Direkt zum Inhalt

Zwischen Corona-Krise und politischer Unsicherheit

In Minsk halten die Proteste gegen Präsident Lukaschenko seit Wochen an. Foto A.Matskevich/Pixabaa
29.09.2020
Lage in Belarus beeinträchtigt zunehmend die Wirtschaft/ Ost-Ausschuss ruft zum Dialog auf

„Die aktuelle Situation in Belarus beginnt sich negativ auf die Wirtschaft des Landes auszuwirken“, warnt der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Oliver Hermes vor dem Hintergrund der innenpolitischen Krise nach den Präsidentschaftswahlen im August. Die Krise droht die ohnehin schon vorhandenen wirtschaftlichen Probleme weiter zu verschärfen.

Nach Angaben des Nationalen Statistikkomitees schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt in den ersten sechs Monaten 2020 bereits um 1,7 Prozent. Für das Gesamtjahr 2020 erwartet der Internationale Währungsfonds IWF einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von rund fünf Prozent. Die deutschen Exporte nach Belarus gingen in den ersten sieben Monaten 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 6,4 Prozent zurück. Die belarussischen Einfuhren nach Deutschland sanken um 6,2 Prozent.

Aufstrebender IT-Sektor massiv betroffen

„Immer mehr Unternehmen, insbesondere aus dem Bereich der Digitalwirtschaft, äußern sich besorgt über die Rahmenbedingungen in ihrem Geschäftsbereich und für ihre Mitarbeiter“, sagt Hermes. Durch die regelmäßige Abschaltung des Internets ist der IT-Bereich massiv betroffen. Für Unternehmen im Outsourcing, das auf der kontinuierlichen und sicheren Erreichbarkeit der Kunden basiert, ist das ein existenzgefährdendes Problem.

Viele IT-Unternehmen denken daher darüber nach, ihre geschäftlichen Aktivitäten aus Belarus in andere Länder zu verlagern oder haben in den vergangenen Wochen bereits Personal ins Ausland geschickt. Nachbarländer haben bereits begonnen, aktiv belarussische Spezialisten aus dem IT-Bereich abzuwerben. In den ersten sieben Monaten 2020 lag der Anteil des IKT-Sektors am BIP immerhin bei 7,6 Prozent. Damit ist der Sektor einer der wenigen kontinuierlich wachsenden Branchen mit internationaler Wettbewerbsfähigkeit: 2019 erzielten die belarussischen IT-Unternehmen insgesamt 2,4 Milliarden US-Dollar Exporterlöse, was einem Fünftel der gesamten Dienstleistungsexporte entsprach.

„Die Attraktivität des Standorts lebt insbesondere von qualifizierten Fachkräften im Land, die ein modernes und offenes Lebensumfeld wünschen. Zudem werden Strukturen benötigt, die unternehmerische Aktivitäten fördern und unterstützen“, sagt der Ost-Ausschuss -Vorsitzende: „Vor diesem Hintergrund ist aus Sicht der deutschen Wirtschaft von großer Bedeutung, dass sich auch in Belarus Schritt für Schritt ein demokratisches, marktwirtschaftliches und wettbewerbsoffenes Umfeld entwickelt. Damit werden die Grundlagen gelegt, um ausländische Unternehmen im Land zu halten und Belarus als Standort für neue Unternehmen attraktiver zu machen.“

Abhängigkeit von Russland bleibt groß

Entscheidend wird es sein, wie die Kombination aus wirtschaftlicher und politischer Krise in den nächsten Wochen und Monaten bewältigt wird, und in welchem Maße die russische Führung bereit ist, Belarus finanziell zu unterstützen, aber politischen Wandel zuzulassen. Die ökonomischen Entscheidungen werden gegenwärtig weniger von wirtschaftlichen als vielmehr von (geo)politischen Erwägungen dominiert. So beginnt der belarussische Ölchemiekonzern „Belneftechim“ damit, die Exporte belarussischer Ölprodukte über russische Ostseehäfen umzuleiten, statt diese über Litauen und Lettland abzuwickeln. Die Kosten dafür werden auf das Zweieinhalbfache der bisherigen Kosten beziffert.


Die Abhängigkeit von Russland dürfte auch in Zukunft groß bleiben. Experten schätzen, dass in den vergangen rund 20 Jahren jährlich etwa fünf Milliarden Dollar an Subventionen von Moskau nach Minsk geflossen sind. Dies entspräche etwa 15 Prozent der belarussischen Wirtschaftsleistung. Diese Abhängigkeit wird sich - unabhängig von der politischen Führung in Minsk - nur schwer oder sehr langsam reduzieren lassen, zumal die wirtschaftliche Unterstützung an eine verstärkte politische Integration im Rahmen des gemeinsamen Unionsstaats gekoppelt ist. Eine Neuausrichtung der belarussischen Wirtschaft würde viel Zeit und sehr viel Geld kosten und vor allem den politischen Willen dazu voraussetzen.

Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte gefordert

Es scheint, dass sich Alexander Lukaschenko aktuell vor allem auf seinen Machterhalt konzentriert und in diesem Zusammenhang auf die Unterstützung aus Moskau setzt. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Land auch wirtschaftlich noch enger an Russland binden wird. Dagegen wirbt der Ost-Ausschuss für einen Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte: „Wenn dieser Dialog nicht stattfindet und staatliches Handeln verlorenes Vertrauen nicht zurückgewinnt, leidet der Wirtschaftsstandort Belarus massiv“, sagt Oliver Hermes: „Im Sinne der wirtschaftlichen Stabilität, im Sinne eines positiven, innovations- und wachstumsfreundlichen Wirtschaftsumfelds in Belarus, ist ein Austausch und die Diskussion mit allen relevanten gesellschaftlichen Kräften eine unabdingbare Voraussetzung. Eine lange Phase der Unsicherheit muss unbedingt vermieden werden.“

Stefan Kägebein
Regionaldirektor Osteuropa im Ost-Ausschuss

Ansprechpartner

Stefan Kägebein
Regionaldirektor Osteuropa
Tel.: 030 206167-113
S.Kaegebein@bdi.eu

Diese Seite teilen: