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Fall Nawalny und Belarus im Mittelpunkt

Sitzung des AK Russland unter Leitung von Mario Mehren, Vorstandsvorsitzender der Wintershall DEA; Foto: Ost-Ausschuss
30.09.2020
Außerplanmäßige Sitzung des Arbeitskreises Russland unter Leitung des Arbeitskreissprechers Mario Mehren

Am 30. September veranstaltete der Ost-Ausschuss eine Videokonferenz seines Arbeitskreises Russland unter Leitung des Arbeitskreissprechers Mario Mehren, Vorstandsvorsitzender der Wintershall DEA. Anlass für die kurzfristig anberaumte Sitzung, zu der sich 50 OA-Mitglieder zuschalteten, waren die zunehmenden Spannungen zwischen Deutschland und Russland vor dem Hintergrund der Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexey Nawalnys und der politischen Unruhen in Belarus.

Tobias Tunkel, Leiter des Referats für Russland, Belarus, Moldau und Östliche Partnerschaft im Auswärtigen Amt, bewertete den Fall Alexey Nawalny aus Sicht der Bundesregierung. Nach dem festgestellten Bruch des internationalen Abkommens zum Verbot von Chemiewaffen durch die Vergiftung Nawalnys mit Nowitschok, sei der Fall an die OVCD, die Behörde zur Überwachung des Chemiewaffenübereinkommens, übergeben worden. Der Fall, betonte Tunkel, sei keine nationale und auch keine bilaterale deutsch-russische Angelegenheit, sondern eine internationale. Derzeit warte man auf die Ergebnisse der Untersuchung durch die OVCD.

Inzwischen lägen Rechtshilfeersuchen Russlands an die Bundesregierung vor. Diese beantworte man unter Rücksichtnahme auf deutsche Datenschutzrichtlinien und Gesetze. Von Russland werde vor allem erwartet, ernsthafte Anstrengungen zur Überführung der Täter zu unternehmen, was derzeit leider nicht stattfinde. Über Vorermittlungen der Transportpolizei in Tomsk hinaus sei bislang nichts in die Wege geleitet worden.

In Deutschland ist auch aus diesem Grund eine heftige innenpolitische Debatte über die Russland-Politik der Vergangenheit und Szenarien für die Zukunft entflammt. Die Forderungen nach zusätzlichen Sanktionen werden wieder lauter. Die Bundeskanzlerin habe deutlich gemacht, so Tunkel, dass erst über Reaktionen auf EU-Ebene entschieden werde, sobald der Befund der OVCD vorliege.

Die Situation in Belarus und die russische Reaktion darauf trügen leider ebenfalls nicht zu einer Verbesserung der Gesamtlage bei. Dass Russland auf der Seite Lukaschenkos stehe, dürfte die Konfrontation zwischen der EU und Russland weiter vertiefen.

Weitere US-Sanktionen drohen

Die schwierige politische Lage und die intensiv geführte Sanktionsdebatte belasten zusätzlich zu den Folgen der Corona-Krise die in Russland engagierten deutschen Unternehmen. International nimmt die Tendenz zur Einführung von ökonomischen Zwangsmaßnahmen zu, so dass das Auswärtige Amt ein neues Referat zu internationalen Sanktionsregimes, Wirtschaftssanktionen und Investitionsprüfung eingeführt hat. Deren Leiter Marcus Kreft gab anschließend einen Überblick über die derzeitigen Sanktionsdebatten gegen Russland.

Neben den Folgen der 2017 eingeführten und im Sommer 2020 durch die US-Regierung verschärften Guidance zum US-Sanktionsgesetz CAATSA beobachtet das Auswärtige Amt laut Kreft vor allem die parallele Diskussion über verschärfte Maßnahmen gegen das Projekt Nord Stream 2 im US-Kongress. Es sei nur eine Frage der Zeit, wann das verschärfte Sanktionsgesetz PEESCA vom Kongress verabschiedet werde.

