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Unternehmen erwarten Erholung ab dem dritten Quartal

Mario Mehren moderiert die AK-Sitzung Russland
04.06.2020
Aktuelle Situation auf dem Öl- und Gasmarkt

Am 4. Juni fand unter der Leitung von Mario Mehren (CEO Wintershall DEA) eine Online-Sitzung des Arbeitskreises Russland mit rund 50 Teilnehmern statt. Neben der Corona-Krise standen insbesondere die Lage auf dem russischen Automobil-, Chemie- und Finanzmarkt, sowie mögliche US-Sanktionen gegen das Pipelineprojekt Nord Stream 2 auf der Agenda. Zu den Referenten gehörten Tobias Tunkel, Leiter des Russlandreferats im Auswärtigen Amt, sowie Vertreter von in Russland aktiven deutschen Unternehmen.

In seiner Einführung beleuchtete Mario Mehren die aktuelle Situation auf dem Öl- und Gasmarkt. Der Preisverfall für die Energieträger im Zuge des Corona-bedingten Nachfrageeinbruchs und bestehender Überkapazitäten habe die russische Wirtschaft in einen starken Abwärtstrend befördert und bringe auch den russischen Staatshaushalt in Schwierigkeiten. Im April haben sich der Gaspreis in Westeuropa mit 6,50 Euro im Vergleich zu Ende 2019 halbiert und sei dann im Mai sogar auf 4,50 Euro gesunken. Seit Juni gebe es eine leichte Erholung. Für gasproduzierende Unternehmen und den russischen Staat sei das aber eine schwierige Lage. Gazprom erwarte etwa 20 Milliarden Euro Mindereinnahmen gegenüber 2019. Das werde zwangsläufig Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit haben. Im Mai habe es erstmals die Situation gegeben, dass die heimischen russischen Gaspreise höher waren als die Exportpreise. Für die Ölbranche sehe es auch nicht besser aus. Während zum Jahreswechsel der Ölpreis noch bei 60 US-Dollar pro Barrel gelegen hatte gab es im April einen Durchschnittspreis von 18,50 US-Dollar pro Barrel. Im Mai habe es eine leichte Erholung auf 29 US-Dollar gegeben, heute liege der Preis bei rund 38 - 40 US-Dollar. Die hochwertigere Ölsorte Urals habe zwischenzeitlich sogar einen Abschlag zu Brent wegen geringer Nachfrage verzeichnet. Dank der Lockerungsmaßnahmen in Russland gehe die Nachfrage inzwischen wieder langsam nach oben. Dennoch gehe die russische Regierung davon aus, dass das Einknicken des Ölpreises etwa 35 bis 50 Milliarden US-Dollar Mindereinnahmen für den russischen Staatshaushalt zur Folge haben werde.

Thema US-Sanktionen

Mit Sorge betrachtete Mario Mehren die aktuelle Situation rund um die Sanktionierung von Nord Stream 2. Die Sanktionen gegen die Verlegerschiffe für Nord Stream 2, die kurz vor Weihnachten verhängt wurden, sollen nun laut einem aktuellen Gesetzesvorhaben des Senators Ted Cruz auf eine umfassende Sanktionierung gegen alle an der Fertigstellung der Pipeline Beteiligten ausgeweitet werden. Das könne laut Mehren etwa mittelständische Unternehmen in Ostdeutschland betreffen, die Hafeninfrastruktur für die Pipeline-Schiffe zur Verfügung stellen oder direkt zum Bau beitrügen.

Auf dieses Thema ging im Anschluss auch Tobias Tunkel, Leiter des Referats für Russland, Belarus, Moldau und Östliche Partnerschaft im Auswärtigen Amt, ein. Laut Tunkel könne bei einer Annahme des Gesetzes, das das Sanktionsgesetz PEESA von 2019 ergänzen soll, der Kreis der Betroffenen stark steigen bis hin zu Zertifizierungen und Inspektionen. Damit könnten sogar behördliche Aktivitäten, wie Umweltrechtsprüfungen plötzlich sanktionsrelevant werden. Ein zusätzlicher Faktor der Verschärfung sei die rückwirkende Anwendung des neuen Gesetzes auf den Zeitraum ab Dezember 2019. Es sei derzeit vieles noch unklar, auch das überparteiliche Interesse der USA an dem Thema sei noch nicht abzuschätzen. Aber angesichts der wahrzunehmenden Rhetorik, habe man allen Grund, die Pläne ernst zu nehmen. Den Initiatoren des Gesetzes gehe es nicht um eine Verzögerung, sondern um die Verhinderung von Nord Stream 2. Aus Sicht des Auswärtigen Amtes bedeute die Umsetzung des Gesetzesvorhabens einen Eingriff in die EU-Souveränität und die europäische Energiesicherheit. Es gehe hier um die prinzipielle Frage, dass nicht in Washington, sondern in Brüssel über die europäische Energiesicherheit zu entscheiden sei. Hierzu hoffe man auf Unterstützung der anderen EU-Mitglieder.

Tunkel ging zudem auf die Reaktion der russischen Regierung auf die Corona-Krise ein. Die Pläne des Präsidenten zur Durchführung der Verfassungsreform und die geplante großangelegte Inszenierung der Siegesparade am 9. Mai seien durch die Krise verschoben und inzwischen neu terminiert worden (1. Juli bzw. 24. Juni), ungeachtet der weiterhin hohen Infiziertenzahlen. Russland habe ein großes Paket zur Revitalisierung der Wirtschaft verabschiedet, dass man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend bewerten könne. Deutlich werde aber schon jetzt eine starke Tendenz zu Protektionismus und eine Vernachlässigung der kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Wenig Bewegung in außenpolitischen Konflikten

Was das bilaterale Verhältnis zwischen Deutschland und Russland betrifft, habe die Bundesregierung frühzeitig eine intensive Zusammenarbeit im Gesundheitssektor vorgeschlagen. Das Robert Koch Institut sei dazu auch im engen Austausch mit Rospotrebnadzor bezüglich Kooperationen bei der Impfstoffforschung. Bei den außenpolitischen Themen mit Russland habe man derzeit leider mit Stagnation zu kämpfen. Aus Sicht der EU-Russland-Beziehungen sei die Ukraine das entscheidende Problem. Seit dem N4-Gipfeltreffen in Paris gebe es ein zähes Ringen um die Umsetzung der sicherheitspolitischen und humanitären Beschlüsse, bei denen man bestenfalls millimeterweise vorankäme. Russland versuche, aus der Position einer Konfliktpartei in eine Moderatorenrolle zu wechseln und den Konflikt an die ukrainischen Konfliktparteien zu delegieren. Kritisch sieht das Auswärtige Amt weiterhin auch Russlands Rolle bei einer Cyber-Attacke auf den Bundestag.

Licht und Schatten bei deutschen Unternehmen

Im Anschluss an diesen politischen Überblick gaben fünf Branchenvertreter eine Einschätzung der aktuellen Situation, der Maßnahmen der russischen Regierung und einen Ausblick aus Sicht ihrer Branche auf die Jahre 2020/2021. Nach Stefan Teuchert, Präsident und CEO der BMW Group Russia, befindet sich der Automobilmarkt in Russland seit 2014 in einer Art Dauerkrise. Nun werde durch Corona ein trauriger Tiefpunkt erreicht. Vor 2014 hatte die Branche auf 3,5 bis 4 Millionen Neuzulassungen pro Jahr gehofft, 2019 lag der Wert bei 1,7 Millionen Fahrzeuge, nach dem Beginn der Corona-Krise im April sei der Markt nun um teilweise 50 Prozent eingebrochen. Ab Juni rechne man jetzt mit einer Normalisierung. Im Gesamtjahr dürften die Neuzulassungen damit nur knapp über der Grenze von einer Million PKW liegen, wobei der Premium-Bereich mit einem Minus von nur 15 Prozent noch relativ gut aus der Krise kommen könne. Die Maßnahmen der Regierung beurteilte Teuchert zurückhaltend. Aufgrund der bezahlten arbeitsfreien Zeit sei jeder Unternehmer damit konfrontiert gewesen, die vollen Kosten ohne Umsätze zu schultern. Insgesamt sei Unterstützung für mittelständische Händler kaum vorhanden.

Als Vertreter der Automotive-Zuliefererindustrie berichtete anschließend Michael Broese, Managing Director von Dürr Systems Russia, über die Lage. Anhand einer Präsentation veranschaulichte Broese die Korrelation von Ölpreis und Verkaufszahlen für Autos. Weltweit erwarte man einen Einbruch des Automobilmarktes von ca. 30 Prozent, Russland liege damit im Trend. Positiv sei, dass der Rubel sich wieder leicht erholt habe. Die meisten Hersteller seien auf eine 4-Tage-Woche gegangen und haben statt drei Schichten nur eine oder zwei Schichten. Man rechne mit einem schwachen zweiten Quartal, hoffe auf eine Steigerung im dritten und eine Normalisierung im vierten Quartal.

