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Die Ukraine – ein grüner Energiepartner

Ost-Ausschussvorsitzender Oliver Hermes, Foto: Wilo
19.08.2021
Berlin und Kiew müssen mutiger werden, damit die wirtschaftliche Kooperation zwischen beiden Ländern vorankommt, fordert Oliver Hermes. 

Vor genau einem Jahr, im August 2020, hatten sich Deutschland und die Ukraine auf eine engere Kooperation im Energiebereich verständigt. Zu den Prioritäten der Zusammenarbeit zählen der Ausbau erneuerbarer Energien, die Kooperation bei Wasserstoff und Energieeffizienz sowie die Unterstützung der Ukraine beim Strukturwandel in den Kohleregionen. Durch die Nord-Stream-2-Vereinbarung der Bundesregierung mit den USA im Juli 2021, mit der sich Deutschland zu erheblichen Investitionen in die ukrainische Energiesicherheit und den Aufbau einer Wasserstoff-Industrie bereit erklärt, gewinnt dieses Thema zusätzlich an Schwungkraft.

Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft begleitet die deutsch-ukrainische Energiezusammenarbeit von Beginn an. Gemeinsam mit Vertretern deutscher Unternehmen diskutieren wir im Austausch mit ukrainischen Entscheidungsträgern regelmäßig über erneuerbare Energien, Wasserstoff, die Integration der Ukraine in den EU-Strommarkt sowie die Entwicklung der Ukraine zu einem Gas-Knotenpunkt.

Der Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere der Windkraft, ist in der Ukraine in den vergangenen Jahren durchaus vorangekommen. Investoren aus dem In- und Ausland konnten bis heute Windkraftprojekte im Wert von gut einer Milliarde Euro realisieren. Abgesichert wurde der Aufschwung durch Kredite internationaler Institutionen wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, aber auch durch die politische Flankierung der G7-Länder. 

Allerdings: Die Entwicklung der Branche verläuft nicht störungsfrei: Das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien war in der Ukraine noch vor der politischen Wende im Jahr 2014 verabschiedet worden. Es enthielt zum Teil Vorschriften, die einzelne Interessengruppen stark begünstigten – etwa durch hohe Einspeisevergütungen, die sich in der Folgezeit als Belastung für den Staatshaushalt erwiesen und erst 2020 gesenkt wurden. Gleichzeitig erhielten die Betreiber von Windenergieanlagen ihr Geld oft erst mit erheblicher Verspätung. Zwischenzeitlich summierten sich die Außenstände auf rund eine Milliarde Euro. Eine verlässliche und nachhaltige Lösung dieses Problems ist eine zentrale Voraussetzung für künftige Investitionen in erneuerbare Energien in der Ukraine. Eine Idee in Kiew ist nun die Ausgabe von „Green Bonds“, mit deren Einnahmen die Außenstände ausgeglichen und das Problem entschärft werden soll.

Trotz des schwierigen Umfelds: Die Diskussion um die Einbindung der Ukraine in die europäische und deutsche Wasserstoffstrategie nimmt Fahrt auf. Im Rahmen des deutschen Programms „H2Global“ sollen künftig Anreize zur Produktion von grünem Wasserstoff im Ausland gesetzt werden. Die Ukraine kann dabei eine zentrale Rolle spielen. 

Auch in der europäischen Wasserstoffstrategie vom Juli 2020 wird die Ukraine als möglicher Wasserstoffpartner der EU explizit genannt. Tatsächlich hat das Land nicht nur viel Potenzial für den Ausbau der Erneuerbaren Energien und – wie der Streit um die russische Pipeline Nord Stream 2 zeigt – eine funktionierende, wenn auch modernisierungsbedürftige Exportinfrastruktur für Gas Richtung Westeuropa. Die Ukraine wird auch regulatorisch bereits in den gemeinsamen EU-Energiemarkt integriert.

Der Ausbau der bilateralen Energiepartnerschaft war zuletzt ein zentrales Thema beim Berlin-Besuch des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba im Juni. Der Ost-Ausschuss organisierte einen Wirtschaftsdialog, bei dem Kuleba Vertreter deutscher Unternehmen traf, die bereits Projekte zum Ausbau von Wind- und Solarenergie in der Ukraine vorbereiten. Diese können auch ohne Einspeisevergütungen realisiert und zum Teil über Eigenmittel finanziert werden.

