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Stresstest für die ganze Region

Alle Länder Südosteuropas haben hart mit den wirtschaftlichen Folgen des Corona-Virus  zu kämpfen. Denkmal und Kathedrale in Belgrad. Foto: A. Metz
03.04.2020
Ausgangssperren und Reisebeschränkungen überall an der Tagesordnung

Am 3. April 2020 lud der OAOEV zu zwei Video-Konferenzen des Arbeitskreises Südosteuropa ein. Obwohl erst am 27. Februar 2020 in Wien eine Sitzung stattgefunden hatte, bestand angesichts der dramatischen Auswirkungen durch die Ausbreitung des Corona-Virus die Notwendigkeit, erneut die Gelegenheit zum Austausch gegeben. Während die Fallzahlen an Infizierten in der ganzen Region durch entschiedene Schutzmaßnahmen bislang noch recht niedrig sind, entwickeln sich die wirtschaftlichen Folgen zu einem Stresstest für die ganze Region.

Länder des Westlichen Balkans

Unter Leitung von Philipp Haußmann (Vorstandssprecher Ernst Klett AG), der den verhinderten Arbeitskreissprecher Janusz Kulik (Rewe) vertrat, ging es in der ersten Arbeitskreisrunde um die Länder des Westlichen Balkans. Von Seiten der Bundesregierung informierten zunächst  Sabine Stöhr, Leiterin des Referates Westlicher Balkan im Auswärtigen Amt, und Helge Tolksdorf, Leiter des Referates EU-Erweiterung, Südosteuropa und Türkei, über die  aktuelle Lage in der Region. Es folgten Beiträge des Delegierten der Deutschen Wirtschaft in Skopje Patrick Martens und des Geschäftsführers der Deutsch-Serbischen Wirtschaftskammer in Belgrad Martin Knapp.

Alle Regierungen der Länder des Westlichen Balkans haben schnell und entschieden auf die Corona-Krise reagiert. So sind Ausgangssperren und Reisebeschränkungen überall an der Tagesordnung und mit teils sehr hohen Strafen belegt, sollten Anordnungen nicht befolgt werden. In Nordmazedonien wie auch in Serbien wurden die ursprünglich für April angesetzten vorgezogenen Neuwahlen verschoben. Sorge bereitet die aktuelle Situation in Kosovo, wo der Regierung nach wenigen Wochen Amtszeit durch ein Votum im Parlament das Misstrauen ausgesprochen wurde. Für den Übergang ist weiterhin Premierminister Albin Kurti mit dem Großteil seines ursprünglichen Kabinetts technisch im Amt. Zu erwarten ist allerdings die baldige Bildung einer neuen Regierung.

 Auch in Bosnien und Herzegowina findet im Krisenmodus ein politisches Tauziehen statt, auch wenn zu beobachten ist, dass die Krise immer stärker zu gemeinsamem Handeln zwingt. Alle Länder der Region haben aktuell Maßnahmenpakete zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie aufgelegt. Abhängig von den zur Verfügung stehenden Mitteln im Haushalt, fallen diese unterschiedlich groß aus. Führend ist Serbien, das aktuell auch die höchsten Fallzahlen meldet. Dort stellt die Regierung ein Paket von 5,1 Milliarden Euro zur Verfügung, das unter anderem die Stundung und Senkung von Abgaben enthält sowie „Helikopter-Geld“ in Form einer Einmal-Zahlung des Staates an alle Bürger, von 100 Euro vorsieht.

Kampf der Narrative

Positiv ist die Nachricht zur Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien. Leider kompensiert dies noch nicht den Vertrauensverlust, den die EU durch die zwischenzeitliche Blockade der Beitrittsgespräche durch Frankreich und einige andere Mitgliedsstaaten in der Region erlitten hat. Im sogenannten Kampf der Narrative, der nicht nur durch die Positionierung Chinas als Helfer in der Corona-Not, sondern auch durch die Politik des ungarischen Premierministers Viktor Orbán befeuert wird, steht die Europäische Union unter Druck. Diese hat inzwischen reagiert und in einem Maßnahmenpaket den Ländern der Region 410 Millionen Euro als kurz- und mittelfristige Unterstützung im Kampf gegen die Ausbreitung und die Folgen der Corona Pandemie zur Verfügung gestellt.

Die Corona-Pandemie stellt, so fasste es einer der Sprecher zusammen, den ultimativen Stresstest für die Region dar. Wirtschaftliche Schwäche, ineffektive Verwaltungsstrukturen, ein defizitäres Gesundheitssystem, Klientelismus, die Tendenz zum Populismus sowie das Unterlaufen von Rechtsstaatlichkeit werden zu massiven sozio-ökonomischen Folgen in den Ländern führen.

