Mit der virtuellen Tagung des Arbeitskreises (AK) Zentralasien setzte der OAOEV am 2. April die Serie von AK-Sitzungen fort, bei denen sich die Mitgliedsunternehmen über aktuelle Entwicklungen in den Zielregionen informieren können. Im Mittelpunkt der Sitzung, die von OAOEV-Geschäftsführer Michael Harms moderiert wurde, standen diesmal Kasachstan und Zentralasien.
AK-Sprecher Manfred Grundke, CEO der KNAUF Gruppe, wies zur Begrüßung zunächst auf die „ganz erheblichen Auswirkungen“ hin, die der Verfall des Ölpreises und die gesunkene Energienachfrage der wichtigsten Abnehmer wie China für Kasachstan habe. Dazu kommen nun die unmittelbaren Folgen der Corona-Krise, die dazu geführt haben, dass die großen Städte isoliert und der landesweite Verkehr eingeschränkt worden sei.
Für sein eigenes Unternehmen zeichnete der AK-Sprecher noch ein positives Bild: Der Absatz von Baustoffen sei in Kasachstan höher gewesen als im Vorjahr, und Knauf halte an seinen Investitionen in der Region fest. Der Baustoffhersteller baue unter anderem den Export nach Afghanistan aus Usbekistan aus.
Der deutsche Botschafter in Kasachstan Thilo Klinner gab im Anschluss eine Gesamteinschätzung der Lage in dem zentralasiatischen Land. Die meisten Betriebe seien geschlossen und das öffentliche Leben fast zum Stillstand gekommen. Diese Krise komme zu einem schwierigen Zeitpunkt, weil sich das Land mitten in einem politischen Transformationsprozess befinde. „Die Krise konterkariert die Bemühungen um die Diversifizierung der Wirtschaft und den Aufbau eines Mittelstands“, sagte der Botschafter: „In Zeiten der Krise gewinnt die soziale Dimension an Bedeutung.“ Präsident Kasyym-Schomart Tokajew habe durch seinen sozialen Kurs an Popularität gewonnen.
Die kasachische Regierung hat ein Unterstützungsprogramm im Umfang von zehn Milliarden US-Dollar aufgelegt. Die zu erwartenden zweistelligen Einnahmeausfälle und höhere Ausgaben sollen kurzfristig durch den Abbau von Reserven und ausländische Kredite aufgefangen werden. Der Botschafter forderte die kasachische Regierung auf, die Unterstützungszahlungen auch deutschen Unternehmen zugänglich zu machen.
Die deutsche Wirtschaft solle sich aber bereits jetzt für die Zeit nach der Krise wappnen, forderte der Botschafter. Nach Kinners Einschätzung werde die wirtschaftliche Bedeutung Deutschlands für Kasachstan zunehmen, weil Deutschland Technologiepartner für die wichtige Diversifizierung etwa in der Landwirtschaft, der Industrie 4.0 oder der Medizintechnik sei. „Es gilt, das Erreichte zu bewahren und den Gesprächsfaden rasch wieder aufzunehmen“, sagte Kinner. Offen sei aber, ob die großen Investitionsprojekte alle fortgesetzt würden.
In das gleiche Horn blies auch der deutsche Botschafter im Nachbarland Usbekistan Günter Overfeld. „Nach der Krise ist vor der Krise“, sagte er: „Wichtig ist, dass wir an unserer Planung festhalten.“ Er gab einen Überblick über die Maßnahmen der usbekischen Regierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Dabei wird das Land von China und Südkorea beraten, etwa bei der Einrichtung großer Behandlungszentren. Vor allem in den großen Städten werde eine Politik des „Social distancing“ praktiziert. So sind für Autofahrten in Taschkent Sondergenehmigungen erforderlich.
Die Krise trifft nach Einschätzung des Botschafters vor allem den Tourismus und die zuvor boomende Bauindustrie, die für den Arbeitsmarkt sehr wichtig sei. Als Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft hat die Regierung eine Reduzierung von Sozialabgaben und Steuersätzen und Verschiebungen der Steuerzahlungen beschlossen. Die Zentralbank soll die Liquidität der Wirtschaft sicherstellen, die Geschäftsbanken Zahlungen für bestimmte Branchen stunden. Zur Bewältigung der Krisenfolgen hat Usbekistan einen Sonderfonds in Höhe von gut einer Milliarde US-Dollar eingerichtet und Kredite bei der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) beantragt.
