Die herausfordernde Lage der Industrie in Europa sowie die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit waren zentrale Themen auf dem 3. Deutsch-Polnischen Wirtschaftsforum in Berlin am 15. September mit Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche und dem neuen polnischen Superminister für Finanzen und Wirtschaft Andrzej Domański. Dies überrascht nicht, schließlich trägt die Industrie in beiden Ländern jeweils rund ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt bei. Ziel des Forums war es, den bilateralen Dialog zwischen deutschen und polnischen Unternehmen zu fördern und damit neue Impulse für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu setzen. Dabei standen die industrielle Kooperation zwischen Deutschland und Polen sowie die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen Regionen im Vordergrund.
Eröffnet wurde das Forum, an dem rund 350 Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen, Politik und Verbänden aus beiden Ländern teilnahmen, mit Reden beider Minister. Die Veranstaltung unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sowie des polnischen Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Technologie wurde vom Ost-Ausschuss gemeinsam mit der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen), der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), und der Polnischen Agentur für Investition und Handel (PAIH) organisiert.
Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zeichnete Polen zur Begrüßung als ein Land mit enormem Zukunftspotenzial, einer jungen, dynamischen Bevölkerung und einem starken Innovationsdrang. Deutschland könne viel von Polen lernen, umgekehrt sei Deutschland der perfekte Partner für die Modernisierung seiner Industrie. „Von der Achse Berlin–Warschau werden wir noch viel hören“, so Melnikov.
Auch der stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende Philipp Haußmann hob die Rolle Polens als Innovationspartner hervor. „Made in Poland‘ ist längst zu einem Qualitätssiegel avanciert – davon könnten wir in Deutschland uns hin und wieder eine Scheibe abschneiden.“ sagte Haußmann. Er verwies auf die beeindruckenden Handelszahlen: Das bilaterale Handelsvolumen zwischen beiden Ländern erreichte im ersten Halbjahr 2025 einen Rekordwert von über 105 Milliarden – ein Plus von sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Polen ist Deutschlands viertgrößter Exportpartner und liegt bei den deutschen Ausfuhren noch vor China. Über den Handel hinaus sei Polen für die deutsche Wirtschaft ein Innovationspartner auf Augenhöhe geworden. Sein eigenes Unternehmen, die Ernst Klett AG, arbeite in Posen mit der dortigen Universität beim Megatrend Künstliche Intelligenz zusammen.
Diese Erfolgsgeschichte im Herzen Europas sei aber kein Selbstläufer. „Wir brauchen mehr Warschau, sowohl in Brüssel als auch in Berlin: mehr Wachstum, mehr Innovationen und mehr Can-Do-Spirit“, sagte Haußmann. Nur dann gehe es in Europa und in Deutschland voran. Gleichzeitig warnte der stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende vor den möglichen negativen Auswirkungen von Grenzkontrollen auf den Güterverkehr und forderte hier ein „Back to normal“.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche betonte in ihrer Rede die strategische Bedeutung der deutsch-polnischen Partnerschaft für die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Stabilität Europas. Angesichts der jüngsten Drohnenangriffe auf Russland unterstrich sie die Solidarität Deutschlands mit Polen. Reiche würdigte die polnischen Verteidigungsausgaben als vorbildlich und sprach sich für eine engere Kooperation in der Rüstungsindustrie aus.
Sie hob die Bedeutung der deutsch-polnischen Kooperation auch für Europa insgesamt hervor. „Erfolg entsteht nicht im Alleingang – Europa braucht ein starkes Deutschland, ein starkes Polen“, sagte Reiche. „Die deutsch-polnische Partnerschaft ist Fundament und eine Triebfeder für Europa“. Sie kritisierte die wirtschaftliche Selbstzufriedenheit in Deutschland und mahnte Reformbereitschaft an. Während Polen sich seine Wettbewerbsfähigkeit durch harte Reformen erarbeitet habe, sei in Deutschland zu wenig dafür getan worden, die industrielle Basis zu erhalten. Die Bundeswirtschaftsministerin warb auch für ein engeres wirtschaftspolitisches Zusammenwirken über bilaterale Formate hinaus. Das Weimarer Dreieck mit Deutschland, Polen und Frankeich könne ein Forum für wirtschaftliche Zusammenarbeit werden.
