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Staaten unter Schock

Im Containerterminal in Odessa konzentriert man sich auf die Umsetzung praktischer Maßnahmen; Foto: HHLA
26.03.2020
Die drei Arbeitskreise Ukraine, Belarus und Südlicher Kaukasus tagten erstmals gemeinsam/ Schwerpunkt waren die Folgen der Corona-Krise

Eine doppelte Premiere gab es am 26. März für die drei Arbeitskreise (AK) Ukraine, Belarus und Südlicher Kaukasus: Im Zuge der Corona-Krise tagten die drei AKs nicht nur erstmals gemeinsam, sondern zudem auch zum ersten Mal per Videokonferenz. Zugeschaltet waren dabei unter anderem Referenten in Kiew, Baku und Jerewan. „Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Formate“, sagte OAOEV-Geschäftsführer Michael Harms zur Begrüßung. Im Mittelpunkt der Sitzung standen natürlich die Auswirkungen der Corona-Krise in der Ukraine, Belarus und den Ländern des Südlichen Kaukasus.

Ukraine reagiert mit Verzögerung

Alexander Markus, Geschäftsführer der AHK Ukraine, stellte die neue Regierung vor, in der es viele neue, teilweise erstmals amtierende Minister gäbe. Den Regierungswechsel im Februar bezeichnete Markus vor dem Hintergrund der damals bereits grassierenden Corona-Infektion in China und deren absehbaren Auswirkungen als „zumindest mutig“. Als Reaktion auf die weltweite Pandemie habe die Regierung nach anfänglichem Zögern bis zum 24. April eine Ausnahmesituation für das ganze Land erklärt.

Zur Unterstützung der Wirtschaft habe die Regierung Steuer- und Zollerleichterungen für Bürger und Unternehmen angekündigt. Als Beispiel für die Lage der deutschen Unternehmen im Land ging Markus auf die Autozulieferer ein. Diese leiden insbesondere darunter, dass die Autobauer in Deutschland ihre Produktion eingestellt haben. Da Betriebe ihre Beschäftigten nur mit deren Zustimmung in unbezahlten Urlaub schicken dürfen, seien komplette zeitweilige Werkschließungen die einzige wirtschaftliche Alternative. Markus forderte zur Entlastung der Betriebe und zum Erhalt der Arbeitsplätze eine Kurzarbeiterregelung wie in Deutschland.

Über die Situation im Containerterminal in Odessa informierte Philip Sweens, Sprecher des AK Ukraine im OAOEV und Geschäftsführer der HHLA International GmbH, die das Terminal betreibt. Die HHLA konzentriert sich auf die Umsetzung praktischer Maßnahmen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Dazu gehört etwa, eine sichere Anfahrt der Mitarbeiter ohne privaten Pkw zu gewährleisten, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Zum Problem könnte die Verteilung der Güter im Hinterland werden, falls LKW-Fahrer krankheitsbedingt ausfallen.

Massiver Rückgang des BIP

Einen Überblick über die makroökonomischen Folgen der Corona-Krise in den Zielländern der drei AKs gab Riccardo Giucci, Geschäftsführer von Berlin Economics. Er erwartet ausnahmslos einen massiven Rückgang des BIP in der Region. Die Abwertungen der Landeswährungen würden sich zusätzlich negativ auf die deutschen Exporte auswirken. Wichtig seien internationale Finanzhilfen etwa vom IWF. Giucci warnte aber, dass für viele Instrumente – etwa Kredite und Zuschüsse an Firmen – häufig die administrativen und institutionellen Voraussetzungen nicht gegeben seien.

Die Ukraine, Belarus, Georgien und Armenien würden in unterschiedlichem Ausmaß von gleich mehreren externen Schocks getroffen, insbesondere vom Einbruch der Exportnachfrage, dem Rückgang der Heimatüberweisungen von Gastarbeitern, Grenzsperrungen und der Abwertung der Landeswährungen. Allein die ukrainische Währung habe im März 13 Prozent an Wert verloren, es drohe ein hohes Doppeldefizit in Haushalt und Leistungsbilanz und ein BIP-Einbruch von mindestens vier Prozent. Das Land brauche dringend ein IWF-Programm.

Noch schwieriger sei die Lage in Belarus, das wegen des Streits mit Russland um Öllieferungen, dem sinkenden Ölpreis und der dürftigen Beziehungen zu internationalen Finanzinstitutionen eine schwierige Ausgangslage habe. Etwas günstiger bewertete Giucci die Situation in Georgien und Armenien, die beide über gute Beziehungen zum IWF verfügten. Beide Länder leiden aber unter dem Rückgang im Tourismus und sinkenden Rücküberweisungen aus dem Ausland, die allein etwa zwölf Prozent zur Wirtschaftsleistung beisteuern. In Georgien habe die Regierung mit sektoralen Maßnahmen, darunter einer Umsatzsteuerentlastung, reagiert. Die Banken ergreifen eigene Maßnahmen und stunden Zins- und Tilgungszahlungen.

Corona-Fonds in Aserbaidschan

Die Situation in Aserbaidschan schilderte AHK-Geschäftsführer Tobias Baumann. Dort gebe es offiziell nur eine geringe Zahl Infizierter. Um das Gesundheitssystem vor drohender Überlastung zu schützen, hat die Regierung die Nowruz-Feiertage gerade um eine Woche verlängert. Dieser bezahlte Urlaub belaste die Unternehmen in Zeiten sinkender Einnahmen, zumal die Wirtschaft unter dem niedrigen Ölpreis leide. Zur Unterstützung hat die Regierung einen „Corona-Fonds“ angekündigt. Öffentliche Investitionen stehen nach Ansicht von Baumann in Frage.

Anschließend gaben Vertreter des Auswärtigen Amts und des Bundeswirtschaftsministeriums eine Übersicht über die Einschätzungen der Bundesregierung zur Situation in der Ukraine. Die ukrainische Regierung wolle auch in der Corona-Krise die Reformpolitik weiterführen, sagte Ilja Skrylnikov vom Arbeitsstab Ukraine im Auswärtigen Amt. Sara Galander vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie wies darauf hin, dass die Konjunktur in der Ukraine sich schon im Januar eingetrübt habe. Eine Grundsatzvereinbarung mit dem IWF sei schon im Dezember erzielt worden, doch dränge der Währungsfonds auf die Umsetzung wichtiger Reformen, wie der Aufhebung des Landmoratoriums.

Praktische Probleme

In der abschließenden Diskussion ging es unter anderem um die praktischen Probleme durch die Reisebeschränkungen, darunter Fälle, bei denen die Begutachtung und Abnahme von Lieferungen im Ausland nicht fristgemäß erfolgen könne. Hier kann die Industrie- und Handelskammer der Ukraine eine Force-Majeure-Bestätigung ausstellen, mit der die Befristung aufgehoben werde. Ausländer müssten das Land nicht verlassen, wenn deren Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis auslaufen.

Deutlich wurden in den Diskussionen, die vielfältigen, miteinander verknüpften Probleme, mit denen sich Regierungen, Unternehmen und Gesellschaften in der Region konfrontiert sehen. Nicht alle Länder sind dafür ausreichend gerüstet.

Christian Himmighoffen
Referent für Presse und Kommunikation im OAOEV

Ansprechpartner

Stefan Kägebein
Regionaldirektor Osteuropa
Tel.: 030 206167-113
S.Kaegebein@bdi.eu

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