Der Berlin Prozess kehrt nach zehn Jahren nach Hause zurück: 2014 wurde das Format auf Initiative der damaligen Bundesregierung ins Leben gerufen, um die EU-Annäherung der sechs Länder des Westlichen Balkans (WB-6) Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien zu unterstützen; am 14. Oktober findet der zehnte Westbalkan-Gipfel der Staats- und Regierungschefs wieder in Berlin statt. In Vorbereitung des Jubiläumsgipfels lud Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 24. September in seinem Ministerium anlässlich des Treffens mit den sechs Handels- und Wirtschaftsministerinnen und -minister der WB-6 zum Wirtschaftsforum ein, an dem der Ost-Ausschuss gemeinsam mit der Deutschen Industrie- und Handelskammer, dem Netzwerk der deutschen Auslandshandelskammern in der Region (AHK) und dem Western Balkan 6 Chambers Investmentforum (WB6 CIF) federführend beteiligt war. Schwerpunktthemen des Forums, an dem etwa 250 Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen aus Deutschland und den sechs Partnerländern teilnahmen, waren der Ausbau der regionalen Zusammenarbeit und die Chancen der grünen Transformation in der Region.
„Die Chancen für den Wirtschaftsraum Westbalkan liegen vor allem in einer vertieften regionalen Kooperation, im Abbau von Handelshemmnissen und in der konsequenten Umsetzung des gemeinsamen regionalen Marktes“, sagte Minister Habeck zur Eröffnung: „Hierbei ist der Dialog mit der Wirtschaft ein wichtiger Impuls, um mit jeder neuen Investition die regionale und europäische Integration des Westbalkans voranzubringen.“ Die Instrumente dafür seien vorhanden, etwa im Rahmen des gemeinsamen regionalen Wirtschaftsraums CEFTA, dem die WB-6 angehören. „Die Zukunft der Länder des Westlichen Balkans liegt in der EU“, bekräftigte Habeck.
Fabrizia Lapecorella, die stellvertretende Generalsekretärin der Industrieländer-Organisation OECD, betonte den ökonomischen Fortschritt in der Region, der sich unter anderem an der zunehmenden Integration der Länder in den internationalen Handel zeige. Als wichtigste Handlungsfelder für Reformen bezeichnete sie die Fachkräfteausbildung, die Schaffung eines wettbewerblichen Geschäftsumfelds und die Unterstützung der Unternehmen bei der Grünen Transformation.
Für den Ost-Ausschuss begrüßte Thomas Narbeshuber (BASF), Sprecher des Länderarbeitskreises Südosteuropa, die Teilnehmenden. Die Länder des Westlichen Balkans könnten ihr wirtschaftliches Potenzial nur dann ausschöpfen, wenn sie noch enger zusammenarbeiten, grenzüberschreitende Barrieren weiter abbauen, gemeinsame Infrastrukturprojekte umsetzen und EU-Standards einführen, so Narbeshuber. Damit werde die Region auch für deutsche und andere ausländische Investoren noch attraktiver: „Rechtsstaatlichkeit ist eine Grundvoraussetzung für gedeihliche wirtschaftliche Aktivitäten in- und ausländischer Unternehmen in der Region“, erklärte der Ost-Ausschuss-Arbeitskreissprecher. „Dazu gehören verlässliche Rahmenbedingungen, Rechtssicherheit und transparente Verwaltungsverfahren.“
Eine der großen Herausforderungen in den sechs Ländern des Westlichen Balkans ist die Sicherung von qualifiziertem Personal. „Um die Abwanderung von Fachkräften zu verringern, müssen wir dringend gute und praxisorientierte Bildungssysteme, aber auch positive Lebens- und Umweltbedingungen schaffen“, sagt Narbeshuber. Seit mehr als 20 Jahren leistet der Ost-Ausschuss mit dem Zoran Djindjic Stipendienprogramm der Deutschen Wirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung in der Region. Das Programm, das 2003 in Kooperation mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der deutschen Wirtschaft ins Leben gerufen wurde, hat über mehrmonatige Praktika bereits über 1.000 junge Menschen in mehr als 260 deutschen Unternehmen weitergebildet.
