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„Business braucht Frieden“

27.10.2015

Über 600 Konferenzteilnehmer informieren sich in Berlin über die Reformfortschritte in der Ukraine

Die Konferenz „Wirtschaftspartner Ukraine“ dürfte mit Abstand die größte Veranstaltung ihrer Art gewesen sein, die es seit der Unabhängigkeit des Landes 1991 in Deutschland gegeben hat: Rund 600 Teilnehmer und 70 Journalisten kamen am 23. Oktober 2015 ins Haus der Deutschen Wirtschaft, um die Statements von Bundeskanzlerin Angela Merkel, des ukrainischen Premiers Arsenij Jazenjuk, vielen Ministern seines Kabinetts und in der Ukraine aktiven Unternehmern zu hören und sich über den Stand der Reformbemühungen zu informieren. Organisiert hatten die Konferenz der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), die Delegation der deutschen Wirtschaft in der Ukraine, die ukrainische Botschaft und der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft.

„Business braucht Frieden. Er ist die Voraussetzung für Aufschwung und Wirtschaftsentwicklung“, sagte Ost-Ausschuss-Vorsitzender Eckhard Cordes, als er zusammen mit DIHK-Präsident Eric Schweitzer die Konferenz eröffnete. Der Frieden in der Ukraine, lobte Cordes die Bundeskanzlerin, sei Dank des Minsk-Abkommens in den vergangenen Wochen etwas sicherer geworden. Zudem sei es der ukrainischen Regierung durch „beherzte Reformen“ gelungen, die Währung des Landes zu stabilisieren, eine Umschuldung auf den Weg zu bringen und die rasante Talfahrt der Wirtschaft zu beenden. „Das sind beachtliche Ergebnisse, die höchste Anerkennung verdienen. Aber sie markieren noch nicht das Ende der notwendigen Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft. Darüber sind wir uns alle einig“, so Cordes und verwies auf die weiter bestehenden Probleme mit fehlender Rechtssicherheit und Korruption. Für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum sei zudem die Erhaltung der traditionell engen wirtschaftlichen Verbindungen nach Russland und in die Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion wichtig. „Langfristig ist es unser Ziel, dass sowohl die Ukraine als auch Russland Teil eines gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraums werden.“

Die Bundeskanzlerin nahm diesen Ball direkt auf: Das Freihandelsabkommen, das die EU mit der Ukraine zum 1. Januar 2016 in Kraft setzen wolle, sei eine Chance für den Reformprozess in der Ukraine und nicht gegen Russland gerichtet. „Im Gegenteil: Wir wollen gute Wirtschaftsbeziehungen der Ukraine mit der Europäischen Union, zu Deutschland, aber gleichermaßen auch zu Russland.“ In der Langzeitperspektive sei ein Zusammenwachsen beider Wirtschaftsräume das Ziel. „Deshalb ist es auch so wichtig, dass die trilateralen Gespräche zwischen der Europäischen Union, der Ukraine und Russland zur Umsetzung des Freihandelsabkommens konstruktiv und zielorientiert fortgeführt werden.“

Von der ukrainischen Regierung erwartet Merkel, dass sie „konsequent auf Reformkurs“ bleibt. „Das gilt insbesondere mit Blick auf die Beseitigung der Korruption. Besonders darauf achten deutsche Unternehmen und wollen, dass es eine Gleichbehandlung mit ukrainischen Unternehmen gibt, dass es Transparenz gibt, dass Prozesse nachvollziehbar sind.“ Der ukrainischen Delegation sicherte Merkel zu, dass Deutschland „ein guter Begleiter auf dem Weg hin zu Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität sein“ möchte. Die Kredit-Auflagen des IWF für die Ukraine nannte Merkel „ein hartes Programm“. Sie wolle sich deshalb dafür einsetzen, dieses Programm durch weitere Hilfen „abzufedern“.

