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„Wir wollen das Momentum nutzen“

Der armenische Wirtschaftsminister Gevorg Papoyan im Gespräch mit deutschen Unternehmen im Haus der Deutschen Wirtschaft. Foto: Andreas Metz
29.10.2025
Armeniens Wirtschaftsminister erwartet nach dem Ende des Konflikts mit Aserbaidschan eine neue Ära im Südkaukasus / Round-Table in Berlin

Am 29. Oktober 2025 lud der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft gemeinsam mit der DIHK zu einem Business Roundtable mit Armeniens Wirtschaftsminister Gevorg Papoyan ein. Rund 50 Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen und Institutionen besprachen im Haus der Deutschen Wirtschaft aktuelle Investitionsmöglichkeiten, wirtschaftspolitische Entwicklungen und neue Perspektiven nach der jüngsten Friedensvereinbarung mit Aserbaidschan.

In seinem Eingangsstatement hob Papoyan die historische Bedeutung des Friedensabkommens zwischen Armenien und Aserbaidschan hervor, das im Sommer 2025 auf Vermittlung der USA finalisiert werden konnte (siehe Statement des Ost-Ausschusses vom 12. August: „Frieden im Südkaukasus stärkt auch Europa“  „Das Agreement ist ein Game Changer für die ganze Region“, freute sich Papoyan. Die neue Lage eröffne völlig neue Chancen für Handel und Investitionen in der lange von kriegerischen Auseinandersetzungen und Spannungen geprägten Region. Das Abkommen mache ein Engagement für internationale Investoren nun kalkulierbarer und sicherer.

Durch die anstehende Öffnung der Grenzen zu seinen Nachbarländern Türkei und Aserbaidschan haben Armenien nun wieder die Möglichkeit, zu einer wirtschaftlichen Drehscheibe zwischen dem Mittleren Osten und dem Schwarzen Meer sowie Zentralasien und Europa zu werden, so Papoyan. In den kommenden Wochen erwarte man erstmals seit 1991 wieder direkte Weizenlieferungen aus Kasachstan durch Aserbaidschan nach Armenien.

Dieses Momentum wolle man auch nutzen, um die Beziehungen zu Deutschland auf eine neue Stufe zu heben. Gerade beim anstehenden Ausbau der grenzüberschreitenden Verkehrswege seien deutsche Investoren sehr erwünscht. Papoyan betonte, seine Regierung habe ein stabiles und verlässliches Investitionsklima geschaffen und Reformen eingeleitet, die deutschen Unternehmen den Zugang erleichtern. So könnten ausländische Firmen ohne zusätzliche Lizenzanforderungen an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen – etwa beim Ausbau von Straßen- und Eisenbahn-Verbindungen, bei der Modernisierung der Wasserwirtschaft und beim Ausbau von Schulen, Kindergärten und anderen öffentlichen Einrichtungen. Als Land mit nur drei Millionen Einwohnern sei Armenien auf ausländische Anbieter und Investoren angewiesen, um seine öffentliche Infrastruktur schnell zu modernisieren.

Ein zentraler Schwerpunkt der armenischen Wirtschaftspolitik sei die Energie- und Klimawende. Bis 2040 soll der Anteil erneuerbarer Energien auf 40 Prozent steigen. Solar-, Wasser- und Windkraft sollen die Abhängigkeit von einzelnen Energiepartnern reduzieren. „Mit über 300 Sonnentagen im Jahr ist Armenien ein attraktiver Standort für Solarprojekte“, betonte Papoyan. 

Auch die Wasserwirtschaft spielt eine zentrale Rolle in Armeniens Entwicklungsstrategie: In den kommenden Jahren sollen rund zwei Milliarden Dollar in die Modernisierung von Trink- und Bewässerungssystemen fließen, die wie auch die Verkehrsinfrastruktur meist noch aus der Sowjetzeit stammen. „Ohne Hilfe ausländischer Unternehmen werden wir unsere Ziele nicht erreichen können“, sagte Papoyan und lud deutsche Firmen ein, sich an Ausschreibungen zu beteiligen. Besonders in den Bereichen Smart Water Infrastructure, Kreislaufwirtschaft und Abwassertechnik gebe es großes Potenzial. Deutschland sei auf diesem Gebiet „ein sehr geschätzter Partner“. Papoyan verwies zudem auf Armeniens Fortschritte bei der Anpassung an europäische Standards, insbesondere in der Landwirtschaft, und auf die Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen als „Rückgrat der Wirtschaft“. 

