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„Reformen sind Investitionen in die Zukunft“

Der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal bei der Eröffnung des 4. Deutsch-Ukrainischen Wirtschaftsforums
19.03.2021
4. Deutsch-Ukrainisches Wirtschaftsforum mit Bundeskanzlerin Merkel und Premier Schmyhal/ Ost-Ausschuss-Vorsitzender Hermes diskutiert über Digitalisierung

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal haben am 19. März das 4. Deutsch-Ukrainische Wirtschaftsforum eröffnet, das coronabedingt überwiegend digital stattfand. Der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Oliver Hermes nahm gemeinsam mit zwei ukrainischen Vize-Premierministern an einer Diskussionsrunde über Digitalisierung teil.

Der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal, der im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft am Forum teilnahm, betonte vor über 300 online zugeschalteten Teilnehmern die Bedeutung Deutschlands für sein Land als Investor und Wirtschaftspartner. „Deutschland ist ein besonders wichtiger Partner der Ukraine“, sagte Schmyhal und dankte der Bundesregierung für ihre „unermüdliche Unterstützung“ im Konflikt um die Ostukraine und bei der Sicherung des Gastransits aus Russland.

Schmyhal setzt auf Energiepartnerschaft

Im Zuge der kürzlich vereinbarten bilateralen Energiepartnerschaft wolle die Ukraine etwa die deutschen Erfahrungen beim Kohleausstieg nutzen. Kiew strebe die weitere Liberalisierung und Modernisierung von Energie- und Gasmarkt und den „Übergang zu einer wasserstoffbasierten Wirtschaft“ an. Große Kooperationschancen verortete Schmyhal auch in der Agrarwirtschaft, der Luft- und Raumfahrt sowie der Digitalisierung. Zudem soll die Verkehrsinfrastruktur für private Investoren geöffnet werden, etwa durch die Vergabe von Konzessionen für den Straßenbau. „Meine Regierung setzt sich für weitere systemische Reformen ein“, versicherte Schmyhal. „Wir wollen transparente Arbeitsbedingungen für Unternehmen bieten“.

Premier Schmyhal hatte seine Rede für eine Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unterbrochen. „Der strategische Kurs der Ukraine auf die europäische Integration bleibt unverändert“, sagte der Präsident. Besonderes Interesse habe sein Land an der Zusammenarbeit im Bereich Digitalisierung, Energie, Landwirtschaft, Logistik, Luft- und Raumfahrt. Das kürzlich verabschiedete Gesetz zur staatlichen Förderung von Investitionen ab 20 Millionen Euro und mindestens 80 geschaffenen Arbeitsplätzen sei ein „einzigartiger Fördermechanismus“. „Mit vereinten Kräften werden wir eine Erfolgsgeschichte schreiben“, sagte Selenskyj.

Merkel wirbt für EU-Annäherung

Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstrich die deutsche Unterstützung für die Ukraine: „Die Bundesregierung ist ein entschiedener Verfechter der territorialen Integrität der Ukraine“, sagte Merkel. „Es war wichtig, dass die EU auf die Annexion der Krim reagiert hat.“ Konkret habe Berlin die Ukraine bereits mit einer halbe Milliarde Euro im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützt, insbesondere bei der Stärkung der lokalen Verwaltung.

Auch Merkel ging auf das Thema Energie ein. „Die Ukraine hat eine besondere Stellung im Energiebereich durch den Gastransit“, sagte Merkel, dadurch trage sie zur Versorgungssicherheit Europas bei. Die Bundeskanzlerin mahnte zugleich die Fortsetzung des Reformkurses an: „Je mehr Rechtssicherheit besteht, umso besser ist das Investitionsumfeld“, sagte Merkel. Das Bekenntnis zu nachhaltigen Reformen sei dabei von großer Wichtigkeit.  Die Reformfortschritte seien unverkennbar, doch in manchen Bereichen habe das Land noch einige Schritte vor sich, etwa bei der Bekämpfung der Korruption, im Justizsektor oder beim Bodenmarkt. „Dieser Kurs bringt die Ukraine näher an die EU heran und führt zu gegenseitigen Marktöffnungen“, sagte Merkel. „Reformen sind Investitionen in die Zukunft – wirtschaftlich und politisch“.

Diskussion über Industrie und Digitalisierung

Ein Jahr nach dem Amtsantritt der Regierung von Premier Schmyhal standen in vier hochkarätig besetzten Diskussionsrunden die Themen Digitalisierung und Industrie, Energiewirtschaft, Land- und Ernährungswirtschaft sowie Logistik und Infrastruktur im Mittelpunkt des Forums.

Der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Oliver Hermes nahm gemeinsam mit den ukrainischen Vize-Premierministern Olha Stefanishyna und Mykhailo Fedorov, der gleichzeitig Minister für Digitale Transformation ist, Wirtschaftsminister Ihor Petraschko, Staatssekretär Marco Wanderwitz vom Bundeswirtschaftsministerium sowie dem Präsidenten der AHK Ukraine Heiko Kreisel an der Diskussionsrunde über industrielle Entwicklung und Digitalisierung teil. Deutlich wurde dabei, dass es viel Raum für gemeinsame Kooperationsprojekte gibt. Mit Blick auf die Digitalisierung erklärte Oliver Hermes, dass die Digitalbranche zu den eindeutigen Gewinnern der gegenwärtigen Krise zähle. Gleichzeitig zeige sich aber auch die Bedeutung der produzierenden Unternehmen als Säule der Wirtschaft. Auch im Online-Handel stünden letztlich „vor allem physische, oft sogar systemrelevante Produkte im Mittelpunkt“.

