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Europa grenzenlos

Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende Cathrina Claas-Mühlhäuser begrüßt Premierminister Milojko Spajic. Foto: Thomas Rafalzyk
13.06.2024
Ost-Ausschuss-Jahresveranstaltung mit dem Premierminister von Montenegro/ Claas-Mühlhäuser: „EU-Erweiterung noch nicht abgeschlossen“

Europa und die Perspektiven der EU-Erweiterung waren die dominierenden Themen der diesjährigen Jahresveranstaltung des Ost-Ausschusses, an der Milojko Spajic, Premierminister des EU-Beitrittsanwärters Montenegro, als Ehrengast teilnahm. Neben ihm konnte der Ost-Ausschuss über 220 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Diplomatie an einem besonderen Ort begrüßen: Die Archenhold-Sternwarte im Treptower Park in Berlin gilt als älteste Volkssternwarte Deutschlands.

Im so genannten Einsteinsaal der Sternwarte hatte Albert Einstein im Jahr 1915 zum ersten Mal einen öffentlichen Vortrag über seine Allgemeine Relativitätstheorie gehalten, wie der Direktor der Sternwarte Tim Florian Horn in einer kurzen Einführung zur Geschichte des Ortes erläuterte. Horn zeigte dazu eindrucksvolle Aufnahmen aus der Geschichte des 1896 auf dem Dach der Sternwarte errichteten Riesenfernrohrs und Bilder des Sternenhimmels. Vom Weltall aus betrachtet sei Europa grenzenlos, betonte Horn: „Oder sehen Sie hier eine Grenze?“

Spajic: Montenegro ist ein „Shooting Star“.

Diese Vorlage griff der montenegrinische Ministerpräsident Milojko Spajic in seiner Keynote wieder auf. Die Nutzung der Sternwarte für den Empfang sei eine gute Wahl, so Spajic. Schließlich sei Montenegro ein „Shooting Star“ in Europa. Spajic bekräftigte das Ziel, Montenegro in die EU zu führen und die bereits seit zwölf Jahren laufenden Beitrittsverhandlungen möglichst schnell abzuschließen. „Ich fasse meine Vision von Montenegro immer in einen Satz“, sagte Spajic. „Mein Land soll die Schweiz des Balkans und das Singapur in Europa sein.“ Schließich gebe es zu beiden Ländern Parallelen: Montenegro sei multiethnisch wie die Schweiz und zugleich weltoffen wie Singapur. Es gebe keine dominierende Ethnie in Montenegro. Singapur, wo Spajic einige Jahre seines Berufslebens verbrachte, werde häufig als Asien für Anfänger bezeichnet. Spajic charakterisierte Montenegro als Sprungbrett in die Region. „Montenegro ist Balkan für Anfänger. Es ist leicht, sich dort hineinzufinden“, sagte der Premier. Er betonte außerdem die Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit für sein Land: „Wir sind ein ehrlicher Makler für die Region“, sagte Spajic. Man versuche die Nachbarn zu verstehen. Dabei helfe, dass in Montenegro Bevölkerungsgruppen aller Nachbarländer lebten.

Bis Ende Juni hoffe Montenegro auf eine positive Bewertung seiner Reformpolitik durch die EU und einen Fahrplan für den Beitritt, den das Balkanland bis 2028 anstrebt. Sein Land sei der einzige Beitrittskandidat, der schon vor dem Beitritt alle Kriterien für die Einführung des Euro erfülle. Er verwies auf den schnellen Wandel Montenegros mit dem Ziel, günstige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu schaffen. Dazu seien zahlreiche Gesetze geändert worden. Dank der jüngsten Steuersenkungen habe Montenegro die höchsten Nettolöhne in der Region. Mit diesen und weiteren Maßnahmen habe man in den vergangenen Jahren ein Wachstum von durchschnittlich über acht Prozent erzielt.

Breiter Konsens für den EU-Beitritt in Montenegro

Im Dialog mit Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms betonte der Premier den breiten Konsens für den EU-Beitritt in Montenegro. „Man muss den Menschen die Vorteile aufzeigen, um sie mit großen Ideen zu verbinden“, sagte Spajic. Dazu hätten etwa die steigenden Löhne im Zuge der EU-Annäherung beigetragen. Er strich auch die Bedeutung des Berlin-Prozesses für die regionale Kooperation auf dem Westlichen Balkan heraus, den der Ost-Ausschuss von Beginn an begleitet und unterstützt hat. Im September 2024 findet in Berlin das Gipfeltreffen zum zehnjährigen Jubiläum des Prozesses statt.
„Als kleines Land muss man nett zu allen sein“, sagte Spajic mit Blick auf die Nachbarn. Um den regionalen Handel und die Integration in den europäischen Binnenmarkt zu verbessern, sei die Entwicklung der Infrastruktur wichtig. Montenegro baue dazu den Hafen Bar und dessen Hinterlandverbindungen aus. Touristen will man mit einer neuen Autobahn und einem neuen Flughafen den Weg nach Montenegro erleichtern. Zum Abschluss hatte Spajic auch noch aufmunternde Worte für die Deutschen übrig: „Ich weiß, dass viele Deutsche nicht optimistisch für die Zukunft Deutschlands sind“, sagte er: „Aber ich bin es.“

