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Außenwirtschaft unterm Erdbeermond

Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende Cathrina Claas-Mühlhäuser warb zur Eröffnung für Vertiefung und Erweiterung des EU-Binnenmarkts. Foto: Christian Kruppa
11.06.2025
Jahresveranstaltung des Ost-Ausschusses mit Staatsminister Hahn und Staatssekretär Steffen/ Wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Osteuropa von strategischer Bedeutung

Rund 250 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Diplomatie und Verbänden kamen am 11. Juni zur Jahresveranstaltung des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft in Berlin zusammen. Gastredner im historischen Ballsaal des Hotels de Rome waren der Staatsminister im Auswärtigen Amt Florian Hahn und der neue Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) Thomas Steffen, der erst wenige Stunden zuvor berufen worden war. Am traditionellen Jahresempfang der ältesten Regionalinitiative der deutschen Wirtschaft nahmen außerdem der kasachische Bau- und Industrieminister Yersayin Nagaspayew und Vertreterinnen und Vertreter von über 20 Botschaften teil.

Deutlich wurde in allen Redebeiträgen: Die außenwirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern Mittel- und Osteuropas sowie Zentralasiens ist für Deutschland von strategischer Bedeutung – gerade in Zeiten globaler Umbrüche.

Claas: Europa stärken

Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende Cathrina Claas-Mühlhäuser kritisierte in ihrer Begrüßung die fortlaufende Erosion der Welthandelsordnung. Gerade Deutschland habe besonders von international verlässlichen Regeln profitiert. Die einzig richtige Antwort auf diese kritische Entwicklung sei die Stärkung des europäischen Binnenmarkts. „Wir brauchen ein starkes, selbstbewusstes und wettbewerbsfähiges Europa“, sagte die Ost-Ausschuss-Vorsitzende. Der gemeinsame Binnenmarkt sei die Basis für eine starke Wirtschaft. „Doch der europäische Binnenmarkt ist nicht nur unser größter Schatz, sondern leider auch unsere größte Baustelle“, sagte Claas-Mühlhäuser. Sie kritisierte die Vielzahl nationaler Normen und Vorschriften innerhalb der EU, die wie „unsichtbare Zölle“ wirkten und laut IWF bis zu 44 Prozent der Handelskosten verursachten. „Diese Barrieren müssen weg. Das wäre ein europäisches Konjunkturprogramm, das Geld spart, statt welches zu kosten“, sagte Claas-Mühlhäuser.

Sie erinnerte an die erfolgreiche Geschichte der EU-Erweiterungen Richtung Osten seit 2004 und hob besonders die wirtschaftliche Bedeutung der mittel- und südosteuropäischen EU-Mitgliedstaaten hervor: „Inzwischen gehen mehr deutsche Exporte nach Polen als nach China.“ Dies sei ein Beleg für die enge wirtschaftliche Verflechtung mit der Region und ein starkes Argument für eine „Osterweiterung 2.0“, die sowohl geopolitisch als auch wirtschaftlich geboten sei.

Ohne Privatsektor kein Wiederaufbau

Dabei bedürfe besonders die Ukraine der Unterstützung. Sie verwies auf das Engagement des Ost-Ausschusses, der mit dem Service Desk Ukraine seit 2022 Hilfsangebote koordiniert und deutsche Unternehmen berät, die in der Ukraine aktiv werden wollen. „Ohne den Privatsektor wird sich der Wiederaufbau nicht stemmen lassen“, sagte Claas-Mühlhäuser und forderte eine stärkere Berücksichtigung deutscher und europäischer Unternehmen beim Wiederaufbau. „Es kann nicht sein, dass die EU einen Großteil der Rechnung bezahlt und andere davon profitieren“, sagte sie und verwies dabei etwa auf China, die Türkei und die USA.

Auch Zentralasien rückte Claas in den Fokus: „Rohstofflieferketten bedeuten Wirtschaftssicherheit. Die Länder Zentralasiens können und wollen mit ihrem Rohstoffreichtum zu mehr Liefersicherheit in Europa beitragen.“ Daneben seien Energie, Landwirtschaft, Fachkräfte und Logistik – insbesondere entlang des Mittleren Korridors – zentrale Themen in und mit der Region. Insgesamt seien die Länder von Mittelosteuropa bis Zentralasien ein „großer Raum der Möglichkeiten und Perspektiven“. Der Ost-Ausschuss stehe bereit, die Bundesregierung bei der Gestaltung der Beziehungen zu dieser Region zu unterstützen.