Hermes hatte bereits am Vortag der Konferenz in Düsseldorf an einem Treffen der ukrainischen Delegation mit dem nordrhein-westfälischen Verkehrsminister Hendrik Wüst teilgenommen. Mit der Unterzeichnung eines Memorandum of Understanding (MoU) besiegelten Deutschland und die Ukraine dabei im Beisein des ukrainischen Premierministers den Start einer strategischen Kooperation im Bereich der digitalen Wirtschaft. Auf deutscher Seite gehört der Ost-Ausschuss zu den Initiatoren. Konkret steht einerseits die Vernetzung von deutschen Unternehmen mit ukrainischen IT-Firmen und -Dienstleistern im Fokus. Auf der anderen Seite soll das Potenzial des Digitalstandorts Deutschland in der ukrainischen IT-Branche vorgestellt werden, um Expansionen und Ansiedlungen auf dem hiesigen Markt zu fördern.

Ukraine will zum Green Deal beitragen

Im Rahmen der Diskussionsrunde über Energielösungen unterstrich der amtierende ukrainische Energieminister Juri Witrenko die Bereitschaft seines Landes, zur grünen Transformation in Europa beizutragen. In den vergangenen Jahren sei die grüne Stromerzeugung durch Wind und Solar stark ausgebaut worden. Eine gesteigerte Energieeffizienz im Wohn- und Industriebereich sowie das Thema Wasserstoff bieten darüber hinaus attraktive Potenziale. Die im Sommer 2020 zwischen der Ukraine und Deutschland geschlossene Energiepartnerschaft soll diese Themen entwickeln und nach Kooperationspotenzialen suchen.

Das dritte Panel, moderiert von Dirk Stratmann, Ländersprecher Ukraine der German Agribusiness Alliance, widmete sich der Agrarwirtschaft. Beim Getreideexport ist das Land seit langem nicht mehr von der internationalen Landkarte wegzudenken. Aber auch bei verarbeiteten Produkten konnte die Ukraine insbesondere im vergangenen Jahr ihre Nähe zur EU ausspielen und coronabedingt ausgefallene Lieferungen aus anderen Teilen der Welt ersetzen.

Transportkapazitäten im Land, insbesondere auf dem Wasserweg, sowie Fragen der Exportsteigerung, aber auch die aktuelle Situation bei der Bodenmarktreform standen weiterhin auf der Agenda des Panels. Für 2024 ist eine Volksabstimmung geplant, im Rahmen derer der Bodenmarkt endgültig geöffnet werden könnte, wie Agrarminister Roman Leshchenko ankündigte.

Ausschreibung von Konzessionen soll neu geregelt werden

Im Rahmen des Abschlusspanels diskutierten die Teilnehmer gemeinsam mit dem Minister für Infrastruktur der Ukraine Wladislaw Krikli Fragen rund um Logistik und Infrastruktur. Die Ukraine werde in den nächsten Jahren intensiv das Thema Elektromobilität entwickeln, so Minister Krikli. Der Öffentliche Personenverkehr solle bis zum Jahr 2035 zu mindestens 70 Prozent rein elektrisch betrieben werden. Weiterhin sollen entlang der großen Nord-Süd- und Ost-West Verkehrsachsen alle 50 Kilometer Schnellladesäulen aufgestellt werden. Krikli kündigte darüber hinaus an, dass 2021 die Gesetzgebung für Konzessionen erneuert und unter anderem ein elektronisches Tendersystem für Konzessionen entwickelt werden solle.

Wichtig dabei sei laut Philip Sweens, Geschäftsführer HHLA International GmbH und Sprecher des Arbeitskreises Ukraine im Ost-Ausschuss, dass die Ausschreibung von Konzessionen klar, transparent und nachvollziehbar gestaltet sein müsse und für kommerzielle Anbieter auch Business Cases möglich machen müsse. Dies gelte insbesondere bei kapitalintensiven Konzessionen im Infrastrukturbereich. Mit Blick auf funktionierende Handelswege unterstrichen die anwesenden Unternehmensvertreter, dass mehr Grenzübergänge zur EU und mehr Transportlizenzen für ukrainische Spediteure nötig seien und die Abläufe an den Grenzen bei der Warenein- und -ausfuhr verbessert werden müssten.

Das Wirtschaftsforum wurde gemeinsam vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (OA), der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer (AHK Ukraine) auf deutscher Seite sowie auf ukrainischer Seite vom Ministerkabinett der Ukraine, der Botschaft der Ukraine in Deutschland und durch die Investitionsförderagentur UkraineInvest organisiert.

In der Mittagspause empfing Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms zusammen mit Vertretern von BDI und DIHK den ukrainischen Premier zu einem Gespräch im kleinem Kreis.

Christian Himmighoffen, Stefan Kägebein, Maxim Zöllner-Kojnov
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Ansprechpartner

Stefan Kägebein
Regionaldirektor Osteuropa
Tel.: 030 206167-113
S.Kaegebein@oa-ev.de

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