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„Ausbau industrieller Kapazitäten ist entscheidend“

Foto: Marjan Blan/Unsplash
30.08.2023
Im aktuellen Ukraine-Briefing des Ost-Ausschusses ging es um die Lage an der Front in der Ostukraine und um geplante EU-Fördermaßnahmen

Fast einhundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfolgten am 30. August das aktuelle Ukraine-Briefing des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Im Mittelpunkt der Online-Runde standen zwei Vorträge zur strategischen und militärischen Lage in der Ukraine und zur geplanten EU-Fazilität für die Ukraine, mit der die wirtschaftliche Entwicklung des Landes finanziell abgesichert werden soll.

Nico Lange, Senior Fellow der Münchener Sicherheitskonferenz und früher unter anderem Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kyjiw, erläuterte die aktuelle militärische und strategische Situation an den Kriegsfronten in der Ostukraine. Lange war im Sommer selbst in frontnahe Gebiete gereist. Im Schatten der gegenwärtigen, medialen Kritik an fehlenden Durchbrüchen der ukrainischen Sommeroffensive hätten die ukrainischen Truppen in den vergangenen vier Wochen sehr wohl Fortschritte erzielt und Gelände befreien können. Diese Fortschritte gebe es, obwohl es sich um stark vermintes und befestigtes Gebiet handeln und Russland über eine klare Luftüberlegenheit verfügen würde. Lange ließ in diesem Zusammenhang auch Sympathie für die Lieferungen von Langstreckenraketen vom Typ Taurus erkennen.

Die Ukraine würde sich wie bei erfolgreichen früheren Offensiven darauf konzentrieren, russische Nachschubwege hinter der Front zu unterbrechen. Dies dauere seine Zeit. „Das wird eine lange, langsame und beschwerliche Kampagne“, so Lange. Wichtig sei es, politisch-strategische Erwartungen und Pläne mit der tatsächlichen militärischen Entwicklung in Deckung zu bringen. Entscheidend sei immer die Lage auf dem Kriegsschauplatz, an ihr müssten sich politische Überlegungen ausrichten und nicht umgekehrt.

„Wir sind sehr weit von dem Punkt entfernt, an dem Friedensverhandlungen sinnvoll wären“, betonte der Experte. Man müsse sich deshalb auf eine längere Zeit der Parallelität von Kriegshandlungen und Geschäftstätigkeit einstellen. Der Wiederaufbau müsse bereits jetzt Fahrt aufnehmen, damit die Ukraine wirtschaftlich überleben könne. Insbesondere gehe es jetzt um den Aufbau und die Erweiterung industrieller Kapazitäten in der Ukraine und Europa, um ausreichend Rüstungsgüter vor Ort zu produzieren oder instand zu setzen und Munition herzustellen. Lange wies in diesem Zusammenhang auf die gelieferten deutschen Kampfpanzer vom Typ Leopard hin. Von 71 Exemplaren seien fünf zerstört worden, zehn warteten aktuell auf Reparatur. Da sei es wichtig, dass diese direkt in der Ukraine erledigt werden könne, um lange Lieferwege zu vermeiden.

Der Experte regte generell die Ausweitung von Joint Ventures mit ukrainischen Partnern an. Im Rüstungssektor gebe es bereits zwei Pilotvorhaben mit deutscher Beteiligung. Diese Vorbilder könnten Schule machen und zu einer positiven Entwicklung der ukrainischen Wirtschaft beitragen. Generell betonte Lange, dass es trotz der Kriegsrisiken bereits heute lukrativ sei, in der Ukraine zu investieren, etwa indem frontferne oder gut gesicherte Standorte gewählt würden.

EU plant langfristiges Finanzierungsprogramm

Im zweiten Teil der Online-Runde informierte Torsten Wöllert von der EU-Delegation in Kyjiw, über die geplanten EU-Hilfe für die Ukraine. Im Rahmen der Wiederaufbaukonferenz in London im Juni hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Einrichtung eines speziellen Finanzierungsinstruments für die Ukraine für die Jahre von 2024 bis 2027 angekündigt, das aus direkten Finanzhilfen und Darlehen bestehen und ein Volumen von etwa 50 Milliarden Euro erreichen soll. Nach Angaben von Torsten Wöllert soll diese so genannte Fazilität aus drei Finanzierungssäulen bestehen: Große Teile des Geldes sollen sowohl den ukrainischen Haushalt und den laufenden Reformprozess absichern, als auch öffentliche und private Investitionen fördern. Ein kleinerer, dritter Teil, diene der Finanzierung von technischer Hilfe und der Förderung des zivilgesellschaftlichen Austauschs.

„Wir konzentrieren uns auf die Schaffung einer resilienten und erfolgreichen Wirtschaft“, sagte Wöllert. Die Gespräche zwischen der EU-Kommission, den Mitgliedsländern und dem EU-Parlament über die konkrete Ausgestaltung des Finanzierungsinstruments würden im September starten, zum Jahresende soll der Prozess abgeschlossen sein und zu Anfang des Jahres 2024 die Mittelvergabe beginnen. Gerade die Stimme der Privatwirtschaft sei der Kommission in der anstehenden Ausarbeitungsphase sehr wichtig, so Wöllert. Für den Ost-Ausschuss kündigten Ukraine-Arbeitskreissprecher Philipp Sweens (HHLA) und Ost-Ausschuss-Regionaldirektor Stephan Kägebein an, Anregungen zur Ausgestaltung der EU-Fazilität aus dem Kreis der Mitgliedsunternehmen zu sammeln und in den Diskussionsprozess einzubringen.

In den kommenden Wochen gibt es für Unternehmen vielfältige Möglichkeiten, sich in Abstimmungsrunden einzubringen. Unter anderem wird es am 11. September ein Arbeitsessen mit der ukrainischen Vize-Infrastrukturministerin Oleksandra Azarkhina, am 13. Oktober ein Ukraine-Panel im Rahmen der Außenwirtschaftstage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, am 24. Oktober das 6. Deutsch-Ukrainische Wirtschaftsforum und am 25. Oktober den German-Ukrainian Energy Day geben. Alle Veranstaltungen finden jeweils physisch in Berlin statt. 

Andreas Metz
Leiter Public Affairs im Ost-Ausschuss

Kontakt

Stefan Kägebein
Regionaldirektor Osteuropa
T. +49 30 206167-113
S.Kaegebein@oa-ev.de

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