Hovsep Voskanyan, Delegierter der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien, ging ausführlich auf die wirtschaftlichen Folgen und die Stützungsmaßnahmen der zentralasiatischen Länder ein. Für Kasachstan sei die Krise ein „dualer Schock“ wegen des zeitgleichen Einbruchs am Ölmarkt und der Corona-Epidemie. Oberste Priorität habe die Stabilisierung der Währung, die im März 15 Prozent an Wert verloren habe. Zu den geplanten Maßnahmen gehöre die obligatorische Konvertierung von Deviseneinnahmen. Zu den Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft zählen Unterstützungskredite, Steuerstundungen und -ferien und die Stundung von Kreditrückzahlungen.
Ähnliche Maßnahmen hat auch Usbekistan im Rahmen seines Antikrisenfonds ergriffen. Neben steuerlichen Entlastungen will sich die Regierung an Fracht- und Transportkosten beteiligen, um Ex- und Importgeschäfte zu erleichtern. In Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgisistan haben geschlossene Grenzen für den privaten Verkehr zu Einschränkungen im internationalen Güterverkehr geführt.
Zu den konkreten Auswirkungen der Krise auf deutsche Unternehmen in Zentralasien hat die AHK gerade eine Umfrage durchgeführt. Demnach beurteilen aktuell noch fast 84 Prozent der befragten Unternehmen ihre Lage als gut oder befriedigend. Die Hälfte rechnet allerdings in den kommenden zwölf Monaten mit einer Verschlechterung der eigenen Situation. Die größten Risiken sehen die Unternehmen dabei vor allem in der Wechselkurs- und Nachfrageentwicklung und der Finanzierung.
Die abschließenden Diskussion war vielen praktischen Fragen der Geschäftstätigkeit in Zentralasien gewidmet: So berichteten Teilnehmer, dass private Kunden in Usbekistan Ihre Investitionen zurückstellen würden, auch um ihre Liquidität zu schonen, und fällige Anzahlungen verschoben würden. Probleme bereitet zudem die Ausreise von Mitarbeitern aus der Region. Das Bankensystem ist nach Einschätzung von Vertretern deutscher Banken aber stabil. In beiden Ländern gebe es keine Kapitalbeschränkungen, Hermes-Bürgschaften seien erhältlich.
Auch die Maschinenlieferungen an die usbekische Landwirtschaft laufen vor der Aussaat weiter, berichtete ein Vertreter aus dem Landmaschinenbau. Usbekische Landwirte wollten an ihren Investitionen festhalten, falls Finanzierungen erhältlich sind. Nach Turkmenistan seien dagegen derzeit de facto keine Lieferungen möglich. Per Brodersen, Leiter der AG Agrarwirtschaft/German Agribusiness Alliance im OAOEV, berichtete, dass Kasachstan seine Exporte von Weizen und Mehl ausgesetzt habe, was Auswirkungen auf den Cash Flow der Produzenten habe. Präsident Tokajew bemüht sich um die Aussetzung von Exportzöllen für Lebensmittel in der Eurasischen Wirtschaftsunion.
OAOEV-Regionaldirektor Eduard Kinsbruner kündigte einen engen Dialog mit den Regierungen in Zentralasien an. So plant der OAOEV Videokonferenzen mit Regierungsvertretern aus Kasachstan und Usbekistan, um aus erster Hand Informationen über Unterstützungsmaßnahmen zu bekommen.
Außer um praktische Fragen drehte sich die anschließende Diskussion auch um die Rolle Chinas in Zentralasien, das in der Region Unterstützung bei der Krisenbewältigung leistet. Die beiden deutschen Botschafter erwarten allerdings keinen Wandel in der Chinapolitik Kasachstans und Usbekistans. China habe zwar große wirtschaftliche Bedeutung, die Beziehungen seien jedoch nicht störungsfrei. „China wird nicht als rettender Engel empfunden,“ sagte Botschafter Kinner.
Christian Himmighoffen
Referent Presse und Kommunikation im OAOEV
Eduard Kinsbruner
Regionaldirektor Zentralasien
Tel.: 030 206167-114
E.Kinsbruner@bdi.eu
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