Bei der Fremdkapitalaufnahme aber stehen Unternehmen noch vor erheblichen Problemen, denn die politisch gewünschte Partnerschaft wird von den eingeschränkten Möglichkeiten zur Risikoabsicherung über öffentliche Investitions- oder Kreditgarantien ausgebremst. Die Zurückhaltung wird mit den „instabilen“ Rahmenbedingungen in der Ukraine begründet. Tatsächlich ist dem Land mehr Stabilität zu wünschen, damit der Weg für Investitionen aus Deutschland in grüne Energie und damit auch für die Erzeugung grünen Wasserstoffs frei wird. Die bereits erwähnte Nord-Stream-2-Verständigung Deutschlands und der USA, die auch die Einrichtung eines grünen Fonds in Milliardenhöhe zur Unterstützung der ukrainischen Energiewende vorsieht und in den die Bundesrepublik im ersten Schritt 175 Millionen US-Dollar einzahlen muss, verspricht in jedem Fall neue finanzielle Spielräume.

Eine zügige Dekarbonisierung ist auch für die ukrainische (Export-)Wirtschaft von hoher Bedeutung. Die Pläne für einen Carbon Border Adjustment Mechanism im Rahmen des Green Deal der Europäischen Union werden zunehmend konkreter. Ein solcher CO2-Grenzausgleich soll die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produzenten schützen und zugleich Anreize dafür geben, dass Importe in die EU CO2-ärmer werden.

Unternehmen oder Länder, die einen großen CO2-Fußabdruck ihrer Produkte aufweisen, müssen mit Zusatzzahlungen rechnen. Dabei werden die Anstrengungen zur CO2-Reduktion in den Ländern selbst berücksichtigt. Aktuell liegt der Preis für eine Tonne emittiertes CO2 in der Ukraine bei etwa 15 Cent und in der EU bei 50 Euro. Die Kosten würden sich nach jetzigem Stand für die ukrainische Wirtschaft also drastisch erhöhen.

Mit Blick auf die für das Land wichtige Stahlwirtschaft ist es umso dringender, die Dekarbonisierung der Wirtschaft schnell voranzutreiben, beispielsweise durch die Förderung von Pilotprojekten. Der Einsatz von grünem Wasserstoff in der Produktion kann hier eine entscheidende Rolle spielen. Viele deutsche Unternehmen kaufen bei ukrainischen Lieferanten Stahlprodukte und wollen dies auch künftig tun.

Gesteigerte Energieeffizienz, grün erzeugte Energie und grüner Wasserstoff können bei der Stahl-Herstellung eine Schlüsselrolle spielen. Für die Erhaltung der Exportfähigkeit der ukrainischen Wirtschaft ist der Einsatz von grünem Strom und Wasserstoff im Land selbst noch dringlicher als deren Export. Die deutsche Wirtschaft kann und will die Ukraine bei diesem grünen Umbau unterstützen.

Es ist nun höchste Zeit, über den Status von Planungen und Gesprächen hinauszukommen. Den politischen Ankündigungen müssen nun konkrete Taten folgen, soll die deutsch-ukrainische Kooperation im Energiebereich die erhoffte Erfolgsgeschichte werden. Auf ukrainischer Seite müssen jetzt schnellstmöglich die strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Investitionen in erneuerbare Energien wieder an Schwung gewinnen und Wasserstoffprojekte zu vertretbaren Konditionen finanziert werden können. Auf deutscher Seite sollte der politische Wille, die Energiekooperation mit der Ukraine zu vertiefen, mit mehr Mut kombiniert werden, damit „Ready to build“-Projekte der deutschen Wirtschaft zügig realisiert werden. Viele Unternehmen stehen in den Startlöchern. Politik und Wirtschaft in Deutschland und der Ukraine müssen jetzt gemeinsam an einer grünen Zukunft bauen.

Der Autor: Oliver Hermes ist Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und CEO der Dortmunder Wilo-Gruppe, einem Hersteller von Pumpensystemen.

Erschienen im Handelsblatt am 13. August 2021

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