Hahn: Sicherheit, Freiheit und Wohlstand

Staatsminister Florian Hahn hob in seiner Keynote die Bedeutung des Ost-Ausschusses für die Außenwirtschaft hervor und ging auf die drei Dimensionen Sicherheit, Freiheit und Wohlstand ein, die für außenwirtschaftliche Beziehungen eine zentrale Rolle spielten. Freie Märkte gerieten zunehmend unter Druck, außenwirtschaftliche Abhängigkeiten würden als Druckmittel genutzt, sagte der Staatsminister mit Blick auf die Veränderung der globalen Ordnung. „Sicherheitspolitik findet heute auch im Maschinenbau, in der Halbleiterproduktion, beim Zugang zu kritischen Rohstoffen und bei der verlässlichen Energieversorgung statt.“

Autokratien forderten Freiheit und wirtschaftlichen Wohlstand heraus, betonte Hahn. Deutschland müsse sich gemeinsam mit seinen Partnern gegen die Ausnutzung wirtschaftlicher Abhängigkeiten in kritischen Sektoren und deren Instrumentalisierung für politische Ziele stemmen. Deutschland habe von der regelbasierten Ordnung profitiert, die auch künftig gemeinsam mit den europäischen Partnern verteidigt werden müsse. „Insofern ist unsere Außenpolitik sowohl interessen- als wertegeleitet“, betonte Hahn.

Blick auf die Ost-Ausschuss-Region

Ausführlich ging Hahn auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau der Ukraine ein. Deutsche Unternehmen nutzten dazu die Absicherungsinstrumente der Bundesregierung. Das europäische Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der Ukraine müsse nun weiter vertieft, die Energiepartnerschaft ausgebaut und die Kooperation in der Rüstungsindustrie gestärkt werden. Hahn dankte dem Ost-Ausschuss ausdrücklich für dessen Bemühungen zur Unterstützung des Landes und bestärkte den Verband, seine Ukraine-Aktivitäten fortzusetzen.

Hahn räumte ein, dass die außenwirtschaftlichen Risiken im Umgang mit Russland unterschätzt worden seien, insbesondere im Bereich der Energieversorgung. Europa müsse sich dauerhaft von russischen Energielieferungen unabhängig mache. Der Ost-Ausschuss spiele mit Blick auf die Probleme deutscher Unternehmen in Russland und den Umgang mit den Sanktionen eine wichtige Rolle.

Hohe Ansprüche an künftige Partner im Binnenmarkt

„Im Zusammenhang mit der Diversifizierung von Investitionsstandorten, Transportwegen, Handelspartnern und Bezugsquellen von Rohstoffen und kritischen Produkten kommen sofort Ost-Ausschuss-Länder ins Blickfeld“, betonte der Staatsminister. Dazu gehörten auch die Länder des Westlichen Balkans. Dabei habe man an künftige Partner im Binnenmarkt hohe Ansprüche etwa bei der Rechtsstaatlichkeit und der Partizipation der Zivilgesellschaft. „Wir sind als EU vielleicht nicht immer der einfachste Partner“, räumte er ein. „Aber wir bieten dauerhaft solide Partnerschaften zu fairen Bedingungen.“ Als weitere Partnerregionen nahm Hahn auch Zentralasien und den Südkaukasus in den Blick. Diese Länder böten große Chancen bei Rohstoffen, Fachkräften, Investitionen und Transportwegen.

Die unmittelbaren Nachbarn in Mittelosteuropa seien nicht nur wichtige Partner in der EU, sondern auch wirtschaftlich eng mit Deutschland verflochten. „Rückblickend sind alle diese Länder unabhängig von einzelnen Rückschlägen echte Erfolgsgeschichten“, sagte Hahn. Davon könne sich Deutschland durchaus etwas abschneiden etwa bei der Digitalisierung von Staat und Gesellschaft. Hier könne noch viel Potenzial erschlossen werden. Dies eröffne dem Ost-Ausschuss große Betätigungsfelder in der Beratung und Vernetzung von Akteuren in den Partnerländern. Sorge bereiteten dem Staatsminister hingegen staatliche Eingriffe in die Wirtschaft insbesondere in Ungarn.

