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Nord Stream 2 und der Widersinn von Wirtschaftssanktionen

OA-Vorsitzender Oliver Hermes; Foto: Wilo
16.02.2021
Wirtschaftssanktionen schaden in der Regel der eigenen Wirtschaft/ Gastbeitrag von Oliver Hermes im HB

Seit Monaten wehen heftige politische und mediale Stürme über die noch unvollendete Erdgaspipeline Nord Stream 2 hinweg, die von sechs Unternehmen aus Russland, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Österreich finanziert wird und künftig russisches Gas auf den europäischen Markt transportieren soll. Die US-Regierung unter Donald Trump verhängte noch kurz vor ihrem Ausscheiden Sanktionen gegen das Projekt. In Europa werden diese US-Eingriffe in die EU-Souveränität zwar abgelehnt, gleichzeitig fordern europäische Kritiker der Pipeline jetzt aber einen Baustopp, um damit auf die Verhaftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny zu reagieren.

Dabei zeigt gerade der Streit um die Ostsee-Pipeline wie in einem Brennglas die ganze Widersinnigkeit von Wirtschaftssanktionen: Diese führen häufig dazu, dass das sanktionierte Land sich anderen Partnern zuwendet. So hat Russland längst damit begonnen, sein Gas verstärkt nach China zu verkaufen. Mit einer schwindenden Abhängigkeit Russlands vom europäischen Markt gehen auch unsere Bindungen und Einflussmöglichkeiten weiter verloren. Immer neue Sanktionsrunden gefährden zunehmend die Freiheit und das Funktionieren der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und damit gerade den exportorientierten deutschen Mittelstand. Und dies alles mit höchst zweifelhaften Erfolgsaussichten: Wirtschaftssanktionen erreichen fast nie das intendierte Ziel und treffen selten die Elite des sanktionierten Landes, sondern meist dessen Bevölkerung. Daraus resultiert häufig eine „Wagenburgmentalität“, eigene Versäumnisse werden den „äußeren Feinden“ angelastet.

Handelsbeziehungen beruhen auf gegenseitigem Nutzen

Vor allem aber: Wirtschaftssanktionen schaden in der Regel der eigenen Wirtschaft mindestens ebenso sehr wie dem sanktionierten Land. Schließlich beruhen Handelsbeziehungen auf gegenseitigem Nutzen. Im Fall von Nord Stream 2 würden die Europäer einen Stopp mit einer größeren Umweltbelastung, einer geringeren Versorgungssicherheit und höheren Energiekosten bezahlen.

Selbst wenn der europäische Erdgasverbrauch nach dem Kohle- und Atom-Ausstieg nicht steigen sollte, müsste die 2022 auslaufende niederländische Gasförderung kompensiert werden. Dann etwa mit teurerem Flüssiggas? Dessen Umweltbilanz bleibt wegen der Schiffstransportwege und der aufwändigen Kühlung und Verflüssigung umstritten. Im Falle US-amerikanischen Gases sind die Folgen des Fracking-Verfahrens zu berücksichtigen. Gerade die Umweltseite spricht für Nord Stream 2: Gegen den Austritt von Gas ist diese moderne Pipeline besser geschützt als ältere Pipelines. Und dank des modernen Stahls kann Nord Stream 2 sogar bis zu 70 Prozent mit Wasserstoff gefüllt werden.

Die gegenwärtige Kältewelle lässt momentan den Füllstand der deutschen Gasspeicher sinken und unterstreicht die Bedeutung einer verlässlichen Gasversorgung. Gerade auf dem Wärmemarkt spielt Gas eine wachsende Rolle. Nord Stream 2 ist der direkteste Weg zu den Feldern in Nord-Sibirien und damit ein wichtiger Baustein zur Sicherung der deutschen und europäischen Gasversorgung. Für den Industriestandort Deutschland wäre es fatal jetzt auch noch günstiges Pipelinegas künstlich zu verknappen, bevor Alternativen zur Verfügung stehen. Die Folge wären überhöhte Gas- und Strompreise für die Verbraucher und der Verlust von Arbeitsplätzen. Wer die deutsche Wirtschaft schwächt, trifft am Ende auch die EU: Wo sollen denn die Steuereinnahmen für die Corona-Rettungspakete und wo die Investitionen für den Green Deal sonst herkommen?

Politiker auf dünnem Eis

Politiker, die gültige Baugenehmigungen für Nord Stream 2 und damit Rechtsgrundsätze der politischen Großwetterlage unterordnen, begeben sich auf dünnes Eis und riskieren milliardenschwere Schadenersatzforderungen – übrigens auch aus Russland. Die Bundesregierung tritt deshalb aus einer klugen Abwägung heraus für die Fertigstellung der Pipeline Nord Stream 2 und gegen eine Politisierung europäischer Regeln ein.

Mit der neuen Regierung Biden in den USA gibt es eine Chance, den völkerrechtswidrigen Sanktionsdruck zu überwinden und eine Lösung für die Ukraine zu finden, sollte diese finanzielle Einbußen erleiden. Auch nach dem Auslaufen des Gastransitvertrages Ende 2024 bleibt das Land dank seiner riesigen Speicher eine unverzichtbare europäische Reserve. Außerdem bietet sich Europas größter Flächenstaat als Produzent von Wasserstoff und grünem Strom an und sollte integraler Bestandteil des Green Deals werden. Wertschöpfungsketten im eigenen Land anstelle russischer Transitalimente – dies wäre die nachhaltigere Wirtschaftsperspektive für die Ukraine. Die deutsche Wirtschaft steht hier für intensive Kooperationen bereit.

Der Beitrag erschien am 11. Februar 2021 als Gastkommentar bei Handelsblatt Online.

Ansprechpartner

Christian Himmighoffen
Leiter Presse und Kommunikation
Tel.: 030 206167-122
C.Himmighoffen@oa-ev.de

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