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Deutsch-Ukrainisches Wirtschaftsforum in Berlin mit Merkel und Hrojsman

Bundeskanzlerin Merkel und Premier Hrojsman (vorne li.) eröffneten das Wirtschaftsforum. Foto: A. Metz
29.11.2018
"Schubumkehr für die ukrainische Wirtschaft"

In einem erneut zugespitzten politischen Umfeld fand Ende November in Berlin das 3. Deutsch-Ukrainische Wirtschaftsforum statt, das fünf Jahre nach dem Euro-Maidan einen Rahmen für den Ausbau der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit bot. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem ukrainischen Premierminister Volodymyr Hrojsman sprachen die Regierungschefs beider Länder zur Eröffnung. Wenige Tage zuvor war der schwelende Konflikt zwischen der Ukraine und Russland erneut eskaliert, nachdem russisches Militär ukrainische Marineschiffe gewaltsam an der Durchfahrt ins Asowsche Meer gehindert, 24 Soldaten festgesetzt und drei Schiffe beschlagnahmt hatte.

Fast 400 Vertreter aus Politik, Verbänden, Wirtschaft und Medien waren der Einladung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), der AHK Ukraine und des Ost-Ausschuss – Osteuropavereins (OAOEV) gefolgt und füllten den großen Saal im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft bis auf den letzten Platz. Weitere Partner der Veranstaltung waren von ukrainischer Seite die Botschaft in Berlin, die Investitionsagentur UkraineInvest und das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel. DIHK-Präsident Eric Schweitzer sicherte der Ukraine in seiner Eröffnungsrede die weitere Unterstützung der deutschen Wirtschaft für den eingeschlagenen Reformkurs zu.

Der ukrainische Ministerpräsident Hrojsman nahm den Ball auf und betonte, dass jetzt die Zeit gekommen sei, in seinem Land zu investieren. Die deutschen Unternehmen wüssten, wie stark sich die Ukraine in den letzten fünf Jahren seit den Protesten auf dem Maidan verändert habe, sagte Hrojsman unter Verweis auf die Reformen etwa in Verwaltung, Finanzsektor und Rechtssystem. Dabei sei der Weg noch lange nicht zu Ende: „Wir wollen unter die Top 50“, kündigte der ukrainische Premier mit Blick auf das Doing-Business-Ranking der Weltbank an, in dem die Ukraine derzeit Platz 71 belegt: „Unsere wichtigste Aufgabe ist die Schaffung einer starken Demokratie, einer starken Wirtschaft.“ Eine wichtige Rolle spielten die Unterstützung durch EU, Weltbank und IWF. Konkret sei mit der AHK Ukraine gerade eine Absichtserklärung unterzeichnet worden, um einen Automobilcluster in der Region Lwiw zu schaffen. 2019 würden zudem neue Instrumente zur Korruptionsbekämpfung eingeführt. Die wirtschaftliche Misere der Jahre 2014/2015, von der sich das Land nur langsam wieder erholt, schrieb Hrojsman nicht zuletzt der „russischen Okkupation“ zu und dankte Bundeskanzlerin Merkel für ihre Unterstützung in den zurückliegenden Jahren.

Merkel verteidigt Sanktionskurs und Nord Stream 2

Die Bundeskanzlerin lobte ihrerseits das Engagement deutscher Unternehmen, die in „schwierigem Fahrwasser“ in der Ukraine investierten. Sie hob die Öffnung der Ukraine zur EU und die Bedeutung des Freihandels- und Assoziierungsabkommens hervor: „Die Orientierung von Russland nach Europa war wie eine Schubumkehr für die ukrainische Wirtschaft,“ sagte Merkel. Die Bundeskanzlerin ermunterte ihren ukrainischen Kollegen, auf Reformkurs zu bleiben: „Wichtig ist der Kampf gegen die Korruption, aber auch der Schutz von Aktivisten, die sich dafür engagieren“, sagte Merkel.