Stabiles Wachstum

Im Anschluss präsentierte die Agentur Enterprise Armenia aktuelle Wirtschaftsdaten: Armenien erzielte 2024 ein Wachstum von 8,3 Prozent, erwartet für 2025 rund 5,9 Prozent. Das Durchschnittseinkommen liegt bei international sehr konkurrenzfähigen 730 Dollar. Die Unternehmenssteuern sinken derzeit auf 18 Prozent. Armenien ist Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion, verfügt über ein Assoziierungsabkommen mit Handelspräferenzen mit der EU sowie über Abkommen mit einer Reihe weiterer Länder wie Japan und Kanada. Als aktuell besonders wachstumsstark gelten die Pharma- und Hightech-Industrie sowie der Agrar- und Ernährungssektor. Auch im Tourismus erwartet man stetiges Wachstum.

Ricardo Giucci vom German Economic Team, das seit 2019 die armenische Regierung zu Wirtschaftsreformen berät, lobte die makroökonomische Stabilität: „Trotz zahlreicher externer Schocks verzeichnet Armenien ein starkes Wachstum, stabile Währungsreserven und niedrige Inflation.“ Giucci nahm Armenien auch gegen Verdächtigungen in Schutz, an der Umgehung westlicher Sanktionen gegen Russland mitzuwirken. Die Regierung habe hier starke Maßnahmen eingeführt, „Nach aktueller Datenlage gibt es praktisch gar keine Umgehung mehr nach Russland“, so Giucci. 

Dennoch zeigt ein Blick auf die Landkarte, dass Armenien weiterhin auch mit dem Faktor Russland kalkulieren muss. Das Land ist mit einem Anteil von 24 Prozent an den armenischen Exporten der wichtigste Handelspartner und liefert selbst vor allem Energie und Getreide. Auch durch die Mitgliedschaft in der Eurasischen Union bleibt Armenien gebunden. Mit einem EU-Beitrittsersuchen sei daher wohl in nächster Zeit eher nicht zu rechnen, hieß es am Rande des Round-Table von Expertenseite. Da spiele auch das mahnende Beispiel Georgien eine Rolle, das sich von seinen eigenen EU-Ambitionen derzeit politisch zunehmend verabschiedet. Armenien geht offenbar bewusst vorsichtiger voran, strebt zwar eine Annäherung an die EU und die Übernahme von EU-Standards in seine Gesetzgebung an, ohne aber einen Beitrittsantrag zu stellen.

Austausch mit Unternehmen

In der abschließenden Gesprächsrunde, die von Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms moderiert wurde, kamen Vertreter deutscher Unternehmen zu Wort. Themen waren unter anderem die Modernisierung von Wasserverteilungssystemen, Infrastrukturprojekte, Energiekooperationen und Landwirtschaft. Firmen, die wie Zeppelin und Claas, die bereits seit vielen Jahren im Land aktiv sind, berichteten von ihren Plänen. Auch das Thema Start-up-Förderung wurde angesprochen: Gerade die junge IT-Szene in der Hauptstadt Jerewan ist für westliche Partner interessant. 

Die Perspektiven für eine Vertiefung der deutsch-armenischen Wirtschaftsbeziehungen sind jedenfalls derzeit so gut wie lange nicht. Der Ost-Ausschuss und die DIHK planen deshalb bereits die nächsten Veranstaltungen. Auch die armenische Botschaft in Berlin stehen für Anfragen jederzeit zur Verfügung, wie Botschafter Viktor Yengibaryan abschließend betonte.

Andreas Metz,
Leiter Public Affairs im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Kontakt

Alena Akulich
Regionaldirektorin Osteuropa
T. +49 30 206167-113
A.Akulich@oa-ev.de

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