch der Koalitionsvertrag und die Besetzung der Ministerien werden die Russland-Politik in den nächsten Jahren prägen. 

Russen und Deutsche - Sie wissen es - sind durch eine über 1000-jährige Geschichte miteinander verbunden. Die gemeinsamen Erfahrungen und die engen persönlichen Beziehungen - denken Sie an die über zwei Millionen Deutschen mit russischen Wurzeln - sind womöglich auch der Grund dafür, warum Russlands Entwicklung in Deutschland stärkere Reaktionen und größere Anteilnahme hervorruft, als dies bei anderen Ländern der Fall ist.

Die Wirtschaft – meine Damen und Herren - hat nicht selten in unserer gemeinsamen Geschichte die Aufgabe übernommen, Gesprächsfäden zu knüpfen. Dieser Tradition sieht sich der Ost-Ausschuss auch weiterhin verpflichtet. Gerade auch in Zeiten, in denen es einmal nicht so gut läuft. 

 

EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft

Damit komme ich auf das Thema dieser Tage zu sprechen, die Absage der Ukraine an ein Assoziierungsabkommen mit der EU und die Rolle Russlands. Wenn es nach uns geht - das habe ich dieser Tage auch in einem Gastkommentar für das „Handelsblatt“ deutlich gemacht - muss das Treffen in Vilnius einen Wendepunkt hin zu einer neuen Verständigung zwischen der EU und Russland markieren. Die neue Bundesregierung spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle.  Die Ukraine und weitere Länder der Östlichen Partnerschaft sind auf gute wirtschaftliche Beziehungen sowohl mit der EU, als auch mit Russland angewiesen.

Eigentlich ist das eine Binsenweisheit. Aber diese gerät im momentanen Rausch geopolitischer Überlegungen auf beiden Seiten gelegentlich aus dem Blick. Es ergibt wirtschaftlich überhaupt keinen Sinn, die Ukraine vor eine Entweder-Oder-Entscheidung - entweder für eine EU-Assoziierung oder für eine Zusammenarbeit mit der Zollunion - zu stellen. Wir müssen Wege finden, vertiefte Freihandelsabkommen mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft abzuschließen und dabei gleichzeitig deren Zusammenarbeit mit der von Russland initiierten Zollunion zu ermöglichen. 

Wir müssen vermitteln, dass das Programm der Östlichen Partnerschaft nicht gegen Russland gerichtet ist, sondern zu mehr Stabilität und Wachstum in ganz Osteuropa beiträgt. Vertrauen können wir in der Frage aber nur aufbauen, wenn Russland als Partner einbezogen wird.

Unsere Erwartung an die neue Bundesregierung ist ganz klar: Sie muss hier wieder die Rolle des Vermittlers zwischen Brüssel und Moskau übernehmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Bewertung der ukrainischen Situation bereits Gespräche der EU mit Russland angekündigt und dabei gleichzeitig die besondere Verantwortung Deutschlands unterstrichen. Die Bundeskanzlerin - und das begrüßen wir sehr - betonte in ihrer Regierungserklärung vom 18. November, „dass es kein Entweder-Oder zwischen einer Annäherung der Länder der Östlichen Partnerschaft an die EU und dem russischen Bemühen um eine engere Partnerschaft“ geben darf. 

Die Bundesregierung - dies habe ich ebenfalls in dem schon erwähnten Beitrag für das „Handelsblatt“ vorgeschlagen -sollte deshalb jetzt die Initiative ergreifen und zu einer Konferenz über die zukünftige Wirtschaftsarchitektur in Europa einladen. Wir müssen einen Prozess zur Überwindung der Handelshemmnisse zwischen der EU und der Zollunion in Gang setzen. Dieser „Gemeinsame Wirtschaftsraum“ in Europa ist bereits 2003 zwischen der EU und Russland als Ziel vereinbart worden. Geschehen ist bislang zu wenig. Nur durch eine Integration der verschiedenen Integrationsräume lässt sich das wirtschaftlich völlig sinnlose und gesellschaftlich gefährliche Tauziehen um die Länder der Östlichen Partnerschaft beenden.

Die Östliche Partnerschaft hat ja insbesondere das Ziel, die Länder östlich der EU zu stabilisieren, allerdings ohne dass diesen eine echte EU-Perspektive gegeben wird. In der gegenwärtigen Ausgestaltung erleben wir eher eine Destabilisierung dieser Länder. Eine, wie ich meine, bedenkliche Entwicklung.

Sowohl Russland als auch die EU haben ein Interesse daran, dass sich diese Länder modernisieren. Gerade die Brückenfunktion zwischen beiden Märkten macht diese Länder interessant. Diese können sie aber nur wahrnehmen, wenn ihnen beide Märkte offenstehen. Eine wirtschaftlich und gesellschaftlich labile Ukraine wäre sowohl für die EU, als auch für Russland eine schwere Belastung - und auch kein allzu attraktiver Investitionsstandort.