Ein Ende September veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur Rechtsmäßigkeit der extraterritorialen US-Sanktionen gegen Nord Stream 2 macht wenig Hoffnung, diese Sanktionen als völkerrechtswidrig juristisch angreifen zu können, da sich die USA mit Blick auf WTO-Verträge und den deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrag von 1954 auf nationale Sicherheitsinteressen berufen könnten. Dagegen sind aus Sicht des Auswärtigen Amtes die durch den Wissenschaftlichen Dienst gezogenen Schlussfolgerungen nicht alternativlos.

Eine völkerrechtliche Bewertung kann nur im Einzelfall erfolgen. Zentrale Frage dabei sei, ob der sanktionierende Staat für den konkreten Fall Regelungshoheit besitze. Die AA-Experten kämen mit Blick auf die US-Sanktionsdrohungen gegen den Hafen Sassnitz zu der Bewertung, dass es sich um einen starken Eingriff mit im Verhältnis zur Eingriffstärke unzreichendem Anknüpfungspunkt für US-Jurisdiktion handele; die Drohungen seien damit nicht völkerrechtskonform. Die – auch juristische – Debatte über Extraterritoriale Sanktionen werde sicher anhalten.

Umfrage zur aktuellen Wirtschaftsentwicklung in Russland

Im Anschluss an die Beiträge des Auswärtigen Amtes gab Tadzio Schilling, neuer CEO der Association of European Businesses (AEB,) einen Überblick über die Stimmungslage ausländischer Unternehmen in Russland und deren Erwartungen an die Zukunft. Laut einer aktuellen AEB-Umfrage seien 90 Prozent der Unternehmen stark oder mittelmäßig beeinflusst von der vor allem durch Corona ausgelösten Krise. Dabei seien die größten Probleme Zahlungsschwierigkeiten der Kunden, unterbrochene Zulieferketten, administrative Engpässe und eingeschränkte Logistik-Services. Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen griffen dabei für ausländische Unternehmen nur sehr eingeschränkt. Nur zwölf Prozent der Unternehmen hätten formal Zugang zu staatlicher Unterstützung, davon haben sich nur sieben Prozent tatsächlich darum beworben, wovon nur drei Prozent eine staatliche Unterstützungszusage erhalten hätten. Die Stimmung der Unternehmen habe sich daher drastisch eingetrübt: 72 Prozent der Unternehmen erwarten in den nächsten Monaten eine Verschlechterung, lediglich vier Prozent eine Verbesserung der Lage. Grund seien vor allem die Restriktionen aufgrund von Corona sowie eine Tendenz zu zunehmenden regulatorischen Hürden. Sorgen bereiten weiterhin vor allem die geringen internationalen Aktivitäten durch einen stark eingeschränkten Flugverkehr, der zunehmende Protektionismus sowie der starke Lokalisierungsdruck in Russland.

Am Ende der Sitzung bestand Einigkeit darin, dass sich gemeinsame Plattformen zwischen Deutschland und Russland gerade in Krisenzeiten bewähren könnten. Bei allen Schwierigkeiten ist auch die Bundesregierung weiter bereit, in die Zusammenarbeit zu investieren. So wurde Ende September ein deutsches Kulturjahr in Russland eröffnet. Noch in diesem Herbst soll zudem das deutsch-russische Themenjahr „Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung“ eröffnet werden, bei dem der Ost-Ausschuss eine koordinierende Rolle übernehmen wird. Hier sollen Akzente auf gemeinsame Zukunftsthemen gesetzt werden, zur Stärkung des Fundaments der deutsch-russischen Beziehungen.

Dr. Christiane Schuchart,
Andreas Metz,
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e. V.

Ansprechpartner

Dr. Christiane Schuchart
Regionaldirektorin Russland
Tel.: 030 206167-123
C.Schuchart@bdi.eu

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