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Zwischen Rekordernte und Protektionismus

Wie mit dem Lineal gezogen: Felder im Süden Russlands aus der Vogelperspektive. Foto: Ost-Ausschuss/Metz
28.07.2021
Russland will seinen Agrarsektor stärken, schwächt sich aber selbst durch Wettbewerbsverzerrungen

Harte innenpolitische Auseinandersetzungen, anhaltend niedriger Wechselkurs des Rubels und Markteingriffe durch die Regierung waren kennzeichnend für Russlands jüngste wirtschaftliche Entwicklung. Der nähere Blick auf den Agrarsektor gibt ein gemischtes Bild ab: 2020 bewegten sich die Getreideerträge erneut auf einem Rekordniveau von 133 Millionen Tonnen (2019: 121,3 Millionen Tonnen). Neben der Ackerwirtschaft expandierte auch die Viehwirtschaft und hier insbesondere die Milch- und Schweinefleischproduktion. Gleichzeitig aber musste im Herbst 2020 das Agrarministerium das von Präsident Wladimir Putin im Mai 2018 vorgegebene Ziel der Verdopplung der Agrarexporte auf 45 Milliarden US-Dollar bis zum Jahr 2024 einkassieren. Dies soll nunmehr bis 2030 erreicht werden. Außerdem machen sich neben Corona-bedingten Preissteigerungen weiterhin auch Wettbewerbs- und Marktverzerrungen bemerkbar, die durch das russische Embargo gegen Lebensmittel aus der EU entstanden sind: Ohne ausländische Konkurrenz sinkt der Preisdruck für Lebensmittel – was sich entsprechend in steigenden Preisen niederschlägt, die vor allem die ärmere Bevölkerung belasten (die einen überproportional hohen Teil ihrer sinkenden Einkommen für teurer werdende Grundnahrungsmittel ausgeben muss). Allein der Preis für Tomaten stieg von Januar 2020 bis Januar 2021 um 14,6 Prozent, die Kartoffelpreise im selben Zeitraum um 7,1 Prozent.

Die umfangreichen (wenn auch zukünftig sinkenden) Zuweisungen aus dem Staatshaushalt an Agrarproduzenten (2020 rund 300 Milliarden Rubel oder umgerechnet 3,3 Milliarden Euro) fördern die Produktion, tragen aber nur eingeschränkt zur Gesundung der russischen Wirtschaft bei. Mangelnde Staatseinnahmen und zahlreiche Subventionszusagen lassen den Staat nach neuen Einnahmen suchen – was sich auch für Landwirte rächt: So verlangt der russische Staat seit dem 15. Februar 2021 Ausfuhrzölle auf landwirtschaftliche Produkte (50 Euro pro Tonne Weizen), was unter Agrarproduzenten teilweise zu Verkaufspanik führte - in der Sorge, nicht mehr an den guten Getreidepreisen im Ausland verdienen zu können.

Ausfuhrzölle und „Entsorgungsgebühr“ – stehen beispielhaft für den Protektionismus

Zusätzliche Einnahmen verspricht sich der russische Staat zudem durch eine Erhöhung der „Entsorgungsgebühr“ – ein Posten, der nur bei Käufen ausländischer Landtechnik mit bis zu umgerechnet mehreren Tausend Dollar zu Buche schlägt. Russische Agrarproduzenten werden dadurch in ihrer Wahl der besten Technik eingeschränkt und produzieren letztlich weniger effizient. Diese Phänomene – Ausfuhrzölle und „Entsorgungsgebühr“ – stehen beispielhaft für den Protektionismus, der Russlands Handelspolitik seit Längerem prägt und auch auf andere wichtige Handelszweige, insbesondere Hochqualitätssaatgut, ausstrahlt. 

Gleichzeitig ist die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) mit ihrem Anspruch, einen ungehinderten Warenverkehr zwischen den Mitgliedern Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien zu gewährleisten, vorerst gescheitert: Mit Hinweis auf unzureichende phytosanitäre Dokumentation hat Russlands Phytosanitärbehörde Rosselchosnadsor im Frühjahr 2021 die Einfuhr von Kartoffeln aus Kasachstan bis auf Weiteres gestoppt. Russland befürchtet zudem die Einfuhr von sanktionierten EU-Lebensmitteln und unterläuft damit den Grundgedanken der EAWU eines Binnenmarkts mit freiem Warenverkehr. 

Beide Felder – Russlands nationale Agrarpolitik als auch Entwicklungen innerhalb der EAWU – bleiben angesichts der anhaltend schwierigen Rahmenbedingungen eine Herausforderung für in der Region engagierte Unternehmen.

Dr. Per Brodersen
Geschäftsführer German Agribusiness Alliance / Arbeitsgruppe Agrarwirtschaft beim
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V.

Ansprechpartner

Dr. Per Brodersen
Geschäftsführer German Agribusiness Alliance /
Arbeitsgruppe Agrarwirtschaft beim
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V.
Zusammenarbeit mit Russland, der Ukraine und Kasachstan im Bereich
Agrar- und Ernährungswirtschaft
Tel.: 030 206167-124
P.Brodersen@oa-ev.de

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