Mehr Rechtssicherheit, Bekämpfung der Korruption, stabilere Investitionsbedingungen, visa-freier Reiseverkehr und neues Wachstum - diese mit den Assoziierungsabkommen verbundenen Ziele kommen der gesamten europäischen Wirtschaft zu Gute, auch der russischen. Hier müssen wir Vertrauen aufbauen, aber auch russische Bedenken bezüglich möglicher wirtschaftlicher Verluste durch die EU-Assoziierung ernst nehmen.

Vielleicht stellen wir am Ende der Diskussion fest - was ich glaube -, dass Russland durch die Assoziierungsverträge gar keine wirtschaftlichen Verluste, sondern eher Gewinne zu erwarten hat. Aber die Sorgen Russlands müssen gehört werden, das sollte unter strategischen Partnern eine Selbstverständlichkeit sein. Und dies ist, das möchte ich betonen, im Interesse aller an der Östlichen Partnerschaft beteiligten Länder. Alle sechs hat der Ost-Ausschuss in den vergangenen zwölf Monaten mit Delegationen bereist. Gewinnen, meine Damen und Herren, können wir in einer vernetzten Welt am Ende nur gemeinsam. 

Der Ost-Ausschuss wird das Thema deshalb beharrlich weiter verfolgen: Bereits jetzt laufen die Vorbereitungen für das 2. east forum Berlin, das die Bundeshauptstadt am 9. und 10. April 2014 erneut zum Ort des Dialogs zwischen Politiker und Unternehmern aus Ost und West machen wird.

Erwartungen an die Bundesregierung

Erlauben Sie mir nun noch einige Kommentare zur „gewünschten“ Russlandpolitik der zukünftigen Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag der vermutlichen neuen Bundesregierung wird Russland ein „offener Dialog und eine breitere Zusammenarbeit“ angeboten. Genau dafür hatten die Mitglieder der Arbeitsgruppe Wirtschaft des Petersburger Dialogs vor rund vier Wochen bei ihrem Treffen am Tegernsee plädiert. 

„Sicherheit in und für Europa lässt sich nur mit, und nicht gegen Russland erreichen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Und ich füge hinzu, dass unter „Sicherheit“ auch ökonomische Sicherheit verstanden werden sollte. Enge Wirtschaftskontakte zwischen unseren Ländern sind nicht zuletzt wichtig für das Wachstum in ganz Europa. Deshalb müssen wir unsere „Modernisierungspartnerschaft“ - wie im Koalitionsvertrag erwähnt - nicht nur festigen, wir müssen sie ausbauen.

In unserer „Tegernseer Erklärung“ schlagen wir dazu vor, die Modernisierungspartnerschaft auf eine echte, institutionelle Grundlage zu stellen: Mit der Deutsch-Russischen Arbeitsgruppe (SAG) für Wirtschaft und Finanzen haben wir bereits ein Gremium der Bundesregierung und der russischen Regierung, das sich mit Modernisierungsprojekten beider Länder beschäftigt. Das Thema Modernisierungspartnerschaft sollte aber noch offensiver angegangen werden. Ich könnte mir etwa vorstellen, dass die Bundesregierung und die russische Seite jeweils einen Beauftragten für die Modernisierungspartnerschaft benennen, der die Aktivitäten koordiniert, gegenüber der Öffentlichkeit auskunftsfähig ist und eventuell mit einem eigenen Budget Modernisierungsvorhaben anstößt.

Ein wichtiges Element zur Förderung der Modernisierungspartnerschaft wäre eine vertiefte Partnerschaft und Zusammenarbeit im Rohstoffsektor. Dafür ist vor allem der Ausbau der wissenschaftlich-technologischen Kooperation beider Länder von Bedeutung. Neben dem Thema Rohstoffe liegt vor allem die Förderung des Mittelstandes im Interesse unserer beiden Länder.

Die Einrichtung einer so genannten Kontaktstelle Mittelstand im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft im Mai diesen Jahres ist ein erster Schritt, dem mit Unterstützung beider Regierungen weitere folgen müssen. Ein erfolgreicher Mittelstand ist auch in Russland die Grundlage für eine international konkurrenzfähige Wirtschaft. Und ich habe sehr gerne gehört, dass Minister Kudrin trotz des Rohstoffreichtums Russlands, das Thema Effektivität der Wirtschaft und Diversifizierung sehr stark betont hat.

Der bilaterale Austausch von Studenten und Wissenschaftlern sollte noch stärker gefördert werden, zum Beispiel durch Stipendienprogramme und die Förderung von Praktika in deutschen und russischen Unternehmen.

Gut ausgebildete Fachkräfte sind ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche Wirtschaft. Deutschland sollte Russland daher noch stärker bei der Einführung Dualer Ausbildungssysteme unterstützen.

Der deutsch-russische Jugendaustausch sollte aufgewertet werden. Dazu ist es wichtig, dass die russische Seite ihre finanzielle Unterstützung auf das Niveau der deutschen staatlichen Förderung anhebt und die Kompetenzen des Russischen Nationalen Koordinierungsbüros stärkt.