Chancen in der Krise

Doch ergeben sich auch neue Chancen aus dieser Krise für die Region? Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die Verkürzung der Lieferketten Tendenz, die sich bereits in den vergangenen Jahren abgezeichnet hat und schon vor der Corona-Pandemie eines der Chancenfelder für die Region darstellte. Durch Corona dürfte sich der Trend noch verstärken. Aktuell werde zum Beispiel konkret über die Rückverlagerung pharmazeutischer Produktion in den europäischen Raum diskutiert. Zu diesem Thema passt auch die vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik umgesetzte Einkaufsinitiative für die Länder des Westlichen Balkans. Diese wurde auf den 8. September 2020 verschoben und Einkäufer deutscher Unternehmen mit Produzenten aus der Region zusammenbringen wird. Diese von der Bundesregierung im Rahmen des sogenannten Berlin-Prozesses geförderte Initiative wird auch durch den OAOEV unterstützt.

Zu den positiven Aspekten der Krise gehört auch der sich verstärkende Trend zur Digitalisierung in der Region. Umso wichtiger sei es auch hier, an dem Prozess der Digital Summits für den Westbalkan festzuhalten. Der ursprünglich für den 2. und 3. April 2020 geplante Summit musste auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.

Um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie effektiv bekämpfen zu können, sei es zudem gerade jetzt umso wichtiger, an Projekten zur praxisorientierten Aus- und Weiterbildung festzuhalten. Die Verfügbarkeit von Fachkräften galt bereits vor der Krise als eine der größten Herausforderungen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Region. Die wirtschaftliche Erholung in der Zeit nach Corona in Deutschland dürfe nicht mit der Abwerbung von Fachkräften aus der Region einhergehen, die dort dringend für die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen benötigt würden.

Entwicklung in den südosteuropäischen EU-Mitgliedsländern

In der zweiten Sitzung des Länderkreises standen die EU-Mitgliedsländer Rumänien, Bulgarien, Slowenien und Kroatien sowie die Republik Moldau als Land der europäischen Nachbarschaft im Fokus.

Unter anderem stand erneut Helge Tolksdorf aus dem Bundeswirtschaftsministerium für einen Impuls zur Verfügung. Ebenfalls zugeschaltet waren die Geschäftsführerin der Deutsch-Slowenischen Auslandshandelskammer Gertrud Rantzen, der Geschäftsführer der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer Mitko Vassilev sowie Sebastian Metz, Geschäftsführer der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer.

Anders als bei den Ländern im Assoziierungsprozess können die EU-Mitgliedsländer auf Mittel der Europäischen Union zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zurückgreifen. In allen Ländern sind die wirtschaftlichen Auswirkungen bereits jetzt spürbar. Hilfsprogramme der Regierungen sollen die Unternehmen in den akuten Zeiten das Überleben sichern. Zu den einzelnen Maßnahmen gehören die Gewährung von Stundungen und Subventionen von Krediten wie andere Maßnahmen etwa im Bereich der Sicherung von Arbeitsplätzen. Die deutschen Auslandshandelskammern stehen dazu im engen Austausch mit Regierungsvertretern.

Sorge bereitet die weiterhin schwierige Lage der Gesundheitssysteme. Hinzu komme eine große Zahl von Rückkehrern, die zuvor im Ausland gearbeitet haben, diese Länder infolge der Krise verlassen mussten und nun die Sozialsysteme ihrer Herkunftsländer belasten. Allein in Bulgarien spricht man von etwa 300.000 Rückkehrern. So entspann sich auch in diesem Teil der Sitzung eine Debatte um die Frage, ob dieser Trend dazu führen könnte, dass sich das Thema Fachkräftemangel im Zuge der Corona-Pandemie entspannen werde oder nicht. Allein die Rückkehrer werden - so einige Stimmen - den Arbeitsmarkt nicht entlasten. Noch aber sei schwer absehbar, wie viele Unternehmen die Krise überstehen und damit auch in der Zukunft als Arbeitgeber zur Verfügung stehen werden.

In beiden Sitzungen berichteten Vertreter aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen, dass aktuell keine Anzeichen für eine drohende Bankenkrise bestünden. Allerdings sei aktuell kaum zu beziffern, wie stark die Wachstumsprognosen im negativen Sinne angepasst werden müssten. Dies hinge vor allem von der Frage ab, wie lange die Krise dauert. Unternehmensseitig wurde die Sorge geäußert, dass die zur Umsetzung der Notfallpakete notwendigen Gelder über Sondersteuern oder ähnliche Instrumente beschafft werden. Dies gelte es im Blick zu behalten.

Philipp Haußmann, Mitglied des Vorstandes des OAOEV und Sprecher des Vorstandes der Ernst Klett AG, schloss nach insgesamt über zwei Stunden die Videokonferenzen mit dem Hinweis, dass dieses Format nach der Osterpause in etwa vier Wochen wieder aufgelegt werden solle. Zugleich verwies er darauf, dass die 17. Generation des Zoran Djindjic Stipendienprogramms der Deutschen Wirtschaft für die Länder des Westlichen Balkans ihre Praktika nicht wie geplant zum 1. Juli, sondern zum 1. Oktober 2020 aufnehmen wird. Hier gilt den Unternehmen und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unser Dank für ihre Flexibilität.

Anja Quiring
OAOEV-Regionaldirektorin für Südosteuropa

Ansprechpartner

Anja Quiring
Regionaldirektorin Südosteuropa
Tel.: 030 206167-130
A.Quiring@bdi.eu

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