Direkt zum Inhalt

Virtueller Jahresauftakt mit Bundespräsident Steinmeier und 350 Gästen

Videobotschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier; Foto: OA
26.02.2021
Steinmeier würdigt Rolle der deutschen Wirtschaft für das Zusammenwachsen Europas/ Staatssekretär Berger im Live-Dialog

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen: Zum ersten Mal in seiner fast 70-jährigen Geschichte lud der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft am 25. Februar Mitglieder, Partner und Gäste aus Politik, Wirtschaft und Diplomatischem Corps zu einem virtuellen Jahresauftakt ein. Erstmals konnte der Ost-Ausschuss dabei als Gastredner den amtierenden Bundespräsidenten begrüßen.

Fast 350 Teilnehmer nutzten die Gelegenheit, die Videobotschaften des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und des Ost-Ausschuss-Vorsitzenden Oliver Hermes sowie das Gespräch zwischen Staatsekretär Miguel Berger und Geschäftsführer Michael Harms im Online-Auditorium zu verfolgen, sich in der Lounge mit anderen Gästen zu vernetzen und sich in acht Chatrooms zu Regionen und Branchen über aktuelle Themen auszutauschen. Finanziell unterstützt wurde der Jahresauftakt von den Ost-Ausschuss-Mitgliedern Remondis und Wintershall DEA.

Steinmeier betont historische Perspektive

Frank-Walter Steinmeier wandte sich mit einer fast zehnminütigen Videobotschaft an die Teilnehmer und hob zu Beginn die Rolle des Ost-Ausschusses seit seiner Gründung 1952 hervor. „In vielen Projekten und Partnerschaften haben der Ost-Ausschuss und die ihn tragenden Unternehmen Brücken Richtung Osten gebaut und Vertrauen gewonnen“, sagte der Bundespräsident. „So hat der Ost-Ausschuss nicht nur die unmittelbaren Interessen seiner Mitglieder im Blick gehabt, sondern immer wieder Beiträge zum friedlichen Wachsen und Zusammenwachsen unseres Kontinents geleistet.“ Heute sei der Ost-Ausschuss als große Regionalinitiative der deutschen Wirtschaft in 29 Ländern aktiv – in Mittelosteuropa, Ost- und Südosteuropa, im Südkaukasus und in Zentralasien. „Fast alle dieser Länder habe ich bereist, meist in Begleitung von Unternehmens- und Verbandsvertretern, die dem Ost-Ausschuss verbunden sind“, sagte Steinmeier.

Steinmeier ging ausführlich auf die Rolle der deutschen Wirtschaft bei der wirtschaftlichen Entwicklung in Mittel- und Osteuropa ein. „Viele Volkswirtschaften der Region sind heute eng mit Deutschland vernetzt und verwoben“, sagte er. „Andere öffnen sich erst jetzt und blicken mit großen Erwartungen und Hoffnungen auf ein stärkeres Engagement deutscher Unternehmen.“ Diese Länder versprächen sich von der deutschen Wirtschaft Investitionen, Know-how und Arbeitsplätze, aber auch die Vermittlung dieser Qualitäten und Fertigkeiten in einer dualen beruflichen Ausbildung nach deutschem Vorbild.

Der Bundespräsident nahm zu aktuellen politischen Entwicklungen Stellung, die auch die Arbeit für deutsche Unternehmen belasteten. Er erwähnte den Konflikt im Südkaukasus zwischen Aserbaidschan und Armenien, kritisierte die manipulierten Wahlen und Repressionen in Belarus und forderte die sofortige Freilassung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny. „Unsere Hoffnungen, auch meine eigenen, auf eine umfassende Partnerschaft mit Russland, für die auch der Ost-Ausschuss und viele seiner Mitglieder sich eingesetzt haben, haben sich nicht erfüllt“, analysierte Steinmeier. Deutschland und Europa könnten nicht stillschweigend zusehen, wie der Raum für freie Meinungsäußerung und die Entfaltung der russischen Zivilgesellschaft immer weiter eingeschränkt werde. Zugleich warnte Steinmeier vor dem Abbruch bestehender Brücken. „Meines Erachtens darf Desinteresse, Gleichgültigkeit oder Abschottung nicht die politische Schlussfolgerung sein“, sagte er und weiter: „In dieser schwierigen Phase unserer Beziehungen müssen wir darauf achten, dass nicht alle Verbindungen abreißen.“ Steinmeier begrüßte in diesem Zusammenhang die Suche der neuen US-Regierung nach verbindlichen Verabredungen mit Russland, wie bei der Verlängerung des Abrüstungsvertrags New Start.

