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Der ungarische Weg

Kettenbrücke über die Donau in Budapest. Auch in Ungarn trübt das Corona-Virus die wirtschaftlichen Aussichten ein. Foto: A. Metz
08.04.2020
Videokonferenz des OAOEV-Arbeitskreises Mittelosteuropa / Ungarn im Mittelpunkt

Ungarn stand im Mittelpunkt einer Video-Konferenz des OAOEV-Arbeitskreises Mittelosteuropa am 8. April, die vom Arbeitskreissprecher Philipp Haußmann moderiert wurde. Unter anderem waren Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Bundeswirtschaftsministeriums sowie der Geschäftsführende Vorstand der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer Gabriel Brennauer zugeschaltet. Ins Zentrum der Diskussion rückten dabei die Vorschläge der ungarischen Regierung zur Bewältigung der Corona-Krise, darunter eine Sondersteuer für große Investoren.

In den vergangenen Jahren gehörte Ungarn zu den Wachstumsmotoren der Europäischen Union. Die EU-Kommission prognostizierte dem Land im Februar noch ein Wachstum von 3,2 Prozent. Diese Prognose lag damals deutlich über dem erwarteten EU-Durchschnitt von 1,4 Prozent.
Dank der günstigen geographischen Lage, gut ausgebildeten Fachkräften, kompetitiven Lohnkosten sowie einer wettbewerbsorientierten Steuerpolitik konnte sich Ungarn in den vergangenen Jahren erfolgreich als Industriestandort profilieren. Besondere Bedeutung kommt hierbei der Automobilwirtschaft zu: Audi betreibt in Györ das größte Motorenwerk der Welt und Mercedes-Benz fertigt Fahrzeuge in Kecskemet. Noch 2019 hatte BMW angekündigt, in Debrecen ein neues Werk errichten zu wollen. Die Zulieferindustrie ist ebenfalls stark in Ungarn vertreten.

Die Priorität der Wirtschaftspolitik der Regierung hate sich zuletzt von „Made in Hungary“ zu „Invented in Hungary“ verschoben. Dementsprechend werden Investitionen in letzterem Bereich stärker gefördert. Ungarn wollte sich dazu weiter als Standort für die Zukunft der Automobilindustrie profilieren. Erst im Jahr 2019 wurde die Teilstrecke für Mobilitätskonzepte der Zukunft namens „ZalaZone“ eröffnet.

Als offene und exportorientierte Volkswirtschaft scheint Ungarn in der Corona-Krise nun aber besonders anfällig für eine globale Rezession zu sein. Die Produktion an den Automobilstandorten ist zum größten Teil eingestellt. Allerdings deutet sich an, dass die Produktion Ende April schrittweise wieder hochgefahren werden soll. Die ungarische Zentralbank geht in ihrer jüngsten Prognose weiterhin von einem Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent aus. Die Schätzungen der Zentralbank erwiesen sich in der jüngsten Vergangenheit oft als zutreffend.

Ausblick: Schlechter als 2009?

In einer Blitzumfrage der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer vom 29. März rechnen allerdings 93 Prozent der befragten Unternehmen nun mit einer konjunkturellen Verschlechterung in Ungarn. Rund ein Drittel der Unternehmen spürt bereits jetzt die negativen Auswirkungen der Krise. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Befragten die Geschäftsaussichten noch negativer einschätzen als während der Weltfinanzkrise 2009. Gleiches gilt für die Investitionsabsichten und für die Einstellung neuer Arbeitnehmer.

Zu Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise hat die ungarische Regierung am 7. April ein Maßnahmenpaket angekündigt. Dieses soll unter anderem Lohnzuschüsse zur Arbeitsschutzsicherung umfassen, um in der kritischen ersten Phase des Krisenmanagements möglichst viele Unternehmen und Arbeitsplätze zu erhalten. Das gesamte Volumen wird auf rund 5,5 Milliarden Euro geschätzt. Zudem soll ein Krisenmanagementfonds eingerichtet werden. An diesem sollen sich multinationale Unternehmen in Form einer Sondersteuer für Handelsunternehmen und Banken Beteiligen. Auch aus Tschechien hört man von Überlegungen, die in eine ähnliche Richtung gehen, wie im Verlauf der Video-Konferenz bekannt wurde.

Der OAOEV lehnt diese Sondersteuern, die vor allem große ausländische Investoren treffen würden, entschieden ab. In der Vergangenheit zeigte sich, dass für einen kurzfristigen Zweck anberaumte Sondersteuern mittelfristig nicht wieder annulliert werden und somit bestehen bleiben. Ferner könnten Sie als Blaupause für andere Länder dienen.

Gesetz zur Bekämpfung der Corona-Krise

Neben der Diskussion über die geplante Sondersteuer rückte Ungarn zuletzt aufgrund des Gesetzes zur Bekämpfung der Corona Krise vom 30. März medial in den Fokus der Öffentlichkeit, das der Regierung von Viktor Orbán weitreichende Sondervollmachten zugesteht. Auch die Meldung, dass Militärstäbe in Unternehmen entsendet werden, sorgte für Aufsehen. Im Rahmen der Videokonferenz stand daher die Frage der Folgen beider Maßnahmen für deutsche Unternehmen im Vordergrund. Nach Rückmeldung der Unternehmen üben die Militärstäbe derzeit keine aktive Rolle in den Firmen aus. Die Unternehmen und Verbände hoffen aber, dass – analog zu Deutschland – die Sonderregelungen und Krisenmaßnahmen inklusive der eingeführten Grenzkontrollen nach der Krise umgehend wieder aufgehoben werden und kein ungarischer Sonderweg entsteht.  

Die Ankündigung eines Schuldenmoratoriums durch Viktor Orbán bis zum Ende des Jahre 2020 sorgte innerhalb Ungarns dagegen für Beruhigung. Experten sind sich einig, dass es sich dabei um einen klugen Schachzug handelte, der maßgeblich zur weiteren Stabilisierung der Situation beiträgt.

Ansprechpartner

Adrian Stadnicki
Regionaldirektor Mittelosteuropa
Tel.: 030 206167-138
A.Stadnicki@bdi.eu

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