Im Ostseeraum produzierter grüner Wasserstoff soll in naher Zukunft bis nach Mitteleuropa fließen und unter anderem die Unternehmen in den polnischen, deutschen und niederländischen Industriezentren mit günstiger Energie versorgen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass diese Vision einer sicheren und klimafreundlichen Energieversorgung in naher Zukunft Realität werden wird. Diesen Eindruck konnten am 16. Oktober die rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz zur „Entwicklung des Wasserstoffmarktes im Ostseeraum“ gewinnen.
Eröffnet wurde die Konferenz durch Jan Tombiński geschäftsführender polnischer Botschafter, Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms und Sebastian Bolay, Abteilungsleiter für Energie, Umwelt und Industrie in der DIHK. Keynotes steuerten der lettische Energieminister Viktors Valainis und Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner bei.
Valainis sprach den besorgniserregenden Trend in der Industrie, Europa wegen hoher Energiekosten zu verlassen und bot Lettland und die Nachbarländer im Ostseeraum als Produzenten von Erneuerbarer Energie und grünem Wasserstoff zur Verbesserung der Energieunabhängigkeit der EU an. „Diese Herausforderungen sind gleichzeitig unsere Chancen. Wir können jetzt unsere Möglichkeiten nutzen und ein gemeinsames Energiesystem aufbauen.“ Ohne eine gemeinsam erreichte Transformation des Energiesystems sei kein Wachstum möglich, so Valainis. Deshalb müsste man an dem bereits begonnenen Weg festhalten und intensiv weiterarbeiten. Dazu muss verstärkt in Wind- und Solarenergie im Ostseeraum sowie in die nötigen Verteilernetze investiert werden. Notwendig sei ein ganzes Ökosystem, zu dem auch ein passendes Ausbildungs- und Forschungssystem gehöre, so Valainis. „Wir brauchen das schnell, heute und nicht erst morgen.“
Staatssekretär Kellner betonte, dass Deutschland im Jahr 2030 zu 50 bis 70 Prozent auf Wasserstoffimporte angewiesen sein werde. „Deshalb hat die Bundesregierung eine Importstrategie verabschiedet, um hier klare Signale an potenzielle Exportländer zu geben.“ Der Ostseeraum habe im Gegensatz zur Nordsee bislang als Produzent von grüner Energie eine untergeordnete Rolle gespielt, obwohl die Voraussetzungen für Onshore- und Offshore-Windenergie in dieser Region aufgrund geringerer Wassertiefen und dünnerer Besiedelung eigentlich günstiger seien. Mit Konferenzen wie der im Haus der Deutschen Wirtschaft könne für die ungenutzten Potenziale ein größeres Bewusstsein geschaffen werden. Kellner kündigte den Markthochlauf für erste, mit Wasserstoff gefüllte Pipelines in Deutschland bereits für das Jahr 2025 an. Dann soll ein erstes Pipelinestück unter anderem den Chemiecluster im sachsen-anhaltinischen Leuna beliefern.
Eine wichtige Rolle bei Kellners Überlegungen spielt die Opal-Pipeline, die im Zuge des gescheiterten Nord Stream 2 Projektes als Anschlusspipeline in Ostdeutschland gebaut worden war. Diese werde jetzt umgewidmet und zu einem wichtigen Bestandteil des deutschen Wasserstoffnetzes, das bis 2032 aufgebaut werden und als neues Rückgrat der deutschen Wirtschaft Industriezentren im ganzen Land versorgen soll, kündigte Kellner an. Geplant seien unter anderem Verbindungsleitungen vom Hafen Rostock zur Opal-Pipeline bei Lubmin und ein Verbindungsstück bei Eisenhüttenstadt zum polnisch-baltischen Netz.