Wirtschaft sei keine Wunderwaffe und könne die Versäumnisse der Politik nicht ersetzen, so der Bundespräsident. Dennoch leisteten deutsche Unternehmen mit ihrer Arbeit in Osteuropa und darüber hinaus einen bedeutenden Beitrag zur gegenseitigen Verständigung. „Dieser Kontakt zwischen Menschen – selten war er so wichtig wie heute“, sagte Steinmeier.

Hermes wirbt für Ausbau der Kooperation mit Osteuropa

„Den Auftrag des Bundespräsidenten, weiter wirtschaftliche Brücken zu bauen, nehmen wir als Ost-Ausschuss natürlich gerne an“, griff Oliver Hermes den Appell des Bundespräsidenten auf und beschrieb dann als Vorsitzender des Ost-Ausschusses die wirtschaftliche Entwicklung in der Region. Hermes ging insbesondere auf die Folgen der Corona-Krise für die deutschen Wirtschaftsbeziehungen mit Mittel- und Osteuropa ein. Der deutsche Warenaustausch mit den 29 Ost-Ausschuss-Ländern sei im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent zurückgegangen. Doch: „Ein Teil der dramatischen Einbrüche aus dem Frühjahr 2020 konnte im Jahresverlauf noch wettgemacht werden“, so Hermes. Mittel- und Osteuropa sei insgesamt eine Stütze für die deutsche Wirtschaft. Damit das so bleibe, müssten auch in der Corona-Krise Grenzen soweit möglich offenbleiben, Unternehmen ungehindert produzieren dürfen und Lieferketten aufrechterhalten werden. „Nur eine starke Industrie wird in der Lage sein, die massiven Wohlstandsverluste in Folge der Corona-Krise auszugleichen und gleichzeitig die ambitionierten Klima- und Digitalisierungsziele der EU umzusetzen“, betonte Hermes.

Der Ost-Ausschuss-Vorsitzende gab einen Ausblick auf die Entwicklungen und Aktivitäten des Verbands in den fünf Ost-Ausschuss-Regionen. Dabei spielt insbesondere die Zusammenarbeit mit der Region bei Dekarbonisierung und Digitalisierung eine wichtige Rolle: „Wir werden dabei beharrlich einfordern, dass dieser so wichtige digitale und grüne Umbau unserer Volkswirtschaften nicht an der Ostgrenze der EU endet“, kündigte Hermes an.

Wie der Bundespräsident warb Hermes dafür, die Kontakte mit Russland zu bewahren und weiterzuentwickeln: „Diese Beziehungskrise muss für uns alle wirklich ein besonderer Ansporn sein, wieder stärker auf Zusammenarbeit und gemeinsame Themen wie den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft und Kooperationen in der Industrie und im IT-Bereich zu setzen“, sagte er. Diesem Ziel diene unter anderem das Deutsch-Russische Themenjahr „Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung 2020-2022“, das der Ost-Ausschuss auf deutscher Seite im Auftrag des Auswärtigen Amts betreut.

„Parforceritt durch die Region“ mit Miguel Berger

Anschließend unternahmen Ost-Ausschuss-Geschäftsführer Michael Harms und Staatsekretär Miguel Berger im Dialog einen „Parforceritt durch die Region“ (Harms). Auch Berger beklagte einen „Prozess der schleichenden Entfremdung“ von Russland und warb wie seine Vorredner für Angebote an Moskau etwa zum Dialog über Themen wie Klimawandel, „grüne“ Technologien und Digitalisierung. Berger bezog auch zur „schwierigen Situation“ um Nord Stream 2 klar Stellung: „Wir haben kein Interesse daran, dass dieses Projekt zu einer Investitionsruine wird“, sagt er und lehnte extraterritoriale Sanktionen der USA oder anderer Länder prinzipiell ab. Die Bundesregierung sei bereit zum Dialog mit der US-Regierung über das Projekt, aber „am Ende dieses Dialogs muss die Finalisierung dieser Pipeline stehen“.

Im Rückblick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die wegen Corona und Rezession unter schwierigen Rahmenbedingungen stattgefunden habe, hob Berger den Wiederaufbaufonds Next Generation EU hervor. „Wir haben gezeigt, dass wir in der Lage sind, als EU solidarisch zu handeln“, sagte er. Die Beschlüsse würden auch hohe Investitionen in Osteuropa nach sich ziehen und böten damit große Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft.