Die Ministerinnen und Minister tauschten sich anschließend in einer Diskussionsrunde über die Fortschritte und Hindernisse im Berlin Prozess aus. Dominierende Themen waren die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur, die Digitalisierung der Wirtschaft, die weitere Integration in den EU-Binnenmarkt und die dafür notwendigen Reformen „Die EU muss das Momentum aufrechterhalten“, forderte Ljiljana Lovric, stellvertretende Ministerin für Außenhandel und Wirtschaftsbeziehungen von Bosnien und Herzegowina. Dazu bedürfe es mehr technische Unterstützung für die Verwaltung sowie „regelmäßigerer, sektorbezogener Treffen“ mit der EU.
Mehrfach wurde betont, wie wichtig mehr Kooperation in der Region, Anpassungen an die EU-Gesetzgebung und der Abbau von Handels- und nichttarifären Hürden seien. „Wir haben viel Zeit und Geld verloren, es gibt weiterhin zu viele Hindernisse für das Business in der Region,“ kritisierte der serbische Handelsminister Tomislav Momirovic. Er warb darum, wirtschaftliche Interessen stärker in den Fokus zu rücken, statt jahrhundertealte Streitigkeiten „Wir können nicht der EU beitreten, wenn unser Markt fragmentiert ist“, sagte auch Blendi Gonxhja, Minister für Wirtschaft, Kultur und Innovation Albaniens. „Kooperation und die Glaubwürdigkeit der Reformen sind entscheidend.“ Albanien habe seine Exporte in die übrigen CEFTA-Staaten binnen zehn Jahren massiv erhöht.
Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Markt und wirtschaftlicher Prosperität könne eine Abstimmung der nationalen Industriepolitik mit den Nachbarstaaten helfen. Alle sechs Länder des Westlichen Balkans, so wurde deutlich, sind aber auf die EU-Staaten als Absatzmärkte und Herkunftsländer für Direktinvestitionen orientiert. Es bestehe großer Bedarf am Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, um die bestehenden Kooperationschancen tatsächlich in Wert setzen zu können. Dazu gehören auch die Probleme bei der Zollabfertigung an der Grenze zur EU, wo LKW oft tagelang warten müssten.
Im Anschluss an das Ministerpanel widmete sich eine von Nargis Wieck (dena) moderierte Expertendiskussion der regionalen Energiezusammenarbeit und den einschneidenden Veränderungen, die die Einführung des Carbon Border Adjustment Mechanismus (CBAM) zum 1. Januar 2026 auch für die exportierenden Unternehmen der WB-6-Staaten bedeutet. Mit dem Mechanismus will die EU Unternehmen aus Drittländern dazu ermutigen, bei der Produktion von Elektrizität, Wasserstoff, Zement, Düngemitteln, Aluminium sowie Stahl und Eisen die Umweltstandards und Klimaziele der EU zu übernehmen. Gleichzeitig werden Waren von Unternehmen, die die EU-Regeln in diesen Sektoren nicht befolgen, mit einer CO2-Grenzausgleichssteuer belastet.
In seiner Einführung beschrieb Artur Lorkowski, Direktor der Energy Community, die Bedeutung des Themas für die Länder des Westlichen Balkans, deren Energiestruktur vielfach noch stark durch die klimaschädliche Kohle geprägt sei und pro Einwohner viermal mehr Kohlendioxid produziere als im EU-Durchschnitt, befände sich jetzt an einer kritischen Weggabelung. „Was jetzt passiert, gestaltet die Rahmenbedingungen auch für die Unternehmen auf dem Westlichen Balkan für die nächsten Dekaden“, so Lorkowski. Die EU als größter und am meisten liquider Energiemarkt der Welt, sei bereit zu einer sehr privilegierten Integration und ermögliche den Unternehmen der Region noch eine Übergangsfrist für den Export ihrer Produkte in die EU. Notwendige Voraussetzungen sei aber nun eine verstärkte regionale Integration und erkennbare Anpassung an EU-Standards bis spätestens 2030. Dafür müssten die Voraussetzungen etwa durch die Einführung eines regionalen Kohlendioxid-Bepreisungsmechanismus und die Ausgabe und den Handel von Verschmutzungszertifikaten schnellstmöglich geschaffen werden.