Im Hinblick auf den ungelösten Konflikt zwischen der Ukraine und Russland verteidigte Merkel das Minsker Abkommen, das zumindest eine weitere Eskalation verhindert habe, und plädierte für die Aufrechterhaltung der Russland-Sanktionen: „Wir müssen deutlich machen, dass Grundsätze des internationalen Völkerrechts wie die nationale Souveränität eingehalten werden“, sagte Merkel: „Wir sind in der Pflicht.“ Im Blick auf den aktuellen Konflikt wies die Bundeskanzlerin dem russischen Präsidenten die Verantwortung für die Eskalation zu. Russland müsse die freie Schifffahrt im Asowschen Meer garantieren. Gleichzeitig kündigte Merkel ein Treffen mit Wladimir Putin im Rahmen des G20-Gipfels in Argentinien an und rief die Ukraine zu Besonnenheit auf. Eine militärische Lösung könne es nicht geben. Im Hinblick auf die von der Ukraine heftig bekämpfte Gaspipeline Nord Stream 2 ging Merkel auf die Sorgen der Ukraine ein, ohne von dem Projekt abzurücken: „Wir treten mit voller Kraft dafür ein, dass die Ukraine Transitland bleibt“, sagte sie.

Diskussion über Rahmenbedingungen

Unter dem Motto „Ukraine now – Turning the Corner“ diskutierten anschließend Vertreter aus Politik und deutschen Unternehmen über die Fortschritte und Defizite des Reformprozesses in der Ukraine und die Rahmenbedingungen für ausländische Investoren. Moderiert wurde die Diskussionsrunde, an der auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Thomas Bareiß teilnahm, vom stellvertretenden DIHK-Hauptgeschäftsführer und OAOEV-Präsidiumsmitglied Volker Treier. Oksana Makarova vom ukrainischen Finanzministerium hob die Reformfortschritte im Bereich Steuern, Deregulierung und Transparenz hervor. „Je weniger ein Beamter direkt mit Unternehmen zu tun hat, desto geringer sind die Möglichkeiten zur Korruption“, sagte sie. Dank zahlreicher Freihandelsabkommen sei die Ukraine zudem „eine gute Basis, um zu exportieren“.

Der Präsident der AHK Ukraine Andreas Lier (BASF) wies auf den Strukturwandel der Wirtschaft von der Schwer- zur Leichtindustrie und deren Integration in europäische Wertschöpfungsketten hin. Dem auch in der Ukraine zunehmenden Fachkräftemangel wolle die AHK mit dualen Berufsausbildungsprojekten begegnen. Im Rahmen der Digitalisierung gebe es insbesondere im IT-Sektor großes Potenzial. „Die heutige Ukraine ist die beste in der Geschichte des Landes“, resümierte Lier seine aktuelle Einschätzung. OAOEV-Präsidiumsmitglied Michael Fohrer von Bombardier lenkte den Blick auf das Potenzial des Landes im Schienenverkehr. Die Ukraine sei mit einem Gleisnetz von 22.000 Kilometern Länge der viertgrößte Markt für den Eisenbahn-Güterverkehr weltweit. Das chinesische Seidenstraßen-Projekt könne die Rolle des Landes weiter stärken.

Die Ukraine durchlebe gerade eine intensive Transformation, sagte der ukrainische Minister Oleksandr Saienko in einem Panel unter dem Titel „Innovation & Oppurtunities: Digitalization & Industry 4.0“. Die Digitalisierung sei heute so wichtig wie noch nie, und aus diesem Grund messe die Regierung Themen wie Innovation und Technologie große Bedeutung bei. Saienko berichtete, dass der IT-Sektor in der Ukraine jedes Jahr um 20 Prozent wachse und das Land eines der ersten sei, das bereits die Blockchain-Technologie nutze. Mykhailo Nbo-Airiian vom Energieversorger Ukroenergo ergänzte, dass die IT bereits die meisten Branchen wie zum Beispiel den Energiesektor erfasst habe und dementsprechend komplett verändere. Damit einhergehend müsse man aber verstärkt über Cybersicherheit nachdenken und parallel daran arbeiten.