Der ukrainische Premierminister Jazenjuk sah sein Land noch mitten in einem schwierigen Transformationsprozess. Seine Regierung habe im Rekordtempo Reformen angepackt, die 20 Jahre lang verschleppt worden seien. Einige große Aufgaben seien aber noch nicht erledigt, räumte der Premier ein. „Man muss endlich eine Gerichtsreform durchführen, man muss alle 9000 korrumpierten Richter ersetzen.“ Erste Erfolge gebe es im Energiebereich. „Es gibt keine Gasoligarchen mehr“, betonte der Premierminister und verwies auf die erfolgreichen neuen Verhandlungen mit Russland über ein neues „Winterpaket“. Hier sei es gelungen, korrupte Zwischenhändler auszuschalten. „Das Land kann nicht politisch frei sein, wenn es keine starke und offene Wirtschaft gibt“, warb Jazenjuk um das Vertrauen von potenziellen Investoren: „Um Reformen umzusetzen, brauchen wir Ihre Unterstützung.“ Ein wichtiges Signal der deutschen Seite für ein stärkeres wirtschaftliches Engagement ist die Aufwertung der bisherigen Delegation der Deutschen Wirtschaft in Kiew zu einer vollwertigen Auslandshandelskammer. Die entsprechenden Verträge wurden im Rahmen der Konferenz durch den ukrainischen Minister für wirtschaftliche Entwicklung Aivaras Abromavičius und die beiden Staatssekretäre Markus Ederer (Auswärtiges Amt) und Matthias Machnig (Wirtschaft und Energie) unterzeichnet. Die ukrainische Finanzministerin Natalie Jaresko und der Vizepräsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) Phil Bennet unterschrieben zudem eine Garantievereinbarung über 300 Millionen Dollar zur Finanzierung russischer Gaslieferungen an die Ukraine.

In durchweg hochkarätig besetzten Paneldiskussionen wurden anschließend die Wirtschaftsreformen in der Ukraine genauer analysiert. Die größten deutschen Investoren in der Ukraine wie Leoni, Metro, Siemens, BASF, RWE, Bombardier, SAP, John Deere, dena, die KfW Bankengruppe und die Deutsche Bank berichteten von ihren bisherigen Erfahrungen und formulierten ihre Erwartungen an die ukrainische Politik. Während die im europäischen Vergleich niedrigen Lohnkosten in der Ukraine und der hohe Ausbildungsstand der Bevölkerung durchweg als große Pluspunkte vermerkt wurden, gab es immer wieder Kritik an intransparenten Strukturen. Ganz oben auf dem Merkzettel stehen die Reformierung des Zollsystems mit Hilfe westlicher Berater sowie eine Steuerreform, die die Schattenwirtschaft beseitigt und mit einheitlich niedrigen Steuersätzen Investitionsanreize verstärkt. Die Finanzministerin habe bereits ein Modell für eine Flat-Tax vorgelegt, sagte Wirtschaftsminister Abromavičius, die Gegenfinanzierung sei aber derzeit noch umstritten. Abromavičius kündigte zudem eine Neuauflage des Privatisierungsprogramms für Staatsbetriebe an. Das alte Programm sei von ihm aufgrund fehlender Transparenz gestoppt worden. Der gebürtige Litauer wünschte sich ausdrücklich, dass bei den Privatisierungen nun anstelle russischer oder ukrainischer Firmen westliche Investoren zum Zuge kommen: „Die Ukraine ist offen für Sie, lassen Sie uns gemeinsam das Land verändern.“

In weiteren Diskussionsrunden am Nachmittag wurden besonders attraktive Sektoren der ukrainischen Wirtschaft genauer betrachtet. Dazu zählten die Branchen Energie, Transport und Logistik, IT, Landwirtschaft und Ernährungsindustrie. Zum Landwirtschaftspanel konnte Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Rainer Lindner als Moderator unter anderen den ukrainischen Landwirtschaftsminister Oleksiy Pavlenko und den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium Peter Bleser begrüßen. Die Ukraine verfügt über die weltweit fruchtbarsten Böden und gehört zu den weltgrößten Weizenexporteuren. 14 Prozent trägt der Sektor bereits zum ukrainischen Bruttoinlandsprodukt bei. Vor allem das Agrobusiness und die daran gekoppelten Wertschöpfungsketten gelten daher als Trumpfkarte der Ukraine bei dem Versuch, sich wirtschaftlich zu erholen.

Andreas Metz
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

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