
Es geht um eine Strecke, die 870 Kilometer lang ist und künftig die Baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen mit Polen und dem mitteleuropäischen Bahnnetz verbinden soll. Im Rahmen des Seminars „Rail Baltica – a gateway to Europe’s future and resilience“ versammelten sich am 18. Juni in Berlin rund 100 Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Diplomatie, um über den aktuellen Stand, die strategische Bedeutung und die Herausforderungen dieses transeuropäischen Infrastrukturvorhabens zu diskutieren.
Eingeladen hatten die Rail Baltica Projektgesellschaft sowie die Botschaften Estlands, Lettlands und Litauens in Deutschland mit Unterstützung des Ost-Ausschusses und der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).
„Rail Baltica ist für die deutsche Wirtschaft ein bedeutendes Projekt“, sagte Michael Harms, der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses im Vorfeld der Konferenz „Zum einen sind deutsche Unternehmen schon heute an Planung und Bau der Infrastruktur unmittelbar beteiligt. Zum anderen wird die Anbindung des baltischen Wirtschaftsraums für den Passagier- und Gütertransport an Deutschland sowie Mittel- und Südosteuropa erheblich verbessert. Rail Baltica ist somit ein ganz wichtiger Baustein für die weitere Integration des europäischen Binnenmarkts.“
In ihren Eröffnungsreden betonten die baltischen Botschafterinnen und Botschafter die historische und strategische Tragweite des Projekts. Die lettische Botschafterin Alda Vanaga sprach von einer „historischen Korrektur“, die die durch die sowjetische Besatzung unterbrochenen Verbindungen zwischen dem Baltikum und dem restlichen Europa wiederherstelle. Ihre estnische Kollegin Marika Linntam hob hervor, dass Rail Baltica weit über eine rein regionale Maßnahme hinausgehe. Sie bezeichnete das Vorhaben als „wahrhaft europäische Initiative“ und äußerte ihre persönliche Vorfreude auf eine künftige Hochgeschwindigkeitsreise von Tallinn nach Berlin. Giedrius Puodžiūnas, Botschafter Litauens, verwies auf die sicherheitspolitische Bedeutung von Rail Baltica im aktuellen geopolitischen Kontext. Die rechtzeitige Fertigstellung des Projekts sei ein Beitrag zur kollektiven Sicherheit Europas und ein klares Signal für strategische Resilienz.
In Fachvorträgen präsentierten die führenden Projektverantwortlichen der beteiligten Länder, Marko Kivila (CEO RB Rail), Anvar Salomets (Rail Baltic Estonia), Jānis Naglis (Eiropas Dzelzceļa līnijas) und Vytautas Tilinskas (LTG Infra), den aktuellen Stand der Planungs- und Bauarbeiten. Ein zentrales Thema war die Finanzierung des Projekts: Angesichts gestiegener Materialkosten und durch den russischen Krieg in der Ukraine gestörter Lieferketten betonten die Referenten die Notwendigkeit einer nachhaltigen und rechtzeitigen Bereitstellung von EU-Mitteln. „Im Moment konzentrieren wir uns darauf, den nötigen Treibstoff zu sichern, um unser Ziel zu erreichen – und dieser Treibstoff ist die Finanzierung“, so Kivila.
In der anschließenden Diskussionsrunde mit Vertreterinnen und Vertretern von Rail Baltica und beteiligten Unternehmen wurde die zentrale Rolle von Rail Baltica für die bessere Anbindung des Baltikums sowohl untereinander als auch an den restlichen europäischen Raum verdeutlicht. Trotz der geografischen Nähe der baltischen Staaten sind die aktuellen Reisezeiten zwischen den Hauptstädten ineffizient: Für die rund 300 Kilometer von Riga nach Tallinn benötigt man derzeit etwa sieben Stunden. Rail Baltica soll diese Fahrzeiten deutlich verkürzen und neue Verbindungen schaffen, etwa zwischen Vilnius und Tallinn, die bisher gar nicht existierten. Die mehrheitliche Finanzierung durch die EU wurde als strategisch sinnvoll hervorgehoben, da ein Großteil der Investitionen der europäischen Wirtschaft zugutekommt. Das Projekt steht zudem im Einklang mit dem Green Deal der EU, da die Bahn ein umweltfreundliches Verkehrsmittel ist. Langfristig wird Rail Baltica nicht nur vier Länder – inklusive Polen – verbinden, sondern auch neue Geschäftsmodelle ermöglichen und erfordern, da der Frachtverkehr aus dem Osten zurückgegangen ist.
Rail Baltica ist eines der größten Hochgeschwindigkeitsbahnprojekte Europas und Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V). Initiiert im Jahr 2014, soll das EU-geförderte Projekt die Konnektivität zwischen den baltischen Staaten und dem restlichen Europa verbessern, die regionale Sicherheit stärken und das wirtschaftliche Wachstum in Estland, Lettland und Litauen fördern. Die neue Hochgeschwindigkeitsbahnlinie Rail Baltica wird vollständig elektrifiziert und auf europäischer Normalspur gebaut. Dies ist ein bedeutender Schritt zur Überwindung der russischen Breitspurtradition in der Region.
Mit einer geplanten Höchstgeschwindigkeit von 234 Stundenkilometern soll Rail Baltica nicht nur die Reisezeiten zwischen den Metropolen drastisch verkürzen, sondern auch eine nachhaltige Alternative zu Flug- und Autoverkehr bieten. Die neue Bahnlinie ist sowohl für den Personen- als auch für den Gütertransport ausgelegt. Diese gemischte Nutzung ist unter anderem wegen der unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Güter- und Personenzügen eine logistische Herausforderung.
Darüber hinaus erfüllt das Projekt militärische Anforderungen, da die Infrastruktur so geplant ist, dass sie auch den Transport von schwerem militärischem Gerät ermöglicht. Dies gewinnt im Rahmen der europäischen Sicherheitsarchitektur zunehmend an Bedeutung. Bis Ende 2025 sollen bereits 43 Prozent der Hauptstrecke im Bau sein, die vollständige Inbetriebnahme ist für das Jahr 2030 vorgesehen.
Rail Baltica ist ein herausragendes Beispiel für ein europäisches Großprojekt mit internationaler Beteiligung: Über 400 baltische und rund 50 internationale Partner aus mehr als 30 Ländern sind involviert. Besonders stark vertreten sind Unternehmen aus dem europäischen Wirtschaftsraum – darunter auch sieben deutsche Firmen wie die Deutsche Bahn Engineering & Consulting. Für externe Akteure außerhalb Europas gestaltet sich der Zugang hingegen als schwierig. So wurden in einigen Bereichen ursprünglich geplante chinesische Komponenten durch europäische Alternativen ersetzt.
Anna Finkenzeller, Christian Himmighoffen
Presse und Public Affairs
Adrian Stadnicki
Regionaldirektor Mittelosteuropa
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