Am 1. Mai 2024 jährte sich zum 20. Mal die Erweiterung der Europäischen Union um zehn mittelost- und südeuropäische Staaten. Der Beitritt von Estland, Lettland, Litauen, Polen, der Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Malta und Zypern war 2004 die mit Abstand größte EU-Erweiterungsrunde. Rund 200 Gäste, darunter Vize-Kanzler Robert Habeck, der slowenische Wirtschaftsstaatssekretär Matevž Frangež und Botschaftsvertreter aller zehn Beitrittsstaaten haben sich auf Einladung des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, des BDI und der DIHK am 8. Mai im Haus der Deutschen Wirtschaft zu einer Konferenz getroffen, um Bilanz zu ziehen und auf die Zukunft der EU zu blicken.
„Freiheit, Dankbarkeit, Frieden und Glück“ – dies sind die zentralen Begriffe, die an diesem 8. Mai im Haus der Deutschen Wirtschaft in nahezu jeder Rede eine Rolle spielten. Der slowenische Wirtschaftsstaatssekretär Matevž Frangež, der die Perspektive der Beitrittsstaaten in die Konferenz einbrachte, nannte die EU sogar „das erfolgreichste Kooperationsprojekt in der Geschichte der Menschheit“. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zog in seiner Keynote eine Linie vom 1. Mai 2004 zum 8. Mai 1945. Früher sei es in Europa leider normal gewesen, dass Grenzen militärisch verändert wurden und dass Menschen dabei starben. Die EU-Gründung habe dann zu einer außergewöhnlich langen Friedenszeit in Europa beigetragen. Dies aber sei alles andere als selbstverständlich, denn heute seien die Gefahren durch Populismus, Nationalismus und Isolationismus sehr ernst zu nehmen. Habeck wünschte sich deshalb, dass die Geschichte der EU-Erweiterung weitergeht. Auf den Staaten des Westlichen Balkans ruhten hier große Hoffnungen, so der Vizekanzler. Die EU-Erweiterung solle aber auch nach innen fortgesetzt werden und sich stärker auch in Richtung einer militärischen Union und einer strategischen Außenpolitik mit mehr Mehrheitsentscheidungen entwickeln. In der Fragerunde, die von Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms moderiert wurde, erinnerte sich der Vize-Kanzler an eigene Interrail-Reisen durch Frankreich, Spanien und das Baltikum und forderte dazu auf, jungen Menschen, insbesondere Nicht-Akademikern, durch erweitere Austauschmöglichkeiten noch mehr die Gelegenheit zu geben, sich emotional mit der Idee von Europa zu verbinden.
Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende Cathrina Claas-Mühlhäuser forderte in ihrer Begrüßungsrede „eine neue Dynamik in der Erweiterungsdebatte“. Gerade der russische Krieg gegen die Ukraine zeige, wie notwendig es sei, dass sich die EU mit weiteren Ländern verbinde. Die EU-Erweiterung sei auch für die deutschen Unternehmen eine Herzensangelegenheit und damit immer mehr als ein reines Wirtschaftsprojekt gewesen. „Aber ein starkes, demokratisches Europa ist ohne eine starke, funktionierende Wirtschaft nicht denkbar. Das sind zwei Seiten derselben Medaille.“ Entsprechend stolz könne man auf die hervorragende wirtschaftliche Bilanz der Erweiterung von 2004 sein. Große Bedenken und Warnungen vor steigenden Arbeitslosenzahlen und der Abwanderung von Unternehmen, die es in den Jahren vor der EU-Erweiterung gegeben hätte, seien allesamt nicht eingetroffen, wie Claas-Mühlhäuser anhand einiger Statistiken belegte:
So hat sich der deutsche Außenhandel mit den acht EU-Mitgliedern Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen und Slowenien zwischen 2003 und 2023 auf 418 Milliarden Euro fast vervierfacht. Bis Ende 2021 investierten deutsche Unternehmen über 115 Milliarden Euro in diesen acht Ländern und beschäftigen dort heute rund eineinhalb Millionen Menschen. Einschließlich der drei „Nachzügler“ Bulgarien, Rumänien und Kroatien, die in den Jahren 2007 und 2013 EU-Mitglieder wurden, summierte sich der deutsche Handel mit den östlichen EU-Mitgliedern 2023 auf fast eine halbe Billionen Euro. Dies entspricht einem Anteil von knapp 17 Prozent am gesamten deutschen Außenhandel. Insgesamt ist das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in den 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten im Vergleich zum EU-Durchschnitt von rund 52 Prozent auf fast 80 Prozent im Jahr 2023 gestiegen. Die Arbeitslosenquoten in diesen Mitgliedsstaaten sind im gleichen Zeitraum von durchschnittlich 13 auf vier Prozent gesunken. Nicht Arbeitslosigkeit, sondern Arbeitskräfteknappheit sei dort, genauso wie in Deutschland heute ein dominierendes Thema.
Auch DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben sowie BDI-Hauptgeschäftsführerin und Ost-Ausschuss-Schatzmeisterin Tanja Gönner betonten in ihren Reden, dass die wirtschaftliche Entwicklung nach 2004 in den Beitrittsländern die Erwartungen übertroffen hätten. Das Who-is-Who der deutschen Wirtschaft sei schon lange mit Produktionsstätten in Mittelosteuropa präsent, fühle sich dort zu Hause und habe sich wichtige Märkte erschließen können. Heute könne Deutschland viel von den Beitrittsländern lernen. So seien beispielsweise die baltischen Staaten EU-weite Vorreiter in Sachen Digitalisierung, betonte Tanja Gönner. „Es wäre schön, so etwas in Deutschland zu haben.“ Die BDI-Hauptgeschäftsführerin warnte aber auch vor Rückschritten bei der Umsetzung der EU-Regeln in manchen Beitrittsländern. Hier sei die EU aufgefordert, Kurs zu halten und die Regeln des EU-Binnenmarktes durchzusetzen.
An der abschließenden Diskussionsrunde, die von DIHK-Pressesprecherin Daphne Grathwohl moderiert wurde, nahmen neben Claas-Mühlhäuser und Frangež auch der Geschäftsführer des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) Mario Holzner sowie der Vize-Präsident der BASF Group Thomas Narbeshuber Teil, der gleichzeitig Länderarbeitskreissprecher des Ost-Ausschusses für Südosteuropa ist. Narbeshuber sprach angesichts der Bilanz von 20 Jahren auch der deutschen Politik ein Lob aus. So sei die Unterstützung der Bundesregierung für Unternehmen und die zahlreichen Wirtschaftsförderprogramme auch in Mittelost- und Südosteuropa ein wichtiger Faktor für den Erfolg deutscher Investitionen gewesen. Die Runde war sich aber darin einig, dass es keine Zeit gebe, sich auf dem Erreichten auszuruhen. Große Aufgaben wie die grüne Transformation der Wirtschaft und die Konkurrenz mit China und den USA machten es mehr denn je notwendig, als Europäer eng zusammenzuarbeiten und bei Entscheidungen noch besser und schneller zu werden. Entsprechend solle auch die Tür für eine Erweiterung der EU offengehalten werden. „Protektionismus in Europa ist nicht die richtige Antwort“, so Frangež. Und Narbeshuber ergänzte optimistisch: „Wenn wir alle unsere Stärken zusammenbringen, dann sind wir unschlagbar.“
Andreas Metz
Leiter Public Affairs im Ost-Ausschuss
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