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„Gewicht der EU verschiebt sich nach Osten“

Der OAOEV-Vorsitzende Hermes (li.) mit Wirtschaftsminister Altmaier (Mitte) und Außenminister Tileuberdi beim Neujahrsempfang. Foto: ©Johannes Zacher
28.01.2020
Wirtschaftsminister Altmaier und Minister aus Zentralasien zu Gast beim Neujahrsempfang des OAOEV

Über 250 Gäste aus Wirtschaft, Politik und Diplomatie, darunter der Bundeswirtschaftsminister und mehrere Minister aus Zentralasien, viele Botschafter und Bundestagsabgeordnete, konnte der OAOEV am 28. Januar zu seinem traditionellen Neujahrsempfang begrüßen. Der Empfang fand in der European School of Management and Technology (ESMT) statt, die im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR am Berliner Schlossplatz ihren Sitz hat. Die Keynotes hielten der OAOEV-Vorsitzende Oliver Hermes, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und der kasachische Außenminister Mukhtar Tileuberdi. 

Zum Auftakt begrüßte Jörg Rocholl, Präsident der ESMT, die Gäste und führte in die Geschichte des Hauses ein, das ab Mitte der 1960er Jahre nacheinander die DDR-Staatsratsvorsitzenden Ulbricht, Stoph, Honecker und Krenz beherbergt hatte und Ende der 1990er Jahre sogar kurzzeitig Amtssitz von Bundeskanzler Gerhard Schröder war. Die seit Beginn der 2000er Jahre hier ansässige ESMT hat sich inzwischen zur besten Business School Deutschlands und zu einer der Top-Adressen in Europa entwickelt. 

Hermes: Starke Bedeutung Mittelosteuropas für Wirtschaft und Politik

Der OAOEV-Vorsitzende Oliver Hermes, für den es die erste große Rede im neuen Amt war, gab anschließend einen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen in den 29 Partnerländern des Vereins. Hermes konnte neben Altmaier und dem kasachischen Außenminister auch den Außenminister Kirgisistans Chingiz Aidarbekow sowie der usbekische Gesundheitsminister Alischer Schadmanow unter den Gästen begrüßen und lobte den intensiven Verständigungsprozess in Zentralasien: „Ihre Anwesenheit unterstreicht, wie gut sich in den vergangenen Jahren auch die regionale Zusammenarbeit in Zentralasien entwickelt hat“, sagte er. „Wenn dieser regionale Integrationsprozess weitergeht, bedeutet dies große Wachstumschancen für die deutsche Wirtschaft.“ Hermes kündigte an, dass der OAOEV sich im Rahmen der neuen Zentralasienstrategie der EU engagieren wolle.

Vor dem Hintergrund des Brexits wies Hermes zudem auf die veränderte Statik der EU hin: „Ohne die Briten verschieben sich die Gewichte innerhalb der EU weiter nach Osten und Südosten. Dies kann eine Chance für unsere Ost-Ausschuss-Partnerländer sein, mehr Verantwortung für dieses gemeinsame Europa zu übernehmen.“ Die wachsende Bedeutung der mittelosteuropäischen Staaten werde auch den deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit der Region noch mehr Gewicht verleihen. Mit den vier Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei handele Deutschland schon heute Waren im Wert von 300 Milliarden Euro – weit mehr als mit den USA oder China. Hermes äußerte auch die Hoffnung, dass es mit dem EU-Vorsitz Kroatiens im ersten Halbjahr 2020 zu einer Neubelebung des EU-Beitrittsprozesses auf dem Westbalkan komme.

Wiederaufbau in der Ostukraine und 50 Jahre Erdgas-Röhren-Geschäft

Ausführlich widmete sich der OAOEV-Vorsitzende den Beziehungen zu Russland und den jüngsten Entwicklungen im Ukraine-Konflikt wie dem Treffen im Normandie-Format im Dezember 2019 in Paris: „Russland muss wieder Teil von Lösungen werden, ohne dass wir politisch in allem übereinstimmen“, sagte Hermes. Ausdrücklich würdigte er die „konstruktive Rolle“ des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Parallel zu positiven Schritten im Minsker Friedensprozess sollten nun auch Vorbereitungen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau getroffen werden. Dazu hatte der OAOEV im Dezember eine Stabilitäts- und Wachstumsinitiative für die Ostukraine vorgestellt. 

Zur Verbesserung der Situation trage auch die Einigung auf einen neuen Gastransitvertrag zwischen Russland und der Ukraine Ende Dezember bei. „Trotz der tiefen Wunden von 2014 haben damit die Ukraine und Russland wieder einen Schritt aufeinander zugemacht“, sagte Hermes: „Es war ein wichtiger Schritt für die Länder, und ein großer Schritt für die EU und die europäischen Verbraucher. Denn hier ging es ja nicht zuletzt auch um die europäische Energiesicherheit.“ Hermes dankte in diesem Zusammenhang Minister Altmaier, dessen Pendeldiplomatie dazu beigetragen habe, eine Gaskrise zu vermeiden.