Entscheidend für den Erfolg der angestrebten Wasserstoffindustrie ist eine enge, grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa. Dass diese bereits Früchte trägt, zeigte die erste Panel-Diskussion der Konferenz zum Thema Energie-Sicherheit. Dabei beschrieben Vertreter von Gasnetz-Betreibern aus Finnland (Gasgrid), Litauen (Amber Grid), Polen (Gaz-System) und Deutschland (Ontras) ihre Projekte zur Produktion von grünem Wasserstoff und zum Aufbau eines „Nordic-Baltic Hydrogen Corridor“ (NBHC). Dieses Wasserstoffpipeline-Netz soll einmal die Wasserstoff-Produzentenländer im Ostseeraum mit Importländern wie Polen und Deutschland verbinden. Nemunas Biknius, CEO von Amber Grid in Litauen, beschrieb die Pläne des Landes zum Ausbau grüner Energie. Bis 2030 sollen im Land Kapazitäten in Höhe von 13 Gigawatt installiert werden, um Litauen zum Exporteur von Wasserstoff und grüner Energie zu machen. Dazu müsse sowohl in Verbindungspipelines als auch in entsprechende Elektrizitätsnetze investiert werden. Litauen erhoffe sich davon ein großes industrielles Wachstum. „Wir haben nicht nur die Visionen, sondern wir führen sie auch aus“, so Biknius. Zum Thema Nordic-Baltic Hydrogen Corridor betonte Biknius, dass der Aufbau dieses Pipelinenetzes zwar sehr teuer sei, sich aber bei passenden Bedingungen amortisieren könne. Aktuell liefe dazu eine Machbarkeitsstudie. Generell sei es wichtig, dass die EU für derartige Projekte eine gute finanzielle Basis schaffe.
Zu Finanzierungsmodellen in Deutschland bezog Dirk Manske, Head of Regulation and Energy Policy bei Ontras, Stellung. Es sei klar, dass zu Beginn der Wasserstoffnutzung die bestehenden Pipelines noch nicht ausreichend gefüllt werden könnten. Das Angebot müsse eben erst aufgebaut werden. Um das System für Investoren dennoch attraktiv zu gestalten, werde die Bundesregierung finanziell in Vorleistung gehen und Verluste in den ersten Jahren der Investition übernehmen, in denen der Markt noch nicht ausreichend liquide sei. „Wenn aber dann Geld verdient wird, werden Kompensationsgelder zurückgezahlt“, so Manske. Dadurch werde das „Henne-Ei-Problem“ zur Entwicklung des Wasserstoffmarktes gelöst.
Der Fokus des zweiten Panels lag auf den Chancen und Herausforderungen, die sich bei der Marktentwicklung von Wasserstoff im Ostseeraum ergeben. Dazu bezogen Christopher Frey (Sunfire GmbH), Aivars Starikovs (Lettische Wasserstoffvereinigung, Hydrogen Europe), Aigars Laizāns (Latvenergo) und Steven Sepp (Estonian Hydrogen Cluster) Stellung.
Trotz des großen Potenzials und der strategischen Bedeutung von Wasserstoff stecke der Wasserstoffmarkt aktuell noch in einer frühen Phase. Die Teilnehmer merkten an, dass sich viele Projekte aufgrund von regulatorischen Hürden in der EU verzögerten und sehen große Herausforderungen in der Konkurrenz mit China. Günstige chinesische Elektrolyseure, welche für etwa 50 bis 60 Prozent günstiger verkauft werden als im EU-Vergleich, erschwerten die europäische Marktentwicklung. Gleichzeitig böten aber internationale Kooperationen und Projekte enorme Chancen. Wichtig sei es, neben einer forcierten lokalen Wasserstoffproduktion und dem Aufbau von Verteilernetzen auch die nötigen Speicherkapazitäten aufzubauen, um eine Energieunabhängigkeit Europas zu erreichen. Es sei entschlossenes Handeln von Regierungen, Unternehmen und der EU notwendig, um den Übergang zu einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft zu beschleunigen. Aktuell jedenfalls sei es allerdings unrealistisch, das angestrebte Ziel von 42 Prozent Wasserstoffanteil an der Energieversorgung der Industrie bis 2030 zu erreichen.
Generell lässt sich dennoch festhalten, dass Wasserstoff bereits als wichtiger Energieträger für die europäische Energiewende betrachtet wird, insbesondere im Verkehrs- und Industriesektor. Neben Wasserstoff-Bussen sollen etwa in Estland in Kürze auch erste Wasserstoff-LKW präsentiert werden. Weitere Impulse erwarten die Diskutanten von der neu gegründeten Europäischen Wasserstoffbank, die für 2024 über ein Budget von rund drei Milliarden Euro verfügt, um in Ausschreibungen Wasserstoffprojekte zu fördern.
Zur Konferenz im Haus der Deutschen Wirtschaft hatten DIHK, Ost-Ausschuss und die polnische Botschaft gemeinsam eingeladen. Unterstützt wurde die Veranstaltung von den drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Finnland.
Andreas Metz und Vanessa Ottmüller
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
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