Unter dem Motto “Preparing for the Future” fand am 27. April im Haus der Rheinhessischen Wirtschaft in Mainz eine Konferenz mit Blick auf einen nachhaltigen Wiederaufbau der Ukraine statt. Auch im Südwesten Deutschlands ist das Interesse an der Ukraine groß: Die von der IHK Rheinhessen in Zusammenarbeit mit Partnern wie der DIHK, der AHK Ukraine und dem Ost-Ausschuss organisierte Veranstaltung lockte rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an.
Eröffnet wurde die Konferenz von IHK-Hauptgeschäftsführer Günter Jertz und der Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium Petra Dick-Walther. Diese erinnert an das Leid der Menschen in der Ukraine und bezifferte die wirtschaftlichen Schäden, die der russische Krieg inzwischen gekostet habe. Allein die Weltbank gehe aktuell von Schäden in der Ukraine in Höhe von 390 Milliarden Euro aus. Der russische Krieg habe dort die Arbeit von 15 Jahren zerstört und 1,7 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze gedrückt. Um die dringendsten Bedürfnisse zu erfüllen, brauche die Ukraine jährlich 14 Milliarden Dollar aus Partnerländern. Aber auch die Weltwirtschaft habe schweren Schaden genommen und wäre ohne den Krieg um 1,6 Billionen Dollar stärker gewachsen. Allein Deutschland habe angesichts explodierender Energiekosten 2022 knapp drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung 2022 verloren, das sind umgerechnet zwischen 100 und 120 Milliarden Euro. „Es ist gut und richtig, wenn wir uns von den Zahlen nicht kirre machen lassen und wir den Blick nach vorne richten“, lobte die Staatssekretärin die Initiatoren der Konferenz. Die Menschen in der Ukraine warteten zurecht auf schnelle Hilfe.
Auch der ukrainische Generalkonsul in Frankfurt Vadym Kostiuk gab sich zuversichtlich: „Russland hat den Krieg begonnen, aber seine Ziele nicht erreicht. Die Ukraine und die ukrainische Koalition in der Welt bleiben stark.“ Aktuell liefen die Vorbereitungen für eine ukrainische Gegenoffensive. Dazu sei eine Fortsetzung der militärisch-technischen Unterstützung der Partnerländer entscheidend.
Nach Angaben von Kostiuk hat Russland bei bislang 33 großen Raketenangriffen über 4700 Raketen auf die Ukraine abgefeuert. 98.000 zivilgenutzte Gebäude hätten Kriegsschäden davongetragen, darunter auch 500 Krankenhäuser. Die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden hätten mittlerweile 80.000 Verfahren gegen russische Täter in Gang gesetzt.
„Der Wiederaufbau der Ukraine wird das größte Wiederaufbauprojekt seit dem Zweiten Weltkrieg sein und der europäischen Wirtschaft neue Impulse geben“, betonte Kostiuk. „Fast 60 Länder der Welt beteiligten sich bereits an dem Projekt. Trotz der tausendfachen Zerstörungen sei es der Ukraine gelungen, die Energienetze instand zu halten und sich erneut unter den fünf größten Agrarexporteuren der Welt zu behaupten. „Das Bankensystem ist stabil, der Staat funktioniert und erfüllt seine Aufgaben.“
Diese erstaunliche Resilienz der Ukraine wurde auch in den folgenden beiden Paneldiskussionen immer wieder betont, bei denen die wirtschaftliche Lage im Land und die Themen Recht, Steuern und Zollabwicklung in den Mittelpunkt rückten. Gerit Schulze von Germany Trade&Invest verwies darauf, dass die Ukraine gerade im März ein Wirtschaftswachstum um 28 Prozent gemeldet habe, im Vergleich zu dem ersten Kriegsmonat 2022, in dem das Land praktisch stillgestanden habe. Zuletzt seien sogar wieder Überschüsse in der Stromproduktion erzielt worden, die in die Republik Moldau und die EU exportiert wurden.
Unternehmer aus der Region wie Gunter Pilger von der DGS Diesel- und Getriebeservice GmbH und Jan Düvelsdorf von der Düvelsdorf Handelsgesellschaft mbH, die beide weiterhin mit Tochterfirmen bzw. Partnern in der Ukraine zusammenarbeiten, lobten dabei ihre ukrainischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die unter Kriegsbedingungen höchstes Engagement an den Tag legten. Geschäftsbeziehungen mit der Ukraine sind auch unter den aktuellen Kriegsbedingungen möglich und lohnend, so die Botschaft beider Wirtschaftsvertreter.
„Ich persönlich merke den starken Willen in der Bevölkerung, das Land aufzubauen und zu erneuern. Das unterscheidet sich sehr von dem, was man früher gesehen hat“, berichtete Gunter Pilger von seinen langjährigen Erfahrungen. „Damals waren die Leute mehr auf eigenen Vorteil bedacht und weniger an langfristiger Beziehung. Damals dachte ich, das sind aber alte graue Herren aus Sowjetzeiten. Heute sieht man junge Leute und da geht auch ein starkes Signal von Präsident Selenskiy aus.“
Zudem habe sich das Problem der Korruption, das vor zehn bis 20 Jahren zu den Haupthindernissen in den Wirtschaftsbeziehungen gehörte, in jüngster Zeit massiv verbessert. Stefan Kägebein, Regionaldirektor des Ost-Ausschusses, verwies in diesem Zusammenhang auch auf die wichtigen Impulse durch die EU-Beitrittsperspektive der Ukraine. In früheren Zeiten habe das Land immer auch nach Osten geschaut. „Inzwischen ist die Richtung klar“, so Kägebein. Die Ukraine wolle den schnellstmöglichen EU-Beitritt und sei an einer schnellen Übernahme der EU-Standards interessiert.
Deutlich wurde in vielen Rückmeldungen der Unternehmen, dass ein hoher Informationsbedarf über laufende Projekte, Vernetzungsmöglichkeiten, Ausschreibungen, Finanzierungen und Absicherung von Geschäften besteht. Hier boten sich der Ost-Ausschuss und die AHK als erste Ansprechpartner an. Rainer Perau, Geschäftsführer der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer (AHK Ukraine) freute sich über eine spürbar steigende Nachfrage deutscher Unternehmen nach neuen Kooperationspartnern. Hier habe die Delegationsreise von Vizekanzler Robert Habeck Anfang April, an der sich auch Ost-Ausschuss Geschäftsführer Michael Harms beteiligt hatte, für eine deutliche Belebung gesorgt.
Das wachsende Interesse an der Ukraine bestätigte auch Herwig Maaßen von PricewaterhouseCoopers, der das Instrument der Investitionsgarantien des Bundes vorstellte, die für in der Ukraine aktive deutsche Unternehmen ebenso verfügbar sind, wie EulerHermes-Exportkreditversicherung. Aktuell lägen für 2023 bereits 21 Anträge auf Investitionsgarantien des Bundes für Projekte in der Ukraine vor, so Maaßen. Weitere 42 Voranfragen seien verzeichnet worden. Der Wiederaufbau in der Ukraine, so scheint es, gewinnt also deutlich an Fahrt. Und deutsche Unternehmen sind mit dabei.
Andreas Metz
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
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