Zudem sprach sich Hermes für die Fertigstellung der Ostseepipeline Nord Stream 2 aus: „Wir brauchen weiterhin den Gastransit durch die Ukraine, aber ebenso zusätzliche Lieferungen über den kürzeren Weg durch die Ostsee.“ Die Wirtschaft brauche zudem Planungs- und Investitionssicherheit: „Projekte mit russischen Partnern dürfen gegenüber anderen Projekten nicht gezielt benachteiligt werden“, sagte Hermes „Und schon gar nicht darf sich die EU vom US-Kongress ihre Energiepolitik diktieren lassen.“ Der OAOEV-Vorsitzende erinnerte an das 50-jährige Jubiläum der deutsch-russischen Energiebeziehungen in diesem Jahr. Schon damals seien die USA gegen das Erdgas-Röhren-Geschäft mit der Sowjetunion gewesen, an dem der Ost-Ausschuss beteiligt gewesen sei.

„Europäischer Wohlstandsraum“

Auch Wirtschaftsminister Altmaier ging auf die langjährige Energiepartnerschaft mit Russland ein. Warnungen vor einer einseitigen Abhängigkeit von Russland bezeichnete er als „Unkenrufe“. „Unabhängig von allen politischen Wechselfällen war die Versorgung mit Gas und die Einhaltung der Lieferverpflichtungen zu jedem Zeitpunkt gewährleistet“, sagte er. Dies zeige, dass es trotz aller politischer Differenzen gelingen könne, starke Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen. Altmaier verteidigte einerseits nochmals die Einführung der Sanktionen gegen Russland, Sanktionen seien aber kein Allheilmittel. Deutliche Kritik äußerte der Minister an den Sanktionen der USA gegen Russland und den Iran, von denen auch europäische Unternehmen direkt betroffen sind. Dies sei völkerrechtlich hochproblematisch, so Altmaier: „Eigentlich sollen Sanktionen immer gegen den zu sanktionierenden Partner erlassen werden, und nicht gegen Dritte, die unbeteiligt sind an dem, was gesühnt werden soll.“ Altmaier sicherte der deutschen Wirtschaft Unterstützung bei der Abfederung der Folgen zu.

Altmaier unterstrich ausführlich die Bedeutung der deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit den Partnerländern des OAOEV, insbesondere auch mit den unmittelbaren Nachbarn der EU im Osten. Er warb für einen „gesamteuropäischen Wohlstandsraum“ und forderte die EU-Mitglieder auf, auch in ihrer Nachbarschaft Verantwortung zu übernehmen. Der Minister plädierte für eine weitere Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit Osteuropa und Zentralasien, die die Bundesregierung unterstütze: „Dazu brauchen wir Mittelständler, die wissen, wie man Geschäfte macht, wie man investiert, und wir müssen Hilfestellung geben, wenn es darum geht, einzelne Probleme zu lösen“, sagte er. 

Die chinesische Seidenstraßen-Initiative nannte Altmaier aus chinesischer Perspektive eine „geniale Idee“. „Wir Europäer haben ein solches Konzept lange Zeit nicht gehabt“, räumte der Minister ein. Die 2018 beschlossene Konnektivitätsstrategie der EU sei aber nun „unser Gegenstück dazu“. Diese solle verhindern, dass die Seiden-, eine Einbahnstraße werde, sondern zu eine europäischen Wohlstandsraum beitrage.

Treffen mit Ministern

Der kasachische Außenminister Mukhtar Tileuberdi hob in seiner Rede die enge Partnerschaft zwischen Deutschland und Kasachstan hervor und lud deutsche Unternehmen ein, in seinem Land zu investieren. Kasachstan biete dazu günstige Rahmenbedingungen. "Die kasachische Regierung bemüht sich anhaltend um eine Reform des Geschäftsklimas im Land", sagte er. Als Teil der Seidenstraße sei Kasachstan prädestiniert, ein Bindeglied zwischen der EU und China zu sein. 

Am Rande des Neujahrsempfangs traf Altmaier gemeinsam mit dem OAOEV-Vorsitzenden Hermes mit den Ministern aus Zentralasien zu einem kurzen Meinungsaustausch zusammen. Der Neujahrsempfang klang schließlich bei Musik und Buffet im Foyer des denkmalgeschützten Gebäudes aus, das mit großen Glasbildern und einem Fries mit Motiven des sozialistischen Realismus sowie Kacheln aus echtem Meißner Porzellan einen beeindruckenden Rahmen für den Start in das neue Jahrzehnt bot.

Christian Himmighoffen
Referent Presse und Kommunikation im OAOEV

Einen kurzen Film vom Neujahrsempfang gibt es hier

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