Landwirtschaft im Aufschwung

Dass die Ukraine nach den Krisenjahren 2014 und 2015 wieder auf Wachstumskurs liegt, ist nicht zuletzt der Landwirtschaft zu verdanken, die im dritten Konferenzpanel im Mittelpunkt stand. „Riesige Flächen, neue Sorten, niedriges Lohnumfeld“, so charakterisierte André Lüling, Geschäftsführer von Port International, die Stärken des Landes. Der geschäftsführende ukrainische Landwirtschaftsminister Maksym Martynyuk hob insbesondere die Erfolge in der Korruptionsbekämpfung in den vergangenen Jahren hervor. Ausschreibungsverfahren liefen nunmehr elektronisch ab, Grund und Boden würden transparent verteilt. „Diese Veränderungen haben systemischen Charakter, die bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen werden nicht dazu führen, dass dies rückgängig gemacht wird.“

Ivonne Bollow, Global Director Corporate Public Policy bei der METRO AG, lobte die Anstrengungen der ukrainischen Ernährungsindustrie zur Übernahme internationaler Lebensmittelstandards. „Es geht um Ausdauer, weiter an diesen Programmen teilzunehmen“. Denn diese seien der Schlüssel, um in die internationalen Handelsnetzwerke zu kommen. Umgekehrt äußerte Bollow Kritik an der EU: Zertifizierte ukrainische Produzenten hätten weiterhin mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen. „Es ist schade, dass wir die Versprechen des Freihandels- und Assoziierungsabkommens nicht ganz ausfüllen können.“ Mit Lüling war sich Bollow darin einig, dass an der Akzeptanz ukrainischer Produkte dringend weiter gearbeitet werden müsse. Ein gemischtes Bild der aktuellen Lage zeichnete Markus von Busse, der mit Worlée Naturprodukte vor allem Kräuter aus der Ukraine vermarktet. Die Ukraine bringe alle Voraussetzungen mit, so erfolgreich zu sein wie Polen. Im Gegensatz zu Polen falle es seinem Unternehmen aber immer noch schwer, Partner für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu finden. „Kontrakt ist nicht immer gleich Kontrakt“. Da müsse es in der Ukraine noch einen Mentalitätswechsel geben.

Der Verbraucher im Mittelpunkt

Um die Reform des ukrainischen Energiesektors drehte sich die Diskussion in einem weiteren Panel, das von OAOEV-Geschäftsführerin Ute Kochlowski-Kadjaia geleitet wurde. Gennady Zubko, Minister für regionale Entwicklung, Bau und kommunale Wohnungswirtschaft, stellte die neue Gesetzgebung zur Erhöhung der Energieeffizienz vor, die im ersten Quartal 2019 in Kraft tritt und EU-Richtlinien umsetzt. Ziel ist es vor allem, den hohen Gasverbrauch um rund zehn Milliarden Kubikmeter im Jahr zu reduzieren, etwa durch thermische Sanierung und die Verbrauchserfassung. „Wir wollen revolutionieren, nicht evolutionieren“, sagte Zubko zu den ambitionierten Plänen, für deren Umsetzung er auf deutsche Lösungen setzt. Die stellvertretende Energieministerin Nataliya Boyko präentierte die Energiestrategie der Ukraine bis 2035, die eine nachhaltige Entwicklung im Energiesektor zum Ziel hat. „Neu ist, dass der Verbraucher in den Mittelpunkt rückt, nicht die Monopolisten“, sagte Boyko. Ein Standbein einer nachhaltigen Energieversorgung ist dabei die Wasserkraft. Peter Magauer, CEO des OAOEV-Mitglieds Andritz Hydro, berichtete positiv von den Erfahrungen seines Unternehmens bei der Modernisierung des Wasserkraftwerks Dnipro-1.

Das bilaterale Wirtschaftsforum zeigte in gebündelter Form das vielfältige Potenzial des Landes, aber auch die Schwierigkeiten, die gemeistert werden müssen, dieses zu heben. Die deutsche Wirtschaft ist jedenfalls bereit, den Dialog fortzusetzen und die Kooperation mit der Ukraine weiter auszubauen. Dazu hatte es bereits am Vorabend ein von deutschen Wirtschaftsverbänden organisiertes Abendessen von Premier Hrojsman mit deutschen Unternehmensvertretern gegeben.


Christian Himmighoffen, Helena Rosengrün, Andreas Metz
Ost-Ausschuss – Osteuropaverein

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