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"Zunehmende Bedeutung der Landwirtschaft"

Foto: John Deere
07.01.2020
Dirk Stratmann, Ländersprecher Ukraine und Zentralasien in der AG Agrarwirtschaft/German Agribusiness Alliance, über aktuelle Entwicklungen im Agrarsektor der Region

Herr Stratmann, Sie sind seit Kurzem in der AG Agrar Sprecher für ganz Zentralasien, nicht nur für Kasachstan. Warum wurde der Länderkreis ausgeweitet?

Die Erweiterung des Länderkreises ist im Wesentlichen auf die zunehmende Bedeutung der Landwirtschaft in den Nachbarländern Kasachstans zurückzuführen. In Usbekistan hat der politische Wandel seit 2016 zu einer Marktöffnung für westliche Anbieter geführt, die neue Chancen nicht nur im Bereich Landwirtschaft eröffnet hat. Turkmenistan liegt für viele noch weitgehend im Verborgenen, aber auch dort spielt die Landwirtschaft neben Gas eine wichtige Rolle. In den vergangenen drei Jahren lag der Fokus auf einer Modernisierung der Baumwollproduktion mit dem Ziel, den eigenen Markt zu versorgen, aber auch im Export Devisen zu erwirtschaften, die dann der Gesamtwirtschaft zugutekommen.

Wie beurteilen Sie das landwirtschaftliche Potenzial in Turkmenistan und Usbekistan im Vergleich zu Kasachstan?

Kasachstan ist bekannt für seinen Weizen, einem der Produktionsschwerpunkte der großen landwirtschaftlichen Betriebe im Norden des Landes. In Usbekistan ist traditionell die Baumwollproduktion sehr stark etabliert. Nach der Öffnung des Landes hat man sich bemüht, das teilweise kritische Image, was etwa Kinderarbeit angeht, abzustreifen, um größere Chancen auf dem Weltmarkt für Rohbaumwolle oder Textilien zu haben. Wir waren im Mai mit Bundespräsident Steinmeier vor Ort und konnten modernste Spinnereitechnik aus deutscher und Schweizer Produktion sehen, die natürlich auf den Rohstoff angewiesen ist. Hier geht es über die reine Produktion hinaus schon um Veredelung. Usbekistan hat eine industrielle Tradition und eine junge, innovative Bevölkerung. In Turkmenistan geht das „weiße Gold“ noch eher unverarbeitet auf die Märkte.

In der Ukraine tut sich ja auch Einiges im Agrarsektor – Stichwort Bodenmarkt. Wie beurteilen die die Entwicklung dort?

Bei unseren Gesprächen mit Präsident Selenskyj ging es eigentlich immer um ein Thema, das ist die Landreform und deren Folgen. Das ist einerseits eine Jahrhundertaufgabe mit einem großen sozialen Aspekt, nämlich der Frage der Gerechtigkeit beim Zugriff auf Land und der Vermeidung von „Land grabbing“. Auf der anderen Seite ist es ein notwendiger Schritt, der für die Betriebe vor allem die Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen deutlich verbessert, weil diese Ländereien als Sicherheit verwendet werden können. Es ist schwierig, diese Balance aus sozialer Verträglichkeit und direktem wirtschaftlichem Vorteil in einem Land zu finden, das durch wirtschaftliche und politische Unsicherheiten und nicht zuletzt durch korrupte Elemente geprägt ist. Diese Frage ist aber entscheidend für das Land, weil die Landwirtschaft einer der stärksten Wirtschaftszweige ist.

Wie entwickelt sich der Markt für Landtechnik in den Ländern?

Das Agribusiness in der Ukraine, insbesondere die großen Investoren, ist sehr innovativ was neue Produktionsmethoden, Präzisionslandwirtschaft und Datenmanagement angeht. Diese Unternehmen fordern die westlichen Lieferanten sehr stark, weil unsere Systeme häufig für reifere Märkte gemacht sind, die sich gar nicht so dynamisch weiterentwickeln und statischer sind. Diese Innovationsdynamik hat man in einem Land wie Russland, das viel stärker reguliert ist, zum Beispiel weniger.

Dieser Prozess ist auch in Kasachstan schon vor einigen Jahren gestartet, allerdings konzentriert er sich auf die Großbetriebe im Getreideanbau. Usbekistan macht einen Quantensprung, was neue Technik angeht: Man kommt aus der sowjetischen Landwirtschaft, die sich nur wenig verändert hat, was Bearbeitungs- und Produktionsmethoden angeht. Seit der Marktöffnung kommen nun große in- und ausländische Investoren, die in Clustern auf bis zu 100.000 Hektar mit den neuesten Technologien Baumwolle anbauen. Auch in Turkmenistan hat dieser Transformationsprozess begonnen. 

Welche Rolle spielen internationale Landtechnikanbieter und welche Probleme gibt es, etwa was den Lokalisierungsdruck angeht?

Die Ukraine hat mit ihrer Ausrichtung auf westliche Märkte weitreichend akzeptiert, dass die eigenen Landtechnikprodukte noch eine Rolle spielen, aber nicht die Innovationsführer sind. Bis auf ganz wenige Produkte kann die modernste Technologie ohne tarifäre oder nichttarifäre Handelshemmnisse in die Ukraine eingeführt werden. Es gibt einen durchaus komplexen, aber bewältigbaren Zertifizierungsprozess. Die Regierung weiß, dass ohne Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern die Modernisierung der Landwirtschaft nicht zum Erfolg führen würde.

In Zentralasien gibt es noch eher einen traditionellen Denkansatz. Jedes Land hat den Anspruch, eine eigene Landtechnikproduktion zu haben. Man verspricht sich davon Kostenvorteile, Arbeitsplätze und Exportmöglichkeiten. Das entspricht aber nicht der Strategie westlicher Anbieter. Wir versuchen hier, mit wirtschaftlich angepassten Projekten, guten Willen zu zeigen und partnerschaftlich zu agieren

Interview: Christian Himmighoffen, Referent Presse und Kommunikation im OAOEV

Ansprechpartner

Dr. Per Brodersen
Geschäftsführung AG Agrarwirtschaft
Tel.: 030 206167-124
p.brodersen@bdi.eu

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