Ein erklärtes Ziel der Bundesregierung sei es, dass Deutschland ein exportstarkes und innovationsgetriebenes Industrieland bleibe, kündigte der Staatsminister an. Dazu gehöre die Erschließung neuer Märkte. „Wir möchten uns noch stärker für die Belange deutscher Unternehmen weltweit einsetzen.“ Dazu seien neue Allianzen zwischen Politik und Wirtschaft nötig. „Der Ost-Ausschuss hat sich bereits in der Vergangenheit immer auch für das gesamtstaatliche Interesse Deutschlands mit verantwortlich gefühlt“, sagte Hahn. „Es ist wichtig, dass das auch in Zukunft so bleibt.“

Steffen: Reformbereitschaft im Osten als Vorbild

Ganze 25 Stunden nach seiner Ernennung stattete auch der neue Staatssekretär im BMWE Thomas Steffen dem Ost-Ausschuss einen Besuch ab. Steffen, der bis zu seiner Ernennung Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium war, ist in neuer Funktion zuständig für die Außenwirtschaft, für die Europapolitik für die Innovationspolitik und den Mittelstand. Auch er erinnerte an den EU-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten im Mai 2004: „Ich war beeindruckt von der Reformfähigkeit der Beitrittsländer“, sagte Steffen. „Ich glaube, davon kann sich Deutschland eine ganze Menge abgucken.“

Dies gelte auch für die Ukraine, die ihm ein echtes Herzensanliegen sei. Von der ukrainischen Resilienz und Innovationen im Bereich Rüstung könne Deutschland lernen. Steffen betonte, dass er sich weiterhin für die europäische Solidarität mit der Ukraine und Hilfe für das Land in allen Facetten engagieren werde.

Im anschließenden Dialog mit dem Geschäftsführer des Ost-Ausschusses Michael Harms gratulierte Steffen explizit der polnischen Ratspräsidentschaft zu ihrer guten Arbeit und unterstrich die enge wirtschaftliche Verflechtung Deutschlands mit Polen und Tschechien: „Mit Polen sind wir in fast allen wichtigen Bereichen auf einer Linie“, so der Staatssekretär. „Ich sehe den festen Willen der Bundesregierung vor allem die Kontakte nach Mittel- und Osteuropa weiter zu stärken.“ Es sei bereits besprochen, vor einem Europäischen Rat die Agenda speziell auch mit diesen Ländern abzustimmen. „Wir wollen einmal prüfen, ob wir einen regelmäßig tagenden Gesprächskreis der deutschen Wirtschaftsministerin vor allem mit Kolleginnen und Kollegen aus Osteuropa einrichten“, kündigte Steffen an. Ein solcher Austausch auf Ministerebene wäre sehr wertvoll. Bei diesem Format sollten dann auch die Privatwirtschaft und der Ost-Ausschuss einbezogen werden.

Mitgliederversammlung im Ballsaal

Die Veranstaltung im Hotel de Rome – einst Hauptsitz der Dresdner Bank – bot nicht nur ein stilvolles Ambiente, sondern auch Raum für intensive Gespräche zwischen Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Diplomatie. Am Nachmittag hatte im Ballsaal des Hotels bereits die Mitgliederversammlung des Ost-Ausschusses stattgefunden. Dort gab die Ost-Ausschuss-Vorsitzende einen Überblick über die Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa sowie über die Aktivitäten des Verbands mit seinen fast 400 Mitgliedsunternehmen. Jüngstes Projekt ist ein Expertenpool Finanzen, der als Netzwerk für Mitgliedsunternehmen und Finanzinstitutionen bei der Finanzierung von Auslandgeschäften dienen wird. Mit leicht und schnell verfügbaren Finanzierungs- und Absicherungsinstrumenten steht und fällt manches Auslandgeschäft.

Nach den Treffen im Hotel de Rome klang der Abend im Dachrestaurant des Humboldt Forums aus. Hier, auf dem Dach des rekonstruierten Berliner Stadtschlosses, bot sich den Gästen ein eindrucksvoller Rundblick über die Hauptstadt. Als Zugabe gab es bei klarem Himmel einen wunderschönen Sonnenuntergang und kurz vor Mitternacht sogar den Aufstieg eines rosaroten Erdbeermonds über den Dächern Berlins.

Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation

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Christian Himmighoffen
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