Dr. Christoph Roehrig, Vice President Market Area Russia & CIS, EUE/R, Managing Director, OOO BASF berichtete aus Perspektive der Chemie- und Agrarbranche.  Der Markt für industrielle Chemiegüter werde ein schweres Jahr haben, mit einem Einbruch von ungefähr 20 Prozent. Die Agrochemie bis hin zur Ernährungsindustrie habe dagegen mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten von Corona profitiert. Grundsätzlich würden derzeit in großen Unternehmen aktuelle Investments zurückgehalten. Gerade große Projekte, die in den letzten Jahren aufgelegt wurden, stünden auf dem Prüfstand. Ein Großteil des Wachstums in vergangenen Jahren im Chemiebereich sei von mittleren und kleineren Unternehmen erzielt worden. Die Maßnahmen für diese Sparte seien mit geplanten 17 Milliarden Euro gemessen an der Bedeutung viel zu wenig. Der Staat müsse hier nachlegen, um reihenweise Insolvenzen zu verhindern.

Kritik an mangelnden Hilfen für den Mittelstand

Für die Konsumgüterindustrie zeigte sich Sergey Bykovskih, Präsident Henkel Russia, General Manager Henkel Beauty Care Russia & CIS, durchaus optimistisch.  Man habe in Russland schon viele Krisen gemeistert. Russland stehe als Markt für Henkel an fünfter Stelle, das Unternehmen sei hier mit den drei Bereichen Kosmetik, Laundry/Homecare und Klebstoffe vertreten. Die Ergebnisse in der aktuellen Krise seien je nach Sektoren gemischt, da diese unterschiedlich betroffen seien. Man wachse im Konsumentensektor, im Bereich Hygiene und Gesundheit, die Nachfrage nach Kosmetika sei aber sichtbar zurückgegangen, mit einem Einbruch um 20 Prozent. Stark betroffen sei der B2B-Bereich, wo Henkel zum Beispiel für die Automobilbranche zuliefert. Zu Beginn des Lockdowns habe es für die zehn Produktionsstätten von Henkel in Russland schwierig ausgesehen, so Bykovskih, vor allem aufgrund der geringen Transparenz der lokalen Behörden.  Schließlich sei man aber dank der Unterstützung des Ost-Ausschusses in die Liste der systemkritischen Unternehmen aufgenommen worden, sodass man wieder produzieren konnte. Für eine Wiederbelebung der Wirtschaft sehe Bykovskih dringenden Bedarf in der Minimierung des administrativen Drucks sowie bei der Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen als auch von Konsumenten und deren finanziellen Sicherheit.

Ein durchwachsenes Bild für die Entwicklung in Russland zeichnete abschließend Thomas Meißner, Abteilungsleiter Research, Finanzmarktstrategie, Landesbank Baden-Württemberg
Die Zentralbank habe Russland stabilitätsorientiert durch die Krise gelenkt. Zugleich seien die Exporte aber stark gefallen, ebenso habe der Einzelhandel enorm gelitten, die Industrie sei rückläufig. Während sowohl Chinas als auch Indiens Anteile an der Weltproduktion stiegen, bewege sich Russland mehr auf der Linie Brasiliens, mit einem zunehmenden Bedeutungsverlust. Die russische Regierung setze weiterhin auf makroökonomische Stabilität zu Lasten eines längerfristigen Wachstums. Die ausländischen Direktinvestitionen seien sehr gering und gingen weiter zurück. Das sei eine schlechte Voraussetzung für die Zukunft, weil damit weniger Know-how ins Land käme.

Am Ende der Sitzung bat Michael Harms, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses, um ein Feedback zu zwei aktuellen Themen: Viele russische Politiker und auch Unternehmensvertreter vertreten aktuell die These, die Globalisierung sei tot, Russland müsse sich von Importabhängigkeit befreien und autark werden. Harms bat um frühzeitige Informationen der deutschen Unternehmensvertreter, wenn sich dies in Gesetzen und Verordnungen äußere. Zudem bat Harms um konkrete Vorschläge und Wünsche für eine Unterstützung mittelständischer Unternehmen. Der Ost-Ausschuss wolle die Forderungen konsolidieren und in die weiteren Diskussionen um russische Corona-Konjunkturpakete einbringen.

Ansprechpartner

Dr. Christiane Schuchart
Regionaldirektorin Russland
Tel.: 030 206167-123
C.Schuchart@bdi.eu

Andreas Metz
Leiter Presse und Kommunikation
Tel.: 030 206167-120
A.Metz@bdi.eu

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