Im Hinblick auf Belarus unterstrich Berger, dass man kein Interesse habe, durch Sanktionen die Wirtschaft zu treffen. Man dürfe der Regierung keinen Vorwand geben, wirtschaftliche Probleme auf Sanktionen zu schieben. Der Ukraine bescheinigte der Staatsekretär „beeindruckende Erfolge im Handel mit der EU“, forderte die Regierung aber zur Fortsetzung der Reformen etwa für mehr Rechtssicherheit auf.

Ausführlich bezog Berger zur Situation in Südosteuropa Stellung: „Wir hätten uns während unserer Ratspräsidentschaft einen größeren Erfolg im Beitrittsprozess von Nordmazedonien und Albanien gewünscht“, sagte er. Der Brexit und dessen finanzielle Folgen würden kein Hindernis für eine Erweiterung sein. Berger unterstrich die Bedeutung des Westbalkans für die deutsche und europäische Politik und äußerte die Hoffnung, dass noch vor dem Sommer der geplante Westbalkan-Gipfel im Rahmen des Berliner Prozesses in Berlin stattfinden könne. Wirtschaftlich sei das zentrale Projekt in der Region, einen gemeinsamen Markt auf dem Westbalkan zu schaffen und dort Reisefreiheit herzustellen. Deutliche Kritik äußerte Berger am Kurs Serbiens: „Wir sehen mit zunehmender Irritation diese Annäherung Serbiens an China und Russland“, sagte er. „Das ist nichts, was den europäischen Prozess Serbiens wirklich beschleunigt.“

Beim Thema Zentralasien verwies Berger auf die regionale Dynamik durch die Reformen in Usbekistan. Die Zentralasien-Strategie der EU sei eine sehr gute Grundlage für die Beziehungen mit der Region, die Corona-Krise habe deren Umsetzung aber behindert. „China ist der überragende Partner in der Region“, sagte Berger. „Aber sehr viele zentralasiatische Länder wollen den Kontakt mit Europa ausbauen, weil sie nicht in eine einseitige Abhängigkeit geraten wollen.“ Im Herbst sei ein Wirtschaftsforum zu Zentralasien in Kasachstan geplant.

Während des gesamten Gesprächs hatten die Teilnehmer des Virtuellen Jahresauftakts die Möglichkeit, Fragen an Staatssekretär Berger zu richten, und nutzen dies rege. Zudem beteiligten sie sich an zwei Umfragen mit teilweise überraschenden Ergebnissen. Von der neuen Biden-Administration erwartet eine deutliche Mehrheit, dass sie mit Blick auf Osteuropa besser mit der Bundesregierung zusammenarbeiten wird, als dies unter der Trump-Regierung der Fall war. Zu den Wachstumsaussichten des Green Deals und der industriellen Digitalisierung äußerten sich die Teilnehmer eher zurückhaltend. Eine knappe Mehrheit sieht hier die Gefahr, dass die Länder im Osten Europas durch diese Entwicklungen abgehängt werden und an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen könnten.

Virtuelle Stehtische

Im Anschluss nutzen über 150 Teilnehmer die Gelegenheit, sich an acht virtuellen „Stehtischen“ zu den fünf Regionen des Ost-Ausschusses und den drei Branchenarbeitskreisen Gesundheitswirtschaft, Agrarwirtschaft sowie Energie und Nachhaltigkeit über aktuelle Themen auszutauschen. Betreut wurden diese Zoom-Runden von den zuständigen Experten des Ost-Ausschusses, denen zudem Vertreter von Mitgliedsunternehmen, eine Reihe von Arbeitskreissprechern und wichtige Partner des Ost-Ausschusses wie deutsche Botschafter, Vertreter von Bundesministerien und Leiter von Auslandshandelskammern virtuell zur Seite standen. Die Themenpalette reichte dabei von der Wasserstoffzusammenarbeit mit Osteuropa, über das deutsch-russische Verhältnis und Nord Stream 2 bis hin zur wirtschaftlichen Situation in Belarus, Mittelosteuropa und Zentralasien.

Auch wenn Online-Formate den persönlichen Austausch nicht ersetzen können, zeigten sich viele Besucher begeistert vom virtuellen Ambiente und den digitalen Vernetzungsmöglichkeiten. Der Virtuelle Jahresauftakt des Ost-Ausschusses wurde so zu einem gelungenen Experiment, das sicherlich auch über die hoffentlich bald endende Corona-Zeit eine Fortsetzung finden wird.

Christian Himmighoffen, Andreas Metz,
Leiter Presse und Public Affairs im Ost-Ausschuss

Ansprechpartner

Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation
Tel.: 030 206167-122
C.Himmighoffen@oa-ev.de

 

Diese Seite teilen: