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Deutsch-Tschechisches Duett im Stadtbad

 Der tschechische Premierminister Petr Fiala bei der Eröffnung des Jahresempfangs; Foto: Ekaterina Zershchikova
10.06.2022
Premierminister Petr Fiala zu Gast beim Jahresempfang des Ost-Ausschusses/ Key-Note zu den Prioritäten der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft

Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft begrüßte am 8. Juni den tschechischen Premierminister Petr Fiala als Gastredner auf seinem traditionellen Jahresempfang, der zum ersten Mal seit drei Jahren wieder physisch stattfand. An der Veranstaltung im Stadtbad Oderberger in Berlin nahmen über 200 Vertreter aus Diplomatie, Politik, Wirtschaft und Kammern teil.

Petr Fiala war mit seiner Delegation exklusiv zum Ost-Ausschuss-Jahresempfang nach Berlin gereist und flog unmittelbar danach nach Rom weiter. Seine Rede nutzte der Premier dazu, dem Ost-Ausschuss zu dessen 70-jährigen Bestehen zu gratulieren und die Prioritäten der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft vorzustellen, die am 1. Juli beginnt. Fünf Schwerpunkte stehen demnach im Mittelpunkt des tschechischen Engagements: die Unterstützung der Ukraine und die Bewältigung der Flüchtlingskrise, die Sicherung der europäischen Energieversorgung ohne Russland, die Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten, sowie die Förderung der europäischen Wirtschaft und die Stabilisierung der demokratischen Institutionen. „Putin führt in Wirklichkeit Krieg gegen uns alle“, sagte Fiala. „Er kämpft gegen die Ukraine mit militärischen Mitteln, und gegen Tschechien, Deutschland und andere europäische Staaten setzt er eine hybride Kriegsführung ein.“ Tschechien sei nach Polen der EU-Staat, der die meisten ukrainischen Flüchtlinge pro Kopf der Bevölkerung aufgenommen habe – insgesamt etwa 360.000. Dafür benötige sein Land eine stärkere finanzielle Hilfe der EU und hoffe auf deutsche Unterstützung.

Engere Zusammenarbeit im Energiesektor

Fiala warb um Verständnis dafür, dass Tschechien längere Übergangsfristen für den Verzicht auf russisches Erdöl benötige, bei Erdgas liege die Abhängigkeit von Russland sogar bei 95 Prozent. Aus diesem Grund setze Tschechien nun verstärkt auf den Ausbau der Atomkraft. Gleichzeitig solle ein 100.000-Dächer-Programm für Solarenergie umgesetzt werden. „Ich respektiere die Entscheidung der deutschen Regierung, aus der Kernenergie auszusteigen, Aber auch das Recht anderer Länder, ihren eigenen Energiemix zu wählen, sollte respektiert werden“, betonte Fiala und sprach sich gleichzeitig auch für eine engere deutsch-tschechische Zusammenarbeit bei der Nutzung von LNG-Terminals an der Nordsee aus. 

Generell sieht Fiala ein großes Potenzial für den weiteren Ausbau der bereits höchst erfolgreichen deutsch-tschechischen Wirtschaftsbeziehungen. Tschechien biete sich hier als Alternativstandort für Unternehmen an, die jetzt Russland verlassen oder generell ihre Wertschöpfungsketten stärker zurück nach Europa orientieren möchten. Der zum VW-Konzern gehörende tschechische Autobauer Skoda sei das erfolgreichste Exportunternehmen Tschechiens. Generell wolle man von den Deutschen lernen, noch erfolgreicher auf Drittmärkte zu exportieren.

Engel: Tschechien ist industrielles Kernland Europas

Auch der stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende Hans-Ulrich Engel hob in seiner Begrüßung die enge Verbundenheit beider Länder hervor. „18 Jahre nach dem Beitritt Tschechiens zur EU ist das Land ein industrielles Kernland Europas“, sagte Engel. „Von dieser Stärke profitiert auch die deutsche Wirtschaft.“ Tschechien sei der elftgrößte Handelspartner Deutschlands weltweit und stehe unter den 29 Ost-Ausschuss-Ländern bei Handel und Investitionen an zweiter Stelle. Deutsche Unternehmen hätten dort über 26 Milliarden Euro investiert und dabei 350.000 Jobs geschaffen. Ziel sei es, in diesem Jahr die 100-Milliarden-Marke im deutsch-tschechischen Handel zu übertreffen.

„Die deutsch-tschechischen Wirtschaftsbeziehungen sind eine europäische Erfolgsgeschichte“, sagt Engel. Die deutsche und die tschechische Wirtschaft kooperierten bereits sehr erfolgreich in Forschung und Entwicklung und der Industrie 4.0. Neue Kooperationsmöglichkeiten eröffneten sich unter anderem im Energiesektor. Hier könne Tschechien LNG und perspektivisch auch Wasserstoff über die deutschen Seehäfen beziehen. Engel äußerte Verständnis dafür, dass Tschechien sich als Binnenland ohne Meereszugang nicht kurzfristig komplett von russischen Energielieferungen unabhängig machen könne.

