Trotz des andauernden Krieges in der Ukraine und fortgesetzter russischer Luftangriffe wächst in deutschen Unternehmen die Bereitschaft, in die Ukraine zu reisen. Laut einer aktuellen Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, an der sich rund 70 deutsche Unternehmen mit Interesse an Geschäften in der Ukraine beteiligten, haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von 28 Unternehmen seit Kriegsbeginn bereits eine oder mehrere Reisen in die Ukraine durchgeführt oder sind dort wieder fest stationiert. Weitere 24 können sich sehr gut vorstellen, demnächst erstmals wieder in die Ukraine zu reisen. Dabei steht die Hauptstadt Kyjiw mit großem Abstand im Mittelpunkt des Interesses (25 Nennungen), neben der als weitgehend sicher geltenden Region um Lwiw in der Westukraine (15), gefolgt von der südukrainischen Region Odessa/Mikolajiw (7). Vereinzelt können sich Unternehmen auch Reisen in die frontnäheren Großstädte Dnipro und Charkiw (je 2) vorstellen. Nur 16 von 68 befragten Unternehmen lehnen unter den derzeitigen Bedingungen Reisen ab.
„Trotz der weiterhin bestehenden Reisewarnung der Bundesregierung wächst erkennbar die Bereitschaft, in die Ukraine zu fahren“, kommentiert Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms die Umfrageergebnisse. „Die Lage in der Ukraine wird offenbar inzwischen deutlich differenzierter gesehen, als dies durch die furchtbaren Bilder von der Front im Osten des Landes vermittelt wird. Selbst die Hauptstadt Kyjiw im Zentrum der Ukraine ist über 400 Kilometer von der Kampfzone in der Ostukraine entfernt und sehr gut gegen Luftangriffe geschützt.“ Mit der wachsenden Reisebereitschaft nehme auch die Chance auf neue Projekte zu. „Dies ist eine gute Nachricht für die Ukraine und für die deutsche Wirtschaft“, so Harms, der Potenziale für deutsche Unternehmen in Wachstumsbranchen wie dem Bausektor, der Rüstungsindustrie, der Landwirtschaft, der IT-Branche und bei erneuerbaren Energien sieht.
Zu den großen Bremsen eines Engagements in der Ukraine zählen weiterhin der unsichere Versicherungsschutz bei Personenreisen und fehlende Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionsprojekte. Nur 20 der befragten Unternehmen sehen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktuell ausreichend gegen Kriegsschäden abgesichert, 19 Unternehmen konnten ihr Personal zumindest teilweise absichern, 29 Unternehmen verfügen nach eigenen Angaben bislang über keinen passenden Versicherungsschutz.
Was die Absicherung von Neuinvestitionen in der Ukraine und Exportgeschäften mit ukrainischen Partnern betrifft, hat die Bundesregierung zwar trotz des Krieges ihre Garantieinstrumente für deutsche Unternehmen offengehalten, diese entfalten aber bislang noch nicht die erhoffte Wirkung, wie die Umfrage zeigt. Viele Unternehmen, die Projekte in der Ukraine vorantreiben wollen, klagen über einen weiterhin unzureichenden Zugang zu Finanzierung. „Wegen der negativen Einstufung der Ukraine durch internationale Rating-Agenturen aufgrund der Kriegssituation tun sich private Finanzinstitute weiterhin sehr schwer mit einer Projektfinanzierung“, erklärt dazu Michael Harms. „Wir warten hier auf Impulse durch die angekündigte Gründung einer Wiederaufbaubank für die Ukraine nach dem Vorbild der deutschen KfW und durch Mischfinanzierungsmodelle, bei denen öffentliche Banken der Geberländer dem Privatsektor gegen eine Beteiligung an späteren Gewinnen einen Großteil der Ausfallrisiken abnehmen.“
Als Folge der weiterhin schwierigen Zugänge internationaler und ukrainischer Unternehmen zu privatem Kapital würden in der Ukraine derzeit fast nur Unternehmen aktiv, die Projekte mit Eigenkapital finanzieren können oder ins Raster einer der internationalen Förderbanken passen und sich durch den dazugehörigen Antragsdschungel schlagen. „Das ist einfach zu wenig, um mit ausländischen Direktinvestitionen eine echte Wirtschaftsdynamik in der Ukraine in Gang zu setzen, die möglich wäre“, so Harms. Zwar wachse die Wirtschaft des Landes auch 2024 um etwa 3,5 Prozent und der deutsch-ukrainische Handel weise nach den ersten sieben Monaten 2024 ein kräftiges Plus von über elf Prozent gegenüber dem Vorjahr aus. Angesichts der hohen Verluste der Ukraine im ersten Kriegsjahr 2022 sei dem Land jedoch ein deutlich höheres Wachstumstempo zu wünschen.