Umgekehrt sollte, nein muss sich die Bundesregierung stärker in die Finanzierung des Petersburger Dialogs einbringen. Im Koalitionsvertrag ist zumindest eine „Weiterentwicklung des Petersburger Dialogs“ erwähnt, was wir sehr begrüßen. Hier muss auf deutscher Seite noch mehr getan werden.

Ebenfalls erwähnt wird das Thema „Liberalisierung der Visaregelungen“. Sie wissen, dass dieses Thema für den Ost-Ausschuss von hoher Priorität ist. Wir sind hier sehr gespannt auf weitere Initiativen der Bundesregierung auf nationaler Ebene, aber auch, wie sich die Bundesregierung dazu in Brüssel einbringen wird.

Russland möchte im Doing Business Report der Weltbank bis 2018 einen Platz unter den weltweit 20 attraktivsten Investitionsstandorten erreichen. Eine sehr unterstützungswürdige Initiative und Zielsetzung. Im Vergleich zum Vorjahr gelang immerhin bereits eine Verbesserung um etwa 20 Plätze auf nun Rang 92. Ein langer Weg ist zu gehen, aber mehr als die ersten Schritte sind bereits getan und ich bin zuversichtlich, dass mit großem Engagement weitere folgen werden.

Deutschland sollte diese Anstrengungen, die auch eine weitere Verbesserung der Rechtssicherheit für Investoren umfassen, aktiv unterstützen und aktiver für Russlands Aufnahme in die OECD werben.

Schlussbemerkung

Und damit komme ich zu meiner Schlussbemerkung: Die Entwicklung in Russland verläuft aus Sicht der deutschen Wirtschaft nicht einseitig negativ, wie es manchmal in der Sicht der deutschen Medien scheint. Herr Kudrin hat darauf hingewiesen, dass Russland erst seit 10 Jahren den Status einer Marktwirtschaft hat und dass es erst 2006 die Kapitalverkehrskontrollen abgeschafft hat und darauf hinarbeitet, die Rohstoffabhängigkeit zu reduzieren. Dass diese Schritte eingeleitet worden sind, findet man nicht in der nötigen Ausgewogenheit in der deutschen schreibenden Zunft. Wir wissen, dass das Deutschlandbild in Russland von einer anderen Qualität ist, als das Russlandbild in Deutschland. Das ist ein Zustand, den wir nicht hinnehmen sollten. 

Aber es gibt durchaus auch Punkte, die man kritisieren muss und unter Partnern auch kritisieren darf. Russland muss sich insgesamt die Frage stellen, ob das gesellschaftliche Umfeld attraktiv für ausländische Investoren ist. Die positiven Impulse durch den russischen WTO-Beitritt bleiben leider bislang auch hinter den Erwartungen zurück, auch wenn wir wissen, dass wir es zum Teil mit sieben-jährigen Übergangsfristen zu tun haben. Stattdessen nehmen protektionistische Maßnahmen in Russland zu. Das verunsichert Investoren und lässt diese ihr Engagement in Russland überdenken.

Zu einer wirtschaftlich positiven Entwicklung gehört zudem ein Klima, in dem sich junge Leute als Unternehmer betätigen und verwirklichen können. Diese Gruppe muss für die Modernisierung des Landes gewonnen werden. Wenn diese Menschen sich politisch nicht repräsentiert fühlen und daran denken, das Land zu verlassen, ist dies ein Warnsignal.

Ein modernes und wirtschaftlich starkes Russland - das möchte ich zum Abschluss noch einmal betonen - liegt im zentralen deutschen Interesse. Die Rezepte dazu - Minister Kudrin hat sie vorgestellt - sind in Russland bekannt. Und einiges davon konnte in der Reformphase nach dem Jahr 2000, an der Herr Kudrin selbst großen Anteil hatte, sehr erfolgreich in Russland erprobt werden. Wir hoffen sehr, dass Russland an diese liberale Reformzeit wieder anknüpft. Was wir als Ost-Ausschuss und als deutsche Wirtschaft tun können, diesen Prozess zu unterstützen, werden wir gerne und mit gutem Engagement machen.

Enge Wirtschaftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland sind der Schlüssel zu einem wirtschaftlich erfolgreichen Europa. Intensive Wirtschaftsbeziehungen wiederum helfen uns dabei, ein besseres gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und uns gesellschaftlich noch enger zu verbinden.

Die vergangenen 20 Jahre waren, trotz einiger Tiefen, eine große deutsch-russische Erfolgsgeschichte. Diese Erfolgsgeschichte wollen wir fortschreiben. Dazu brauchen wir einen offenen, engagierten und vertrauensvollen Dialog. Dass wir ihn gemeinsam führen können, das beweisen wir heute.

Und damit wünsche ich uns und Ihnen allen noch einen spannenden weiteren Verlauf dieser Veranstaltung.

Vielen Dank!"

Ansprechpartner

Kontakt:

Dr. Christiane Schuchart
Tel: 030 206167 - 123
C.Schuchart@bdi.eu

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