Brücken nach Russland nicht belastbar genug

Der stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende ging auch auf die politische Lage ein. Den russischen Überfall auf die Ukraine bezeichnet Engel als „tiefen Einschnitt für Europa, für die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland und damit auch für die Arbeit des Ost-Ausschusses“. Der Ost-Ausschuss, der in diesem Jahr sein 70-jähriges Bestehen feiert, habe sich stets auch als „Brückenbauer“ gesehen, der nicht nur zum gegenseitigen wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch zur politischen und gesellschaftlichen Verständigung mit den Ländern Mittel- und Osteuropas beiträgt. „Unsere Brücken nach Russland haben sich vorerst als nicht belastbar genug erwiesen“, sagte Engel. Abschottung und der Abbruch von Handelsbeziehungen seien aber nicht der richtige Weg im Umgang mit schwierigen Märkten. „Kooperation ja – aber in klaren Grenzen und ohne Abhängigkeiten, das muss eine Lehre aus diesem Jahr 2022 sein“, so Engel.

Ein Schwerpunkt der Ost-Ausschuss-Arbeit wird die Unterstützung der Ukraine bei der Instandsetzung der zerstörten Infrastruktur und dem Wiederaufbau sein. Engel kündigte an, dass der Ost-Ausschuss dazu einen Service Desk für die Ukraine einrichten werde, der deutsche und ukrainische Unternehmen schneller und effizienter miteinander vernetzen soll, um die Wiederherstellung der ukrainischen Infrastruktur zu beschleunigen. Erst am Vortag hatte der Ost-Ausschuss den Sondergesandten des ukrainischen Präsidenten für den Wiederaufbau Oleksij Tschernyschow in Berlin getroffen. Im Rahmen einer Spendenaktion für die Ukraine sorgte die Sängerin Susanna Chakhoian von der ukrainischen Nationaloper für die musikalische Untermalung des Jahresempfangs. 

Gremiensitzungen stellen Weichen

Auf den Gremiensitzungen unmittelbar vor dem Jahresempfang hatte der Ost-Ausschuss beschlossen, eine Findungskommission einzusetzen, die bis zum Herbst einen neuen Vorsitzenden als Nachfolger von Oliver Hermes suchen soll, der sein Amt zum 1. Juni abgegeben hatte. Für die Übergangszeit werden Engel und seine Co-Stellvertreterin Cathrina Claas-Mühlhäuser gemeinsam die Aufgaben des Vorsitzenden übernehmen. Einstimmig neu in den Ost-Ausschuss-Vorstand gewählt wurde Stefan Hoops, Leiter der Unternehmensbank der Deutschen Bank AG, der den ausscheidenden Jürgen Fitschen (ebenfalls Deutsche Bank) ersetzt. 

Claas-Mühlhäuser stellte auf der Mitgliederversammlung am Nachmittag die inhaltlichen Akzente vor, die der Ost-Ausschuss künftig setzen will. Der Verband will demnach sein Engagement in Mittelost- und Südosteuropa, dem Südkaukasus und Zentralasien noch stärker in die Öffentlichkeit bringen und sich weiter konsequent auf Zukunftsthemen ausrichten. Mit seinen Branchenarbeitskreisen Energie und Nachhaltigkeit, Logistik und Verkehrsinfrastruktur, Fachkräftesicherung, Gesundheitswirtschaft und der German Agribusiness Alliance werden bereits strategische Themen für die deutsche Wirtschaft bearbeitet - nicht nur in Mittel- und Osteuropa. Der Ost-Ausschuss werde zusätzlich eine Kontaktstelle Green Deal einrichten, die deutsche Unternehmen beim Zugang zu Energie- und Klimaprojekten in Osteuropa unterstützen und Kooperationsprojekte anbahnen soll.

Auch nach 70 Jahren bleibe der Ost Ausschuss ein verlässlicher Partner für seine Mitgliedsunternehmen, sagte Claas-Mühlhäuser. Seit der vergangenen Mitgliederversammlung im Juni 2021 konnten rund 50 neue Mitgliedsunternehmen gewonnen werden. Die mittlerweile über 350 Mitgliedsunternehmen und sechs Trägerverbände seien eine hervorragende Basis für zukünftige Aufgaben. Der Ost-Ausschuss werde weiter „Brücken bauen“ und keines seiner Partnerländer aufgeben. „Wir sind nicht der Russland-Ausschuss“, sagte Claas-Mühlhäuser. „Aber wir sind auch nicht der Nicht-Russland-Ausschuss.“

Christian Himmighoffen, Andreas Metz
Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

 

Ansprechpartner

Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation
T. +49 30 206167-122
C.Himmighoffen@oa-ev.de

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