Claas-Mühlhäuser sichert Montenegro Unterstützung zu

Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende Cathrina Claas-Mühlhäuser sieht Montenegro auf einem guten Weg. „Montenegro, so hoffen wir alle, wird das nächste EU-Mitgliedsland werden“, so Claas-Mühlhäuser. Montenegro könnte mit seinen Reformanstrengungen und dem klaren Kurs auf EU-Mitgliedschaft Vorbild für die ganze Region sein. Bundeskanzler Olaf Scholz habe das Land erst kürzlich zu Recht als „Brückenbauer in der Region“ bezeichnet. Diese enge Zusammenarbeit Montenegros mit allen seinen Nachbarn sei auf dem Weg der ganzen Region in die EU von besonderer Bedeutung. 
Claas-Mühlhäuser erinnerte an die aktuelle Diskussion über Europa, seine Werte, und seine Rolle in einer Welt ein, die wieder zunehmend in Blöcke zerfällt. Eine Antwort darauf sei ein größeres und damit stärkeres Europa. Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende bekräftigte, dass der Erweiterungsprozess der EU noch nicht abgeschlossen sei und erinnerte an den 20. Jahrestag der EU-Erweiterung um zehn neue Mitglieder aus Mittelost- und Südeuropa am 1. Mai 2024 und an die Skepsis, die es damals gerade in Deutschland gegeben habe. Doch die Erweiterung sei eine „einzigartige Erfolgsgeschichte“ geworden – gerade auch aus Sicht der Wirtschaft: „Die enge wirtschaftliche Verflechtung der deutschen Industrie mit der Region hat – anders als viele befürchtet haben – nicht zur Abwanderung von Produktion und Arbeitsplätzen geführt“, sagte Cathrina Claas-Mühlhäuser. Für die neuen EU-Mitglieder sei die Integration in die EU und die wachsende wirtschaftliche Verflechtung zugleich mit einem Anstieg der durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von 50 auf 80 Prozent des EU-Durchschnitts verbunden gewesen.

Beitrittsprozess zum Motor für Reformen

Trotz dieser gemeinsamen Erfolgsgeschichte sei die Erweiterung der EU seit dem Beitritt Kroatiens 2013 ins Stocken geraten. Die Ost-Ausschuss-Vorsitzende erinnerte an den politischen Willen, der 2004 nötig gewesen sei, um gleichzeitig zehn neue Mitglieder mit fast 80 Millionen Menschen in die EU aufzunehmen. „Diesen Willen wünsche ich mir heute wieder.“ Dazu müssten Beitrittshürden auch in der EU selbst abgebaut werden. Sie betonte aber auch, es dürfe keine Abkürzung auf dem Weg in die Union geben. So gebe es nach wie vor Nachholbedarf in der Ukraine, etwa was Investitionshindernisse angehe. Hier könne der Beitrittsprozess aber zum Motor für Reformen werden.

Gleichzeitig warb Claas-Mühlhäuser auch für den Ausbau der Beziehungen mit den Ländern des Südkaukasus und Zentralasiens, die keine unmittelbare Beitrittsperspektive hätten, aber großes Interesse zeigten, sich nach Europa zu orientieren. „Wir müssen dort präsenter sein und dürfen die Region nicht einfach China und anderen Wettbewerbern überlassen.“

Ergebnisse der Gremiensitzungen

Begonnen hatte der Tag mit Sitzungen von Vorstand und Präsidium des Ost-Ausschusses sowie mit der Jahresmitgliederversammlung. In den Gremien wurden einige personelle Veränderungen beschlossen: So tritt im Ost-Ausschuss-Vorstand Alexander von zur Mühlen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, die Nachfolge von DWS-Vorstand Stefan Hoops an. Neuer Sprecher des Arbeitskreises Zentralasien wird Ost-Ausschuss-Präsidiumsmitglied Niko Warbanoff, CEO der Deutsche-Bahn-Töchter DB E.C.O. Group und der DB International Operations GmbH. Er folgt auf den langjährigen Sprecher Prof. Manfred Grundke (GP Günter Papenburg AG). Auf der Mitgliederversammlung hatte die Ost-Ausschuss-Vorsitzende am Nachmittag ein Rück- und Ausblick auf die Verbandsaktivitäten gegeben. Dabei ging sie insbesondere auf die Schwerpunktthemen Wiederaufbau der Ukraine, EU-Erweiterung und die Wirtschaftsbeziehungen zu Zentralasien ein.

Im Rahmen der Gremiensitzungen wurden außerdem 13 Unternehmen neu in den Ost-Ausschuss aufgenommen. Die älteste Regionalinitiative der deutschen Wirtschaft konnte damit binnen eines Jahres über 60 neue Mitgliedsunternehmen gewinnen. „Die Mitgliederentwicklung zeigt, dass der Ost-Ausschuss in diesen turbulenten Zeiten als verlässlicher Partner wahrgenommen wird“, sagte Cathrina Claas-Mühlhäuser. Beim anschließenden Abendempfang im traditionsreichen Gasthaus Zenner unweit der Sternwarte hatten die Gäste Gelegenheit bei Essen, Trinken und Sonnenuntergang, Kontakte zu vertiefen und neue zu knüpfen.

Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation

Kontakt

Andreas Metz
Leiter Public Affairs
T. +49 30 206167-120
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