Die Panelisten waren sich einig, dass CBAM einerseits für die Unternehmen ein hohes Maß an Bürokratie und Unsicherheiten verursache, gleichzeitig erwarten sie aber auch Impulse für die lokale Wirtschaft. Andreas Chollet, dessen Unternehmen wpd Windparks entwickelt und hierfür ein großes Potenzial in der Region sieht, appellierte an die WB-6-Länder stärker zu kooperieren. Für große Windfarmen und den Verbrauch vor Ort seien die einzelnen Volkswirtschaften oft zu klein, gemeinsam aber könne man zu einem Exporteur von grünem Strom in die EU werden. Voraussetzung seien integrierte Energiemärkte mit vereinfachten Regeln, auf denen verschiedene Projektentwickler mit ihren Ideen frei konkurrieren könnten.
Was CBAM für ein Unternehmen für die Zementindustrie und die Stahlbranche konkret bedeutet, beschrieben Stjepan Kumric (Lukavac Cement) aus Bosnien und Herzegowina und Angela Nastevska von Kentaur Impex aus Nordmazedonien. Kumric beklagte dabei fehlendes Know-how und Umsetzungsschwierigkeiten in den lokalen Behörden, die die Wirtschaft unzureichend auf das Thema vorbereiteten und nur in Wahlperioden dächten. Er gab sich zugleich aber auch selbstkritisch: „In unserer Region erwarten alle, dass die anderen die Probleme lösen. Jeder will den Wandel, aber will sich selbst nicht wandeln.“
Nastevska, die auch Alumna des Zoran Djindjic Stipendienprogramms der Deutschen Wirtschaft ist, befürchtet neben dem Anschwellen der Bürokratie auch Unterbrechungen in der Lieferkette des Unternehmens, das als Stahlfabrikant Vorprodukte von einer Vielzahl von Zulieferern verarbeitet. 90 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen gingen in der Produktion auf diese Zulieferer zurück. Als veredelndes Unternehmen sei es schwer, hier Maßnahmen zu forcieren und auf alternative Anbieter auszuweichen. Gleichzeitig beweist Kentaur Impex aber auch, dass eine Anpassung an CBAM in der Region bereits auf dem Weg ist. Das Unternehmen habe bereits erhebliche Mittel in einen Solarpark investiert, mit dem die eigenen Emissionen perspektivisch auf null abgesenkt werden sollen.
Unternehmen und Politik nutzten die Gelegenheit für intensive Gespräche zu bestehenden Projekten und möglichen neuen Kooperationen. Der Berlin Prozess, das wurde in den Gesprächen am Rande deutlich, hat Vieles möglich gemacht, zum Abbau von Handelshürden und zur Entwicklung des intra- und überregionalen Handels. Dennoch sei die To-Do-Liste länger als die Liste der Erfolge. „Die Erwartungen sind immer größer als das Erreichte“, brachte es Nik Gjeloshaj, der Minister für wirtschaftliche Entwicklung von Montenegro auf den Punkt.
Christian Himmighoffen und Andreas Metz
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft
Anja Quiring
Regionaldirektorin Südosteuropa
T. +49 30 206167-130
A.Quiring@oa-ev.de
Antje Müller
Programmdirektorin
Zoran Djindjic Stipendienprogramm der Deutschen Wirtschaft für die Länder des Westlichen Balkans
T.+ 49 30 206167-137
A.Mueller@oa-ev.de
Kontakt Newsletter