Unzufrieden sind deutsche Unternehmen zudem mit der Mittelvergabe der Bundesregierung. Obwohl Deutschland zu den stärksten finanziellen Unterstützern der Ukraine gehört, kommen deutsche Unternehmen bei Projektausschreibungen selten zum Zug, weil die Mittel nicht an die Beteiligung deutscher Anbieter geknüpft werden. Stattdessen führt die ukrainische Regierung Ausschreibungen durch, bei denen fast zwangsläufig nicht das qualitativ beste, sondern das billigste Gebot den Zuschlag erhält. „Ausgerechnet Unternehmen aus der Türkei oder China profitieren in der Ukraine von deutschen Steuergeldern. Hier müssen dringend von deutscher Seite die Förderrichtlinien überprüft und angepasst werden“, fordert Harms mit Verweis auf die Förderpraktiken anderer europäischer Länder. „Diese aktuelle Situation ist auch für unsere ukrainischen Partner unbefriedigend, die sich deutsches Know-how und engere Kooperationen mit deutschen Unternehmen wünschen.“
Trotz diverser Anstrengungen wie der Wiederaufbaukonferenz in Berlin geben in der Umfrage nur 15 Unternehmen an, dass sich das Investitionsklima in der Ukraine seit Jahresbeginn 2024 spürbar verbessert habe. 42 stellen keine wesentlichen Veränderungen fest, elf beobachten hingegen Verschlechterungen. Positiver stellt sich das Bild bei den Themen Korruption und Rechtsstaatlichkeit dar, die vor 2022 als Haupthindernisse für ein wirtschaftliches Engagement in der Ukraine genannt worden waren. 27 Unternehmen attestieren der ukrainischen Regierung seit Beginn des russischen Angriffskrieges 2022, die Rechtsstaatlichkeit sichtbar verbessert zu haben, nur fünf Unternehmen beobachten einen negativen Trend, 33 Unternehmen erkennen dagegen weder Fort- noch Rückschritte. „Das Ergebnis zeigt, dass weiterhin Vertrauen in den ukrainischen Rechtsstaat aufgebaut werden muss. Die ergriffenen Maßnahmen weisen aber in die richtige Richtung“, so der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses.
Die Ergebnisse der aktuellen Ukraine-Umfrage werden in die Arbeit des Business Advisory Councils einfließen, einem Beratungsgremium aus hochrangigen Wirtschaftsvertretern der G7-Plus-Staaten und der Ukraine, dem aktuell der Stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende Christian Bruch (CEO Siemens Energy) vorsitzt. Zudem dient die Umfrage der Vorbereitung des 7. Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforums, das am 11. Dezember unter Beteiligung von Bundeskanzler Olaf Scholz, Vize-Kanzler Robert Habeck und Spitzenvertretern der ukrainischen Regierung in Berlin stattfinden wird und das der Ost-Ausschuss gemeinsam mit der DIHK und der AHK Kyjiw in Zusammenarbeit mit den ukrainischen Partnern organisiert.
Eine ausführliche Auswertung der Umfrageergebnisse finden Sie nachstehend als Download.
Andreas Metz
Leiter Public Affairs
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