Der polnische Minister für Finanzen und Wirtschaft Andrzej Domański warnte angesichts beispielloser globaler Herausforderungen vor einer drohenden Marginalisierung Europas. „Die Zeit der Atempause ist vorbei,“ sagte Domanski. „Wenn wir die europäische Industrie nicht wieder aufbauen, werden wir nicht in der Lage sein, die neue Weltordnung mitzugestalten.“ Als Länder mit starken Industriesektoren könnten Polen und Deutschland entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit Europas beitragen. Polen investiere gezielt in Innovationen, etwa im Luftfahrtsektor, in den Ausbau erneuerbarer Energien und in die Entwicklung eigener digitaler Infrastrukturen und der Künstlichen Intelligenz.
Mit Blick auf die EU mahnte Domański eine kritische Überprüfung bestehender Berichtspflichten und eine gezielte Deregulierung an. Polen habe bereits über 200 Regulierungen abgebaut und sei in die Gruppe der 20 größten Volkswirtschaften weltweit aufgestiegen – ein Erfolg, der eng mit der EU-Mitgliedschaft verknüpft sei. „Wo wären wir als Polen jetzt, wenn wir nicht Mitglied der EU wären?“, fragte der Minister.
Im anschließenden Panel, an dem zunächst auch die beiden Minister teilnahmen, diskutierten Vertreterinnen und Vertreter deutscher und polnischer Industrieunternehmen darüber, wie Deutschland und Polen ihre Wettbewerbsfähigkeit in einem zunehmend herausfordernden globalen Umfeld stärken können. Bundeswirtschaftsministerin Reiche betonte die Notwendigkeit eines tragfähigen Energiemixes und lobte Polen für seine pragmatische Herangehensweise an die Energiewende. Ihr polnischer Amtskollege Andrzej Domański unterstrich die Bedeutung von Investitionen in Netze, Wind- und Atomkraft sowie die Diversifizierung der Wachstumsquellen. Vertreter der Industrie warnten vor Deindustrialisierungstendenzen, insbesondere in der Chemiebranche, und forderten eine stärkere europäische Reaktion auf unfaire Wettbewerbsbedingungen im globalen Handel. Die Panelteilnehmer sprachen sich für eine engere Zusammenarbeit in strategischen Bereichen wie der Verteidigungsindustrie und Halbleiterproduktion aus. Einigkeit bestand darin, dass Innovation, Reformbereitschaft und ein gemeinsames wirtschaftspolitisches Handeln entscheidend für Europas Zukunft sind.
Das zweite Panel warf einen praxisnahen Blick auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf regionaler Ebene – von Sachsen bis in die südostpolnische Region Vorkarpaten. Vorgestellt wurden erfolgreiche Kooperationsprojekte wie die Initiative zur klimaneutralen Stadt in Görlitz, die gemeinsam mit der polnischen Grenzstadt mit europäischer Förderung umgesetzt wird. Am Beispiel des polnischer Halbleiterproduzenten VIGO zeigte sich, wie eng die bilaterale Zusammenarbeit in Branchen wie Chemie, Eisenbahn und Pharma bereits funktioniert. Der Außenhandel Sachsens mit Polen hat sich seit 1991 verzehnfacht und ist für das Bundesland wirtschaftlich noch bedeutender als für Deutschland insgesamt. Auch die Region Vorkarpaten, obwohl nicht direkt an Deutschland angrenzend, pflegt enge Beziehungen zu deutschen Partnern – mit über 130 Firmen mit deutschem Kapital und Kooperationen in Luftfahrt, Automobilzulieferung und Wissenschaft. Als potenzieller Hub für den Wiederaufbau der Ukraine gewinnt die Region zusätzlich an strategischer Bedeutung.
In einem Dialog zwischen den beiden Diskussionsrunden warnte die frühere polnische EU-Kommissarin Danuta Hübner vor einer zunehmenden geopolitischen Unordnung und der Gefahr, dass Europa in der neuen Weltordnung an Einfluss verliere. Sie forderte, dass Europa sich aktiver in globale Handelsfragen einbringen müsse – insbesondere bei Zukunftsthemen wie KI und Rohstoffen. Ihre zentrale Botschaft: Europa müsse sich wirtschaftlich und politisch wappnen – für ein 21. Jahrhundert, das noch 75 Jahre dauere. „Ich habe heute so viel Lob über Polen gehört, dass ich fast rot geworden bin“, sagte sie im Hinblick auf die deutsch-polnischen Beziehungen, wies aber darauf hin, dass Deutschland großen Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung Polens habe.
Im Vorfeld des Deutsch-Polnischen Wirtschaftsforums fanden am Vormittag drei parallele Workshops statt, in denen deutsche und polnische Unternehmen mit Vertretern des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie sowie des polnischen Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Technologie über Industriepolitik, die Transformation der Energiemärkte und wirtschaftliche Resilienz sprachen.
Christian Himmighoffen
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Adrian Stadnicki
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